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Speziell Kindern und Jugendlichen drückt die pandemiebedingte Ungewissheit aufs Gemüt.
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Wien. Depression, Zukunftsangst, Schlafstörungen: Den dritten Lockdown empfinden die Österreicherinnen und Österreicher als noch stärker die Seele belastend als jene im vergangenen Frühling und Herbst. Das berichten die Donau-Universität Krems und der Bundesverband für Psychotherapie anhand einer Online-Umfrage im Zeitraum von 23. Dezember bis vierten Jänner unter 1505 Personen ab 18 Jahren.
"Vor der Pandemie litten etwa fünf Prozent der Bevölkerung an Angstsymptomen und depressiven Verstimmungen, sowie sieben Prozent an Schlafstörungen", sagte Christoph Pieh vom Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit der Donau-Uni am Mittwoch in einer Online-Pressekonferenz. Die erste Studie seines Teams im April 2020 förderte einen Anstieg psychischer Probleme im Zuge von Lockdown Nummer eins zu Tage. Nicht fünf, sondern 20 Prozent der Befragten gaben plötzlich an, an Depressionen zu leiden. 15 und 18 Prozent räumten ein, mit Ängsten und Schlafproblemen zu kämpfen.
Das Pikante: Selbst die Maßnahmen-Lockerungen im Sommer, die Urlaube oder Restaurantbesuche ermöglichten, hellten die Gemüter nicht auf. Schon damals war klar, dass die Pandemie noch nicht ausgestanden war.
"Mit dem jetzigen Lockdown ist die psychische Belastung noch einmal angestiegen", erklärte Pieh. Insgesamt fühlt sich derzeit ein Viertel der Befragten depressiv. 22 Prozent sagen, sie verspüren Ängste, erleben die jetzige Situation als bedrohlich und machen sich Sorgen. 18 Prozent haben Schlafstörungen. Am heftigsten erleben junge Menschen die jetzigen Einschränkungen: Die Hälfte der Befragten im Alter zwischen 18 und 24 Jahren gab an, mit depressiven Symptomen zu kämpfen.
Paul Plenar, Leiter der Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Wiener AKH, bestätigt die Ergebnisse aus der Praxis. Seine Station sei überfüllt, immer mehr Kinder und Jugendliche würden an Essstörungen oder Depressionen leiden. "Es kommen mehr und die Zustandsbilder sind deutlicher und schwerer ausgeprägt, sodass die weniger akuten Fälle im Sinne einer Triagierung nachgereiht werden müssen", wusste Plenar am Mittwoch im "Ö1-Morgenjournal" zu berichten. "Von den Jugendlichen selbst hören wir von Stimmungsverschlechterung, Antriebslosigkeit und Müdigkeit bis hin zu Suizid-Gedanken oder Suizid-Versuchen in der jüngeren Vergangenheit." Betroffen seien sogar jüngere Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren. Wesentliche Gründe sieht Plenar in den Schulschließungen, mit denen ein Verlust von Abwechslung und positiven Alltagserlebnissen einhergehe, und den sozialen Rückzug.
Wenn die Seele implodiert
Laut Umfrage der Donau-Uni sinkt die empfundene psychische Belastung mit dem Alter. Unter den 25- bis 34-Jährigen fühlen sich 30 Prozent depressiv, zwischen 35 bis 64 Jahren rund ein Viertel. Am leichtesten stecken die Covid-Risikogruppen ab 65 Jahren den Lockdown weg: Nur zehn Prozent beklagen eines, zwei oder alle drei Symptome. Am entspanntesten zeigen sich Männer und Menschen, die im Familienverbund leben, am schwersten betroffen Frauen und Alleinstehende.
Parallel dazu melden Kliniken nach wie vor einen Anstieg der häuslichen Gewalt. "Disziplin, Verzicht, Ordnung und Unterordnung sind Leistungen, die ein Belohnungssystem brauchen. Gut essen oder in die Disco gehen und Gesellschaftssport sind aber aus gesundheitlichen Gründen untersagt, ebenso wie ritueller Aggressionsabbau in Stadien oder Fitnesscentern", erklärte Peter Stippl, Präsident des Bundesverbands für Psychotherapie: "Also entsteht eine gewisse Gewitterwolke an Gewalt. Alleinstehende wiederum können ihre Sexualität schwerer ausleben, wenn klassische Flirt-Möglichkeiten, etwa in Lokalen, fehlen. Das leitet über zur allgemeinen Sorge, wie lange die Disziplin der Menschen auf hohem Niveau zu halten ist" - ohne dass die Seele mangels Ausgleich implodiert.