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Rohstoffmulti Shell erhält US-Genehmigung für umstrittene Bohrungen in der Arktis.
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London/Wien. Sarah Palin ist eine stürmische Natur. Kritiker meinen, auch eine schlichte. Für das Ende der Abhängigkeit von Öl vom Persischen Golf hatte die Kandidatin für das US-Vizepräsidentenamt 2008 eine simple Lösung parat: "Drill, baby, drill", schmetterte die erzkonservative Republikanerin ihrem demokratischen Kontrahenten entgegen. Wo auch immer möglich sollte nach Öl und Gas gebohrt werden, lautete Palins Motto. Unausgesprochener Subtext: Sei es technisch noch so aufwendig, koste es, was es wolle.
Logistik für eine Milliarde Dollar
Eine jener möglichen Zonen, die mindestens so stürmisch ist wie Palins Temperament, ist die Tschuktschensee. Bis zu 15 Meter hohe Wellen toben in dem Meer zwischen Sibirien und Alaska, die nächstgelegene Küstenwache ist rund tausend Kilometer entfernt. Shell schrecken diese Bedingungen dennoch nicht ab, zu groß ist die Verlockung auf das viele Geld. Der britisch-niederländische Rohstoffmulti bemüht sich seit Jahren um das Einverständnis der US-Regierung, an jenen bis zu sechs Stellen im arktischen Ozean nach Öl und Gas zu bohren. Montag stimmte die zuständige Behörde BOEM, das Bureau of Ocean Energy Management, dem Förderprojekt zu. Weitere Genehmigungen müssen zwar erst folgen, aber die wichtigste Hürde hat Shell damit genommen.
Bereits im Sommer will Shell mit dem Projekt starten. "Wir glauben nicht nur daran, dass wir die Herausforderungen beherrschen können, wir haben dafür auch Datenmaterial", sagte Shells Finanzvorstand Simon Henry bei der Jahrespresskonferenz Ende Jänner. Ihm zufolge koste die Logistik für das Arktis-Projekt allein für 2015 mehr als eine Milliarde Dollar (896 Millionen Euro), falls mit den Bohrungen tatsächlich gestartet wird. Wenn nicht, beliefen sich alleine die Vorbereitungsarbeiten auf eine knappe Milliarde Dollar, sagte Henry. Kopfschmerzen bereiten Shell die Kalkulationen aber nicht, schließlich erwirtschaftete der Konzern mit 94.000 Mitarbeitern im vergangenen Jahr netto 19,7 Milliarden Dollar (17,6 Milliarden Euro).
Heftiger Gegenwind kommt jedoch von Umweltschützern. Schließlich ist die Arktis einer der sensibelsten Naturräume der Welt. In der Tschuktschensee siedeln unter anderen Grönlandwale und Walrosse. Sollte bei einem Unfall Öl ins Meer geraten, wären die Folgen für das Polarmeer noch schlimmer als in anderen Gewässern. Denn aufgrund des eiskalten Wassers, das obendrein mehrere tausend Meter tief sein kann, würde sich das Öl wesentlich langsamer abbauen. "Es gibt keine bewährte Methode, einer Ölpest im eisigen arktischen Wasser zu begegnen", sagt Susan Murray von der Umweltschutzorganisation Oceana. Greenpeace fordert, dass Ölbohrungen und industrielle Fischerei verboten werden und stattdessen ein UN-Schutzgebiet errichtet wird.
Zankapfel Lomonossow-Rücken
Wie hoch die Risiken in der Arktis sind, erfuhr Shell Anfang 2013: Damals lief die Ölbohrinsel "Kulluk" vor der Küste von Alaska auf Grund. Die 1983 gebaute Anlage hätte zur Überholung nahe Seattle geschleppt werden sollen, aufgrund der stürmischen See rissen die Verbindungen zum Schlepper und "Kulluk" wurde an die Küste gespült. Zwar traten die geladen 570.000 Liter an Diesel und anderen Ölprodukten nicht aus, doch aufgrund des "Kulluk"-Unfalls und Problemen bei einer zweiten Förderanlage legte Shell seine Förderpläne in der Arktis zwischenzeitlich auf Eis.
Sie leben nun stärker denn je auf. Die Rohstoffmultis klammern sich an eine Studie der US-Behörde USGS, wonach in der gesamten Arktis Ölvorräte im gigantischen Ausmaß von 90 Milliarden Barrel schlummern, dazu kommen unter anderem 1669 Billionen Kubikmeter Erdgas. Das sind mehr als ein Fünftel der noch unerschlossenen Öl- und Gasvorkommen weltweit. Auch die Erschließung neuer Schifffahrtsrouten, wenn das arktische Eis durch den Klimawandel weiter schmilzt, weckt Begehrlichkeiten.
Dementsprechend kämpferisch vertreten die fünf Arktis-Anrainerstaaten USA, Kanada, Russland, Dänemark und Norwegen ihre Interessen. Das Seerechtsübereinkommen von 1982 legt fest, dass ein Staat eine Wirtschaftszone bis zu 200 Seemeilen von der eigenen Küste entfernt beanspruchen kann. Vergangenen Dezember verkündete Dänemark, der Lomonossow-Rücken - ein Gebirge unterhalb des Meeresspiegels - sei eine Verlängerung Grönlands. Gleich 900.000 Quadratmeter, die Fläche von Deutschland und Frankreich zusammen, betrüge das zusätzliche Territorium. Russland wiederum erhebt auch Ansprüche auf den Lomonossow-Rücken.
Experten schätzen, dass noch Jahrzehnte vergehen, bis die Anrainer ihre Gebietsstreitigkeiten beilegen. Schwierigkeiten macht aber auch der stark gesunkene Ölpreis, etwa bei Projekten im norwegischen und russischen Teil der Barentssee. Dennoch stehen längerfristig die Zeichen darauf, dass "Drill, baby, drill" in der gesamten Arktis-Region gilt.