)
Den Südosten ihres Landes verbinden viele Türken aus dem Westen mit Armut und vor allem - Kurden. | Der Steward der Turkish Airlines verbirgt seine Verwunderung nicht. "Nach Adana wollen Sie dann weiter?" fragt er auf dem Flug nach Istanbul nach. "Dort ist doch Krieg."
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nein, in Adana herrscht kein Krieg. Es ist die viertgrößte Stadt der Türkei und ein bedeutendes Industriezentrum. In der drückenden Hitze des Sommers flirrt die Luft zwischen den kleinen Geschäften der Altstadt und den Glasvitrinen der hochgezogenen Bürogebäude. Aus der Gegend, in der fruchtbaren Cukurova-Ebene gelegen, wird die größte Menge an Baumwolle, aber auch Sesam und Erdnüssen im Land angebaut.
Doch Adana liegt im Südosten der Türkei, nur etwas mehr als hundert Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Und den Südosten des Landes verbinden viele Türken im Westen und in der Hauptstadt Ankara mit ärmlichen Dörfern, hoher Arbeitslosigkeit und vor allem - Kurden.
Über die möchte Rüya gar nicht schlecht reden. Sie ist knapp 50 Jahre alt und wohnt in einer kleinen Ortschaft unweit Adana. Das Haus mit Blick auf das Mittelmeer haben sie und ihr Mann nach fast 30 Jahren Arbeit in Deutschland gebaut. "Mit den Kurden kommen wir gut aus", erzählt Rüya. "Wir haben doch jahrhundertelang mit ihnen gelebt." Und gearbeitet: Es sind meist Kurden, die auf den Feldern um Adana zu sehen sind. Viele von ihnen kommen für ein paar Wochen als Saisonarbeiter in die Gegend, schuften die Tage durch und schlafen in improvisierten Zeltlagern oder unter Plastikplanen. Manche kehren dann nicht mehr zurück in ihre Dörfer rund um die Millionenmetropole Diyarbakir, die 500 Kilometer östlich von Adana und weit näher zum Irak liegt.
*
Doch eines regt Rüya auf: "Die Kurden wollen einen eigenen Staat haben, in unserem Land." Die Europäische Union poche zwar immer auf die Minderheitenrechte, aber wie würde ein EU-Mitglied reagieren, wenn sich ein Teil innerhalb des Staates für unabhängig erklärte? Rüya bringt damit zum Ausdruck, was viele Türken befürchten: einen Riss durch das Land, noch mehr Konflikte, noch mehr Kämpfe.
Doch sie sagt einiges nicht dazu. Wie nämlich Kurden jahrzehntelang unterdrückt wurden. Dass die Menschen ihre Sprache nicht verwenden durften. Dass ganze Dörfer zerstört, Zehntausende verschleppt, gefoltert und getötet wurden. Dass Kinder mitansehen mussten, wie ihre Mütter vergewaltigt und ihre Väter erschossen wurden.
*
In den vergangenen Wochen haben sich die Kämpfe zwischen der türkischen Armee und Rebellen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wieder verstärkt. Allein seit Monatsbeginn starben 16 türkische Soldaten. "Märtyrer" heißen sie im offiziellen Jargon, so wie die PKK-Rebellen "Terroristen" sind. Letztere verschanzen sich auch im Nordirak, argumentiert das Militär - und drängt auf einen Einmarsch ins Nachbarland. Wie eine indirekte Unterstützung der Armee sehen da die Demonstrationen aus, zu denen sich die Soldatenbegräbnisse entwickelt haben. Parolen gegen die PKK aber auch die Regierung waren dabei zu lesen.
Denn Premier Recep Tayyip Erdogan zögert; er steht unter starkem Druck der EU und USA, die Lage im Irak nicht noch zu verschlimmern. So betont er, dass die Armee sich darauf konzentriere, gegen Separatisten im eigenen Land vorzugehen. "Ist der Kampf gegen 5000 Terroristen im Inneren beendet, so dass wir über den Irak sprechen könnten?" fragte er.
Für die Militärführung ist die Anwort klar. Sie hat bereits drei an die irakische Grenze anschließende Provinzen zu "Sicherheitszonen" erklärt; zum Ausnahmezustand könnte es da ein kurzer Weg sein.
Dennoch warnen aber auch Kommentatoren in der Türkei davor, sich tatsächlich in den "irakischen Sumpf" zu begeben. Sie schließen nicht aus, dass der Militäraufmarsch nur zur Drohung dient, um die nordirakische Führung zur Kooperation im Kampf gegen die PKK zu bewegen. Eines ist jedoch fix: In der hitzigen Phase vor der Parlamentswahl Ende Juli werden die Köpfe nicht kühler.