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Droht "Super-Gau" der Gesundheits-Politik?

Von Werner Grotte

Politik

+++ Keine Opiate mehr als Substitution? | Angeblicher Missbrauch kaum belegt. | Wien. "Wir stehen vor einem gesundheitspolitischen Super-Gau, es droht ein Rückschritt um Jahrzehnte für Österreichs Drogentherapie", kommentiert der Leiter des Ludwig Boltzmann-Institutes für Suchtforschung, Alfred Springer, die neuesten Pläne von Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (VP) zur Verschärfung der Opiat-Substitutionsbehandlungen.


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Grund dieser Warnung: Mit einer vom Ministerium vorgesehenen Änderung der Suchtgiftverordnung soll schon in den nächsten Monaten der Zugang zu legalen Opiat-Ersatzdrogen (Methadon, Substitol, Subotex, Vendal) massiv erschwert werden. Argument: "Missbrauch und Schwarzhandel", wie es Bundesdrogenkoordinator Franz Pietsch formuliert.

So nehme das sogenannte "Doctor Shopping", wobei sich Patienten von mehreren Ärzten parallel solche Medikamente verschreiben lassen, stark zu. Konkrete Zahlen dazu bleibt das Ministerium aber schuldig, ebenso wie zum angeblich blühenden Schwarzmarkt.

Berufsbehinderung

Auch die Zahl jener Substituierten, die im Rahmen des Programmes wieder sozial integriert wurden und einer Arbeit nachgehen, will man nicht kennen. Drogenspezialisten wie Hans Haltmayer vom Wiener "Ganslwirt" sprechen von einer "nicht zu unterschätzenden Gruppe". Wie berichtet, wird auch das kontinuierliche Älterwerden von Drogenkonsumenten direkt mit der Substitution in Zusammenhang gebracht.

Dennoch soll auch für berufstätige Patienten, die ihre Arznei bisher für eine Woche mitbekamen, bald vieles anders werden: Etwa die Auflage, sich das Medikament wieder täglich in der Apotheke abholen und unter Aufsicht des Apothekers einnehmen zu müssen. Urlaubsreisen würden dadurch ebenfalls unmöglich.

Bis zu 30.000 Betroffene

Die Gruppe der Opiatabhängigen bundesweit wird auf etwa 30.000 geschätzt, in Wien leben 10.000 davon. Österreichweit nimmt bereits ein Drittel, in Wien sogar die Hälfte aller Abhängigen an einem Substitutionsprogramm teil. Im Vergleich: 2,3 Millionen Österreicher rauchen, 330.000 sind alkoholkrank und 110.000 sind arzneimittelabhängig.

In einer gemeinsamen Erklärung protestierten am Montag Medizin-, Drogen-, Sucht- und Strafrechtsexperten gegen die Verschärfung am Drogensektor. Grundtenor: "fachlich durch nichts gerechtfertigt". Etwa das vom Ministerium erwogene Verbot retardierender Morphine. Gerade diese seien durch ihre Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Suchtstoff bei vielen Patienten sehr erfolgreich bei der Behandlung (siehe Grafik).

So verwehre man sich seitens der Ärztekammer gegen das nun per Verordnung verstärkte Recht schlechter ausgebildeter Amtsärzte, "sich in die Patientenbehandlung niedergelassener Mediziner einzumischen und diese notfalls aufzuheben, klagt Sprecher Rolf Jens.

Kollege Haltmayer warnt davor, Abhängigen den Zugang zu Ersatzdrogen zu erschweren oder gar zu verbieten: "Damit drängt man die Leute wieder in die Illegalität mit allen Konsequenzen wie Beschaffungskriminalität, Überdosen, HIV- oder Hepatitis-Infektionen". Die Folgen für Patienten wie Steuerzahler wären äußerst negativ.

Wann die neue Verordnung in Kraft tritt, macht Pietsch von der "Einarbeitung der Stellungnahme der Ärztekammer" abhängig. Diese wurde dem Ministerium am Montag mit breiter Ablehnung übermittelt.