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Der Tahrir-Platz ist nicht wiederzuerkennen. Der Freispruch Mubaraks passt genau ins Bild.
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Kairo. "Wir brauchen eine dritte Revolution", forderten die Demonstranten am Samstagabend rund um den Tahrir-Platz in Kairo. Auf den Platz selbst kamen sie nicht. Der war hermetisch abgeriegelt. Ohnehin ist der Ort, an dem am 25. Jänner 2011 der ägyptische Frühling begann, mittlerweile eine Baustelle. Tiefgaragen werden unter dem Platz gebaut. Ein Soft-Opening der Parkmöglichkeiten auf vier unterirdischen Ebenen ist für Mitte Dezember angekündigt. Nichts erinnert mehr an das, was die Aktivisten "Revolution", die Gestrigen "Konspiration" und die Mehrheit der Ägypter "Unruhen" nennen. Aus dem Symbol der Veränderung ist ein Parkplatz geworden. Besser kann man die Situation in Ägypten nicht darstellen.
Die etwa 1000 Demonstranten mussten auf die Seitenstraßen in Downtown Kairo ausweichen, um gegen den Richterspruch zu demonstrieren, der den Mann, gegen den Millionen Bürger vor knapp vier Jahren auf die Straße gegangen waren, am Wochenende von allen Anschuldigungen freisprach. Damals hatte Langzeitpräsident Hosni Mubarak nach 18 Tagen aufgegeben und seinen Rücktritt verkünden lassen. Gut zwei Jahre später war sein Nachfolger Mohammed Mursi ebenfalls aus dem Amt gejagt worden. Und wieder hatte der Tahrir-Platz eine wichtige Rolle gespielt.
Seit der Amtseinführung von Feldmarschall Abdul Fattah al-Sisi ist Schluss mit der Revolution. Die meisten hochrangigen Mubarak-Gegner, ob Muslimbrüder oder Aktivisten, sitzen im Gefängnis oder stecken in Gerichtsverfahren.
Mubarak selbst muss sich nun nicht länger wegen Beihilfe zum Mord an über 800 Demonstranten auf dem Tahrir-Platz verantworten. Das Gericht stellte den Prozess gegen ihn ein. Auch gegen seine Söhne Alaa und Gamal, seinen Innenminister Habib al-Adli und sechs seiner engsten Mitarbeiter wurde die Anklage fallen gelassen. Als Begründung nannte der Richter einen Mangel an Beweisen. Das Gericht entlastete die Angeklagten auch von dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs und der Vorteilsnahme, im Zusammenhang mit Gaslieferungen an Israel Staatsgelder veruntreut zu haben. Ägyptens Generalstaatsanwalt kündigte an, gegen das Urteil Berufung einlegen zu wollen.
Der Prozess, der jetzt zu Ende ging, war die Wiederaufnahme eines Verfahrens, das im August 2011 begonnen hatte und wegen Formfehlern wieder neu aufgerollt werden musste. Im ersten Durchgang wurden Mubarak und sein Innenminister als Mitschuldige für die Tötung der Demonstranten am Tahrir-Platz zu lebenslanger Haft verurteilt. Die nunmehrige Einstellung des Verfahrens ist ein Urteil gegen die Revolution und ihre Akteure, so die Meinung der Demonstranten in den Seitenstraßen am Samstagabend.
Die Ergebenheit der Justiz gegenüber den "Feloul" (Blockflöten), wie die Anhänger Mubaraks genannt werden, spiegelte sich klar in der Begründung des Richters. Nur die Geschichte und Gott sollten angerufen werden, um ein Urteil gegen jemanden zu fällen, der Ägypten mehr als 30 Jahre als Staatschef gedient habe, sagte Richter Mahmud al-Raschidi: "Ich kann Mubarak nicht verurteilen."
Am letzten Verhandlungstag im August hatte der Richter Mubarak und seinen Mitangeklagten erlaubt, sich selbst zu verteidigen. Ex-Innenminister al-Adli bestritt sechs Stunden lang, etwas mit dem Tod der Protestler zu tun zu haben, verteidigte aber das brutale Vorgehen gegen Regimegegner. Zusammen mit Mubarak beschuldigte Adli "ausländische Mächte", das Regime stürzen zu wollen. Es sei die CIA gewesen, die junge Aktivisten rekrutiert hätte, um die Revolte gegen den Machthaber anzuzetteln. Die Aussagen blieben so stehen - ohne Gegenfrage.
Dass die Justiz in Ägypten dem System zu Diensten ist, hatte auch Islamistenpräsident Mursi erkannt. In einer seiner ersten Amtshandlungen hatte er sich daran gemacht, den Apparat umzubauen. Doch wollte er Richtern und Staatsanwälten nicht etwa mehr Unabhängigkeit zubilligen, sondern sie zu seinen Handlangern umformen. Das von ihm erlassene Präsidentendekret, wonach dem Staatschef die letzte Entscheidung in juristischen Fragen zukäme und der Austausch des Generalstaatsanwalts bewirkten einen Aufschrei auch in revolutionären Kreisen, von dem Mursi sich nicht erholte.
Der Anfang vom Ende des ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens war damit besiegelt. Heute sehen es selbst Anhänger der Muslimbrüder, aus deren Reihen Mursi entstammt, als einen großen Fehler an, dass der Präsident sich so massiv mit der Justiz anlegte. Diesen Fehler begeht al-Sisi nicht. Der neue Staatschef betont immer wieder, dass er sich nicht in die Belange der Justiz einmische, wohl wissend, dass die Richter ohnehin in seinem Sinne entscheiden.
Repressionen
Sie sei extrem bestürzt über das Urteil, das eine "sehr negative Botschaft für alle jungen Menschen ist, die an der Revolution teilnahmen", sagt Hala Shukrallah, Präsidentin der Dostour Partei, die von Nobelpreisträger Mohamed al-Baradei gegründet wurde. Shukrallah ist vorsichtig in ihren Äußerungen, denn auch sie und die Mitglieder der Partei sind durch die repressive Vorgehensweise der Sicherheitskräfte im Zusammenspiel mit der Justiz bedroht. Die neulich verabschiedeten Anti-Terror-Gesetze würden alle Kritiker stets mit einem Fuß im Gefängnis lassen. "Es gibt niemand, der derzeit eine Wutoffensive anführen könnte", erklärt Abu Taleb, politischer Analyst. Das Urteil bleibe daher ohne Folgen. Eine dritte Revolution findet vorerst nicht statt.