Zum Hauptinhalt springen

Droht dem Euro der Untergang?

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Kurzfristlösung für Euro liegt nicht am Tisch.|Zerbrechen der Währungsunion kostet Österreich 0,4 Prozentpunkte Wachstum.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Was, wenn der EU-Gipfel am 8. und 9. Dezember nicht die erhoffte große Lösung präsentiert? Momentan sieht es ganz danach aus, sagt Fritz Breuss, Wifo-Ökonom und Professor an der WU Wien: "Es kann und wird keine Überraschungen geben." Zwar sei das langfristige Konzept durchaus stimmig: Nach Vorstellung von Merkel und Sarkozy würde die stärkere Zentralisierung der Fiskalpolitik eine gemeinsame Schuldenaufnahme (Eurobonds) ermöglichen. Dafür wäre aber eine langwierige Änderung der EU-Verträge nötig - Szenarien, die viele Jahre in die Zukunft blicken.

Eine Kurzfristlösung, welche sofort einen Meinungsumschwung der Investoren bewirken würde, liegt aber nicht auf dem Tisch. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann nicht zu einem Agieren genötigt werden, für direkte Staatenfinanzierung sind ihr vertraglich die Hände gebunden. Somit könnte sie nur argumentieren, dass sie aus eigenem Antritt handelt und die Käufe von italienischen Staatsanleihen aufstockt, um gröbsten Marktstörungen zu bekämpfen.

Sonst gibt es nur die schon im Oktober präsentierten Pläne für eine Hebelung des Eurorettungsschirms EFSF, welche die Märkte nicht sonderlich beeindruckt hatten. Unter Drittländern haben sich bisher überhaupt keine Ko-Finanziers gefunden, die in den Euro-Rettungstopf einzahlen wollen. Und der Internationale Währungsfonds (IWF), der vermehrt ins Spiel gebracht wird, verfügt selbst nicht über die Mittel, um seinen Einsatz zu erhöhen. Die Anteilseigner müssten ihre Quoten aufstocken - schon jetzt regt sich aber unter den immer mächtigeren Schwellenländern Widerstand, dass die größten Hilfskredite nach Europa fließen.

Als Hoffnungsschimmer bleibe, dass die zur EFSF-Hebelung geplante Versicherungslösung funktioniert und Italien günstigere Kredite erhält. Der Plan sieht vor, dass der EFSF für 20 bis 30 Prozent der Anleihen die Garantie übernimmt - und die Papiere für Investoren attraktiver werden.

Auf Dauer kann sich Rom Zinsen über 6,5 Prozent nicht leisten - die Hürde ist seit Wochen überschritten. Im Frühjahr 2012 stünde eine Belastungsprobe an - von Februar bis April 2012 stehen fast 140 Milliarden Euro an Altkrediten zur Rückzahlung an.

Es klingt zynisch, aber: Die Lage ist so schlimm, dass es fast nur besser werden kann. Weil derzeit ohnehin niemand in europäische Staatsanleihen investiert. "Weniger als nicht präsent sein können Investoren nicht. Pensionsfonds haben schon verkauft, Banken haben Staatsanleihen abgestoßen. Derzeit kauft fast nur die EZB und einzelne Hasardeure", so Breuss.

Option von Zwangsanleihen

Sollten alle Reformpläne scheitern und sich für die Eurostaaten weiterhin keine neuen Finanzierungsquellen auftun, blieben nur radikale Notlösungen. "Das würde allerdings fast kriegsartigen Zuständen gleichkommen", betont Breuss. Zwangsanleihen wären eine Option, die man hierzulande bisher nur aus Nachkriegszeiten kannte. Dabei würde der Staat per Gesetz alle vermögenden Personen und Institutionen verpflichten, staatliche Schuldpapiere zu einem extrem niedrigen Zinssatz zu kaufen. Die Differenz zum Marktzins wäre gewissermaßen eine Notsteuer, die eingehoben wird - vorausgesetzt, der Staat zahlt die Papiere zurück und sie werden nicht wie in den 1920ern von der Inflation "aufgefressen".

Das andere Szenario wäre das Zerfallen der Währungsunion und eine Rückkehr zumindest einiger Länder zu nationalen Währungen. Europa könnte den aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China und Indien oder der Dollarmacht USA in einer globalisierten Welt kaum mehr adäquat Paroli bieten.

Die Unternehmen würden die Folgen spüren, Österreich müsste einen Wohlstandsverlust hinnehmen: Laut Breuss ginge ein jährlicher Wachstumseffekt von 0,4 Prozentpunkten durch den Euro-Beitritt verloren. Die Wirtschaftsleistung würde pro Jahr um gut eine Milliarde Euro geringer ausfallen. Die Währung macht übrigens einen Großteil des Nutzens aus: Seit dem EU-Beitritt betrug der Wachstumseffekt insgesamt 0,6 Prozentpunkte.

Das Ende des Projektes Europa wäre das nicht: "Wir würden aber auf das Niveau des Binnenmarktes, quasi auf 1998, zurückgeworfen", sagt Breuss.

Schockwellen in Finanzwelt

Umstritten ist, wie dramatisch die Folgen für die hoch verschuldeten Problemländer wären, deren Währungen massiv abgewertet würden. Der Ökonom Max Otte (Karl-Franzens-Universität Graz) plädiert dafür, diese Länder nach einer Umschuldung aus der Eurozone zu entlassen: "Natürlich wäre es kein einfaches Unterfangen, die Drachme, den Escudo, die Peseta und das Irische Pfund wieder einzuführen. Aber es ist möglich." Die Länder blieben Mitglieder der EU und könnten durch die Währungsabwertung ihre Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen.

Skeptiker warnen, dass Staatspleiten selten so glatt verlaufen - schon gar nicht in Finanzmärkten, die so eng verwoben sind wie der europäische. Welch unkontrollierbare Schockwellen da entstehen können, haben die Tage und Wochen nach der Lehman-Pleite gezeigt: Die Finanzwelt verfiel in Schockstarre. Deshalb darf sich auch Österreich nicht in falscher Sicherheit wiegen: Die Folgen eines Dominoeffektes unter den Banken wären in allen Ländern massiv zu spüren.