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Dringend gesucht: "Plan B" beim Brexit

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Kaum jemand glaubt, dass May ihren Brexit-Deal durchs Parlament bekommt. Was ist die Alternative?


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London. Mit einem dringenden Appell hat sich jetzt Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon an alle britischen Oppositionsparteien und an die Pro-Europäer im konservativen Lager gewandt. Für Sturgeon ist es beim Brexit allerhöchste Zeit für einen "Plan B".

Bisher, erklärte die Schottin, hätten sich die Gegner einer radikalen britischen Abkoppelung vom Kontinent auf den Widerstand gegen Theresa Mays verquere Austritts-Vorstellungen konzentriert - und auf die Verhinderung eines geradezu katastrophalen Austritts aus der EU ganz ohne Vertrag. Jetzt aber komme es darauf an, nicht dumm dazustehen, falls die Regierungspolitik in wenigen Wochen plötzlich in sich zusammenbrechen werde. Ein gemeinsamer Plan sei nötig, für die Stunde X im Parlament.

"Immer nur zu sagen, dass wir gegen den Deal der Premierministerin sind", meinte Sturgeon, "bringt uns nicht viel weiter. Wir wissen, womit wir nicht einverstanden sind, was uns nicht gefällt. Was jetzt nötig ist, ist Zusammenarbeit in der Frage, was wir für die bessere Alternative halten." Womit, anders gesagt, Mays Brexit ersetzt werden kann.

Und um ihren Worten Taten folgen zu lassen, flog die Chefin der Schottischen Nationalpartei nach London, um sich im Palast von Westminster zu Gesprächen mit Labour-Leuten, Liberaldemokraten, Grünen und walisischen Nationalisten zusammenzusetzen. Auch pro-europäische Tories schloss sie in ihre "Allianz" ein.

Grund für die Initiative Sturgeons war, dass in London gegenwärtig kaum jemand glaubt, dass May ihr mühsam erstrittenes Abkommen mit der EU in diesem Dezember durchs britische Parlament bringt.

Zum Coup in den eigenen Reihen gegen May ist es zwar bislang nicht gekommen. Aber über sechzig Tory-Abgeordnete und die zehn Vertreter der nordirischen Unionisten haben keinen Zweifel daran gelassen, dass sie, wenn es so weit ist, gegen Mays Vereinbarung stimmen werden.

Stilles Kalkül in Downing Street ist in dieser Situation, dass die Angst vor einem Brexit-Ende mit Schrecken genügend Labour- Abgeordnete in letzter Minute noch dazu bewegen wird, den Deal mit der EU zu retten.

Bisher lehnt allerdings auch die Labour Party ihn ab. Und dass eine Unterhaus-Mehrheit ein vertragsloses Ausscheiden, den "Sprung von den Klippen", zulassen würde, ist umso unwahrscheinlicher geworden, je mehr die Tory-Rechte an Terrain verlor.

Was aber wäre, wenn das Parlament den Austrittsvertrag tatsächlich niederstimmen würde? Das ist bisher nicht klar. Eine einheitliche Meinung dazu gibt es nicht. Sturgeon hat schon seit langem dazu geraten, dass London in einem solchen Fall von der EU einen zeitlichen Aufschub erbeten und danach einen simplen Vertrag, mit vollem Verbleib im Binnenmarkt und der Zollunion, aushandeln soll.

Das würde alle Zollprobleme und auch die Nordirland-Frage lösen. Manch ein Labour-Politiker macht freilich Einwände gegen weitere Personen-Freizügigkeit oder gegen andere Bestimmungen des Binnenmarkts geltend. Einig werden müssten sich die Oppositionsparteien also erst einmal, wenn sie einen "sanften" Brexit verlangen, über eine für alle akzeptable Version.

Als Alternative, meint Nicola Sturgeon, biete sich eine neue Volksbefragung an - auch damit habe sie keine Probleme. Diesem Gedanken scheinen immer mehr Abgeordnete aller Lager zuzuneigen. Selbst manche Minister halten so etwas, im Gegensatz zu May, jetzt nicht mehr für ausgeschlossen. Ein Dutzend Tory-Hinterbänkler setzt sich sogar nachdrücklich dafür ein.

Die Labour-Führung zögert, hat ein neues Referendum aber nicht ausgeschlossen. Manuel Cortes, der Chef der Transportarbeiter-Gewerkschaft, hat Labour gestern empfohlen, einen Sonderparteitag einzuberufen, um einen "Plan B" abzustimmen in der Partei.

Noch weiß freilich niemand zu sagen, ob es nun umgekehrt für diese oder für die Idee eines "sanften Brexit" im Unterhaus eine Mehrheit gäbe. Prozedurale Hindernisse aller Art türmen sich auf. Erst jetzt erwachen Oppositionspolitiker zu all den Fragen, die sich im Falle eines Scheiterns von "Plan A" stellen würden - und zur Frage, ob tatsächlich ein Bündnis für einen "Plan B" zustande kommt.

Während in London die Ungewissheit groß ist, gab es ein Treffen zwischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und Theresa May in Downing Street 10. Kurz wolle May als Kanzler des EU-Vorsitzlandes "den Rücken stärken", hieß es.

EU und Großbritannien wollen "ehrgeizige" Partnerschaft

Mittlerweile haben sich die EU und London zumindest auf eine politische Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen geeinigt. Beide Partner streben nach dem Brexit eine "tiefe" und "ehrgeizige" Partnerschaft an und wollen ein "Freihandelsgebiet" ohne Zölle, Abgaben und mengenmäßige Beschränkungen schaffen.

Wie aus spanischen Diplomatenkreisen verlautete, wird Madrid der Erklärung wegen des Streits um Gibraltar nicht zustimmen. Ein Kommissionssprecher hatte schon zuvor zugeben müssen, dass die Frage des Status der britischen Kronkolonie auf der iberischen Halbinsel ungelöst sei. Der spanische Premier Pedro Sanchez hat direkte Verhandlungen zwischen Spanien und Großbritannien über die Zukunft des britischen Überseegebiets verlangt. Spanien stößt sich auch daran, dass Gibraltar in dem Austrittsvertrag als UK-Territorium festgeschrieben wird. In der Frage könnte es jedenfalls zu einem trilateralen Treffen vor dem Brexit-Gipfel zwischen May, dem spanischen Premier Pedro Sanchez und Juncker kommen.

Laut Entwurf wollen die EU und die Briten künftig "eine ambitionierte und weitreichende wirtschaftliche Partnerschaft" entwickeln. Die Übergangsperiode nach dem Brexit soll um ein bis zwei Jahre verlängert werden können. Während dieser Zeit muss Großbritannien ins EU-Budget einzahlen, heißt es.