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Der synchrone geldpolitische Straffungszyklus der Zentralbanken gewinnt an Fahrt.
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Vor dreizehneinhalb Jahren, Ende 2008, startete die US-Notenbank Fed eines der meistdiskutierten Experimente der Finanzgeschichte: die quantitative Lockerung des öffentlichen Sektors. Mit Leitzinsen an der Nulllinie und der direkten Zuführung von Liquidität ins Finanzsystem durch groß angelegte Ankäufe von Vermögenswerten wollte sie das Bankensystem entlasten und so eine Umkehr der extremen Kreditkrise herbeiführen, die das Funktionieren der Wirtschaft bedrohte.
Der Liquiditätsschub der Zentralbank löste sofort eine Liquiditätszufuhr durch den privaten Sektor aus. Der Nicht-Finanzsektor erhielt grünes Licht, und die Fremdkapitalmärkte legten einen höheren Gang ein und stellten Mittel für alle Kreditsektoren bereit. Die Banken vermittelten erfolgreich an den kreditbedürftigen Unternehmenssektor. Dieses Konzept inspirierte die Zentralbanken der entwickelten Länder in den folgenden zehn Jahren. Die globale Liquidität geriet in einen permanenten Überschusszustand.
Im März 2020, als die globale Pandemie ausbrach, ging die Liquiditätsversorgung in die Vollen, da neben den Zentralbanken auch die Regierungen in Form diverser einkommensunterstützender Initiativen für Haushalte Helikopterhilfe leisteten. Im Nachhinein betrachtet haben die Zentralbanken die in den vergangenen zwei Jahren zugeführte Liquidität zu spät zurückgezogen. Dennoch müssen die Auswirkungen der Überstimulierung - ein überhitzter Arbeitsmarkt und eine außer Kontrolle geratene Inflation - nach der Pandemie behoben werden.
Da der synchrone geldpolitische Straffungszyklus der Zentralbanken der Schwellenländer (ab 2021) und der Industrieländer (ab 2022) an Fahrt gewinnt, steigt das Risiko, dass die Liquiditätsprobleme in eine Liquiditätskrise münden. Die Frage ist, ob wir das Risiko richtig eingeschätzt haben. Sobald wir in eine Liquiditätskrise geraten, ist eine Kreditklemme nicht mehr weit entfernt. Betrachten wir dazu kurz die Indikatoren, die die globalen Liquiditätsbedingungen beeinflussen.
Nervosität an Aktienmärkten hat sich keineswegs gelegt
Erstens hängt der Hauptindikator zur Messung der globalen Liquidität oder der Leichtigkeit der Finanzierung von der Höhe der kurzfristigen Zinssätze ab. Im Laufe des Vorjahres leiteten die aufstrebenden Volkswirtschaften präventiv einen Leitzinserhöhungszyklus ein, der bis heute anhält. Die Zentralbanken der Industrieländer folgten im ersten Quartal 2022. Den derzeitigen Marktpreisen zufolge werden die Zentralbanken die angestrebten Leitzinsniveaus um den Sommer 2023 herum erreichen. Einige Schwellenländermärkte zeigen Anzeichen für eine Lockerung im Laufe des Jahres 2023. Für Fed und EZB liegen die höchsten Schätzungen bei 3,5 beziehungsweise 2 Prozent.
Eine regelbasierte Geldpolitik ist in einem von Schulden geprägten globalen Wirtschaftsumfeld nicht zweckmäßig. Solche Regeln, selbst wenn sie auf defensiven Kerninflationswerten beruhen, erfordern eine Anhebung der Leitzinsen um etwa 1 Prozent über die genannten Spitzenschätzungen hinaus in Richtung 4,5 Prozent in den USA und 3 Prozent in der Eurozone.
Der zweite Indikator zur Beurteilung der Liquiditätslage sind die Bewertungen der Vermögenswerte, die sich seit Jahresbeginn drastisch angepasst haben. Die längerfristige, zyklusübergreifende durchschnittliche US-Zinserwartung erreichte etwa 3 Prozent. Das entspricht fast dem durchschnittlichen Niveau nach der großen Finanzkrise 2008. Wir haben an den globalen Aktienmärkten eine Tendenz zur Umkehr des Mittelwerts beobachtet, die hauptsächlich auf die mehrfachen Kontraktionen zurückzuführen ist.
Ein weiterer Rückgang der Bewertungen wird Gewinnanpassungen erfordern, da der Druck auf die Margen nicht angemessen bewältigt werden kann. Man denke nur an die zu hohe Inflation, die nur schwer auf die Kunden abgewälzt werden kann, oder an Gehaltserhöhungen, um Talente zu halten. Die Jury ist hier noch unentschieden, da eine makroökonomische Einschätzung zu komplex ist.
Der dritte Indikator für die globale Liquiditätslage sind die sogenannten Unsicherheitsindizes. Laut diesen hat sich die Nervosität an den Aktienmärkten keineswegs gelegt. Um wieder ein stabileres Niveau zu erreichen, ist eine starke Steigerung der Liquiditätsverhältnisse erforderlich. Die aktuellen Messwerte zeigen, dass die Liquiditätsbedingungen für stabile Aktienmärkte nicht förderlich sind. Die Unsicherheit ist nach wie vor groß, und die Risikobereitschaft könnte erst wieder zunehmen, wenn wir uns dem angestrebten Leitzinsniveau nähern.
Banken haben Kapitalpuffer seit Finanzkrise verdreifacht
Steigende Risikobereitschaft könnte ein Thema des nächsten Jahres sein. Die Teilnehmer an den Anleihemärkten müssen sich sowohl auf der Käufer- als auch auf der Verkäuferseite an das derzeitige Volatilitätsumfeld gewöhnen. Es ist eine Situation gewöhnen, die in den 1990er Jahren üblich war. Alles in allem können wir feststellen, dass die Anleihe- und Kreditmärkte heute eine höhere Anpassungsfähigkeit an strengere Liquiditätsbedingungen aufweisen als die Aktienmärkte.
Der vierte und letzte Indikator umfasst die Geldmenge, die Kapitalströme, die internationalen Reserven und das (grenzüberschreitende) Kreditwachstum. Das Geldmengenwachstum steht eindeutig unter Druck, da die Zentralbanken ihre Bilanzen abbauen. Die Fed hat vor kurzem damit begonnen, die EZB wird ihr aktives "Quantitaive Easing" Ende des Monats beenden. Wenn das "Quantitaive Easing" des öffentlichen Sektors ausläuft, wird es von entscheidender Bedeutung sein, dass das Kreditwachstum des privaten Sektors die Oberhand gewinnt. Banken und Unternehmen müssen das Vertrauen haben, alleine zurechtzukommen, ohne die Hilfe der Zentralbanken, die die Verantwortung tragen.
Die Banken haben ihre Kapitalpuffer seit der Finanzkrise verdreifacht. Die Bankenaufsichtsbehörden drängten auch auf die Einhaltung der hochliquiden Schwellenwerte für das "Business as usual". Tatsache ist jedoch, dass die Banken sowohl bei der kurzfristigen Finanzierung als auch bei der Wahrnehmung ihrer Disintermediationsfunktion für die langfristige Unternehmensfinanzierung viel Unterstützung erhielten. Ohne die Unterstützung attraktiver und unbegrenzter langfristiger Refinanzierungsgeschäfte, die die Bankbilanzen bis weit in die Zukunft hinein sichern, bleibt abzuwarten, wie die Bankenleitungen ihre Risikobereitschaft aufrechterhalten. Die Verfolgung der Wachstumsraten der Bankkredite in der EU und den USA ist ein Muss. Solche Indikatoren können frühe Anzeichen für Komfort oder Stress sein.
Einige Schwellenländer in Finanzierungsschwierigkeiten
Im Durchschnitt sind die Bilanzen der Nicht-Finanzunternehmen gesund. Auf der staatlichen Ebene zeigt sich, dass einige Schwellenländer in Finanzierungsschwierigkeiten geraten sind. Die Kreditfazilitäten des Internationalen Währungsfonds werden in Anspruch genommen. Währungs-Swap-Linien der Zentralbanken sind zu einer ständigen Einrichtung geworden. Die chinesische Zentralbank ist vorsichtig und stellt ihrem Bankensystem mehr Liquidität zur Verfügung, wobei sie die regionalen Liquiditätsbedingungen genau im Auge behält.
Dieser vierte Indikator wird relevant, wenn die öffentlichen Liquiditätsanbieter in der westlichen Welt (also die Notenbanken der Industrieländer) die Bühne verlassen. Können Banken und Unternehmen verhindern, dass sich die Liquiditätsprobleme zu einer Liquiditätskrise ausweiten? Seit der Finanzkrise haben sich die Ersparnisse, die von den Finanzmärkten recycelt wurden, gut entwickelt. Betrachtet man jedoch die festverzinslichen Sektoren, so wurde fast die gesamte Performance seit Anfang 2015 aufgrund der seit dem vierteln Quartal 2021 steigenden Renditen wieder abgegeben. Zum Glück blicken ausgewogene Portfolio-Lösungen immer noch auf anständige annualisierte Renditen zwischen 3,5 und 4,5 Prozent zurück. Dennoch war der Schaden über 2022 hinweg destabilisierend.
Die globalen Liquiditätsbedingungen werden einer harten Prüfung unterzogen. Die Märkte und Finanzakteure befinden sich in einer Anpassungsphase, die noch ein weiteres Jahr andauern könnte, bevor sich die Turbulenzen legen. Die Ausführungsrisiken sind hoch, da die Zentralbanken ihre übermäßige Liquiditätsbereitstellung in Richtung "normal" zurückfahren. In dem Moment, in dem die Liquiditätsschwierigkeiten in eine Liquiditätskrise umschlagen sollten, würde Alarmstufe Rot ausgelöst. Solche Ereignisse würden schnell zu Kreditschwierigkeiten und Krisenbedingungen führen, die äußerst deflationär wären.