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Drogenprogramm half, das Schlimmste zu verhindern

Von Wolfgang Wagner

Wissen

Einer der bekanntesten Medizin-Wissenschafter der Welt zieht Bilanz: "HIV und Forschung nach 20 Jahren", lautete der Titel eines Vortrages, den der US-Co-Entdecker der Erreger der Immunschwächekrankheit Aids (mit dem Franzosen Luc Montagnier), Robert Gallo, am Dienstag der vergangenen Woche an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien hielt. Grund genug, jene österreichischen Experten zu befragen, die Anfang der achtziger Jahre mit den ersten HIV-Patienten konfrontiert waren.


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Legendär ist der Bericht über Krankheiten und Sterblichkeit des CDC (Center for Disease Control) in den USA geworden, der erstmals am 4. Juni 1981 von der neuen Krankheit berichtete. "Im Zeitraum von Oktober 1980 bis Mai 1981 wurden fünf junge Männer - alle aktive Homosexuelle - in drei verschiedenen Spitälern in Los Angeles wegen einer Pneumocystis carinii-Lungenentzündung behandelt, die durch Biopsie bestätigt wurde. Zwei der Patienten starben ..."

Kaposi-Sarkome bei jungen Menschen

Auf österreichischer Seite hatten der Chef der Universitätsklinik für Dermatologie am Wiener AKH, Univ.-Prof. Dr. Klaus Wolff, und sein Mitarbeiter und mittlerweile Leiter der Abteilung für Immundermatologie, Univ.-Prof. Dr. Georg Stingl, als eine der Ersten von der neuen Erkrankung gehört. Stingl: "Ich war mit Prof. Wolff bei einem Kongress der amerikanischen Akademie für Dermatologie. Und dort wurde von Fällen von Kaposi-Sarkomen bei jungen Patienten berichtet. Wir kamen nach Wien zurück und wurden gefragt: 'Gibt's was Neues?' Wir haben gesagt: 'Ja, unglaublich, da gibt es plötzlich Kaposi-Sarkome bei jungen Menschen."

Nicht Aids selbst führte zur spezifischen Zuordnung der Immunschwäche zu einem medizinischen Fachgebiet. Vielmehr waren es die Folgeerkrankungen: Weil die Patienten mit der eigenartigen und zunächst unerklärbaren Störung des Immunsystems vermehrt Pneumocystis carinii-Pneumonien bekamen, landeten sie auf den Lungenabteilungen. Sonst waren diese Lungenentzündungen bis dahin nur sehr selten und bei schwer Immungeschwächten aufgetaucht.

Dermatologen und Pulmologen gefordert

Weil wiederum andere Betroffene mit einem Kaposi-Sarkom zum Arzt gingen, kamen sie an die Hautkliniken. Stingl: "Das war auch 1982 bei unserem ersten Patienten an der Klinik. Der hatte solche verdächtige Hautveränderungen. Es war ein sehr promiskuitiver Homosexueller, der oft nach New York zu Gay-Parties geflogen war." Bald war klar, dass der Mann die neue Krankheit hatte.

Ähnlich ging es bald darauf dem damaligen Oberarzt an der 2. Internen Abteilung des Pulmologischen Zentrums (jetzt: Otto-Wagner-Spital) und nunmehrigen Leiter der Abteilung, Dr. Norbert Vetter. Der Experte: "Bei uns war es ein junger Mann mit einer Tuberkulose. Er hatte als Strichbub in Amsterdam gearbeitet. Am Knie hatte er auch noch eine blaue Hautveränderung. Dankenswerter Weise hat Dr. Judith Hutterer an der Universitäts-Hautklinik eine Biopsie durchgeführt und auch das Kaposi-Sarkom entdeckt."

Aids war in Österreich.

Im damaligen Gesundheitsministerium hörten Dr. Helga Halbich-Zankl und ihr Mitarbeiter Dr. Jean-Paul Klein erstmals von der neuen Krankheit. Klein: "Uns hat zunächst der Virologe Univ.-Prof. Dr. Christian Kunz informiert. Er hatte das bei einem Kongress gehört, es gebe da angeblich ein neues Virus. Doch die Krankheit betreffe offenbar eine ganz bestimmte Personengruppe."

Zunächst schienen nur zwei Gruppen betroffen

Beim ersten internationalen Aids-Kongress in Moskau waren nicht mehr als 500 Teilnehmer, beim 14. im Juli 2002 waren es in Barcelona rund 15.000. Klein: "Der damalige steirische Landeshygieniker Univ.-Prof. Dr. Josef Möse wurde zum Leiter der österreichischen Aids-Kommission berufen." Weiterhin glaubte man allerdings, dass es sich bei Aids um eine Erkrankung der Homosexuellen und der Drogenabhängigen handelte.

Klein hält aber gerade die damals schon zukunftsweisende Drogensubstitutionsbehandlung in Österreich für einen der Hauptgründe, warum sich Aids in der Alpenrepublik unter Kontrolle halten ließ: "Das Glück für Österreich war, dass es schon damals ein ausgeprägtes Programm zur Betreuung von i.v.-Drogensüchtigen gab." Drogensubstitution von Opiat-Abhängigen sowie die schnelle Organisation von Spritzentauschprogrammen halfen, das Infektionsrisiko unter den Süchtigen zu verringern.

Nach der Hilflosigkeit endlich ein Medikament

Freilich, Hilfe konnten die Ärzte den Aids-Patienten in den Anfangszeiten der Immunschwächekrankheit eigentlich keine anbieten. Der Immundermatologe Univ.-Prof. Dr. Georg Stingl: "Es gab nichts. Aber es ging dann sehr schnell. Wir haben an der Klinik eine Beratungseinrichtung für HIV-Patienten eingerichtet. Schon ab 1985 gab es eine eigene Aids-Station. Ende der achtziger Jahre wurde die österreichische Aids-Gesellschaft gegründet. Schon 1985 erfolgte die erste Publikation über die Wirksamkeit des ersten Aids-Medikamentes AZT (Azidothymidin)."

Ein wichtiger österreichischer wissenschaftlicher Beitrag zur Aids-Forschung gelang einem Team um Stingl (1985/1986), als die Fachleute nachwiesen, dass HI-Viren auch die in der Haut patrouillierenden Langerhans-Zellen über den Rezeptor CD4 infizieren können. An den Arbeiten war auch Univ.-Prof. Dr. Erwin Tschachler beteiligt.

Tschachler arbeitete jahrelang im Labor von Gallo; Stingl und seine Frau hatten zuvor ebenfalls an den National Institutes of Health (NIH) in Bethesda im US-Bundesstaat Maryland geforscht. Die Aufbruchsstimmung war enorm. Stingl: "Steven Rosenberg erprobte erstmals eine Gentherapie gegen das Melanom. Gallo trug seine Forschungen über HIV vor. Das war, als würden abwechselnd Pavarotti und Domingo auftreten."

Aids-Hilfe leistete Pionierarbeit

In Österreich gelang es in jenen Tagen mit der Gründung der Österreichischen Aids-Hilfe mit Christian Brandstätter, der Sozialmedizinerin Univ.-Prof. Dr. Kwizda-Gredler, Dr. Judith Hutterer, Dr. Helga Halbich-Zankl und dem Psychiater Dr. Otto Presslich sehr schnell, eine Informations- und Betreuungsinstitution aufzubauen. Mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums bekämpfte sie auch wirksam Vorurteile und Diskriminierungsversuche gegenüber HIV-Positiven.

Die echte Wende kam allerdings erst 1994/95. Da wurde die Highly Active Antiretroviral Therapy (HAART) durch die Kombination der so genannten Reverse Transkriptase Hemmer (AZT, Nevirapin etc.) mit den Protease-Hemmern (Ritonavir etc.) für die Aids-Patienten möglich.

Längeres Überleben mit Hilfe der neuen Therapie . . .

In Österreich sind bisher 2.188 Menschen an Aids erkrankt. 1.307 dieser Patienten sind bis zum Stichtag 1. Oktober 2002 gestorben. Wie gut die derzeit schon vorhandene Therapie (HAART) wirkt, belegen folgende Zahlen: Vor Einführung der modernen Kombinationstherapie gegen HIV starben im zweiten Halbjahr 1993 in Österreich 100 Menschen an Aids. Das war die höchste Zahl in sechs Monaten. Von Jänner bis Juni 2002 waren zwei Todesopfer zu beklagen.

. . . und mit viel Disziplin

Stingl: "Ich würde schon sagen, dass die HIV-Infektion zu einer chronisch gut behandelbaren Erkrankung geworden ist. Das verlangt aber von den Betroffenen ein hohes Maß an Disziplin. Wenn das aber - gemeinsam mit einer guten Beziehung zum behandelnden Arzt - gegeben ist, können sich die Betroffenen langfristig subjektiv sehr wohl fühlen. Auch objektiv wird man kaum etwas merken."