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"Drohungen sind normal"

Von Veronika Eschbacher

Politik
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Sohail sorgt sich um die Zukunft der Medien, sieht das Land aber auf eigenen Füßen stehen.
© privat

Afghanische Journalisten befürchten Mediensterben bei Truppenabzug.


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Mit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan 2014 gehen auch wichtige Hilfsgelder für das Land am Hindukusch verloren. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Sanjar Sohail, Chefredakteur und Eigentümer der größten afghanischen Tageszeitung "Hashte Sob", über Entwicklungen der Medienlandschaft, Presse- und Redefreiheit in einem Kriegsgebiet und die Herausforderungen, mit denen afghanische Journalisten täglich zu kämpfen haben. Der 31-Jährige und sein 2007 gegründetes Medium wurden mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Press Freedom Prize 2012.

"Wiener Zeitung": Was sind die größten Errungenschaften innerhalb der afghanischen Medienlandschaft seit 2001?Sanjar Sohail: Zu den größten gehört einerseits unser einzigartiges, hervorragendes Mediengesetz, das sicherlich als das fortschrittlichste in der ganzen Region gelten kann. Gleichzeitig ist die Medienindustrie sehr schnell gewachsen, dadurch haben heute Afghanen quer durch das Land Zugang zu verschiedensten Medien. Wegen der hohen Analphabetenrate freilich werden TV und Radio am meisten konsumiert. Aber vor allem in großen Städten wie Kabul, Herat oder Kandahar wachsen auch die Leserzahlen von Zeitungen.

Können Sie ohne Einschränkung über alles berichten?

Wir können prinzipiell über alles schreiben, haben zum Glück keine Zensur und auch keine Journalisten in Gefängnissen sitzen. Es gibt ein paar Einschränkungen vom Mediengesetz. Wir dürfen etwa nicht gegen Religionen schreiben, gegen die nationale Einheit des Landes oder über Themen, die die nationale Sicherheit betreffen, können also Details von Sicherheitsoperationen nicht erläutern.

Mit welchen Herausforderungen kämpfen Sie und Ihre Kollegen in der täglichen Arbeit?

Die Redefreiheit ist für Afghanistan und uns relativ neu. Unter den Sowjets, in der Bürgerkriegszeit oder unter den Taliban gab es sie nicht. Mankos im afghanischen Journalismus gibt es auch wegen fehlender Erfahrung und mangelndem Professionalismus. Zudem haben wir nach wie vor keinen "Access to Information Act", also kein ausformuliertes Gesetz, das den Zugang zu staatlichen Informationen genau regelt.

Berichten Sie und Ihre Kollegen aus allen Ecken Afghanistans?

Es ist schwierig, in die Kriegsgebiete zu fahren. Mangelnde Sicherheit und die geringe Präsenz von staatlichen Strukturen in manchen Regionen sind auch für uns eine große Herausforderung. Warlords, Drogendealer und mächtige Regionalkommandeure versuchen, den Zugang zu Informationen für Journalisten in entlegeneren Gebieten einzuschränken. Vor allem Berichte aus den Gebieten, die von Taliban kontrolliert werden oder wo sie präsent sind, sind schwierig.

Ist die Arbeit von Journalisten in Afghanistan angesehen?

Ja. Es gab Untersuchungen, in denen die meisten Befragten angaben, dass Medien Auswirkungen auf ihr tägliches Leben haben. Nach Unterhaltung wird bereits an zweiter Stelle politische Berichterstattung gefragt. Aber auch auf die Politik hat unsere Arbeit Einfluss. Vorige Woche haben wir einen großen, investigativen Bericht über den afghanischen Bergbausektor publiziert. Daraufhin wurde der Bergbauminister ins Parlament zitiert und fast seines Amtes enthoben. Wir haben auch viele Anrufe aus allen Landesteilen von der Bevölkerung bekommen, die sich dafür bedankten oder schockiert waren über die Vorgänge im Bergbauministerium.

Erhalten Sie Drohungen nach solchen Berichten?

Drohungen sind etwas sehr Normales in einem Land wie Afghanistan. Wir leben nun mal in einem Konfliktgebiet. Meist ist es schwer herauszufinden, wer uns konkret bedroht. Manche lassen ihre Drohungen gar über unseren persönlichen Freundeskreis an uns ausrichten.

Diese Woche gab es Proteste von afghanischen Journalisten in Jalalabad, die die Nase voll haben von den täglichen Berichten über Anschläge und Depressionen beklagen. Spüren Sie eine ähnliche Müdigkeit bei Ihren Kollegen?

Ja. Es gibt eine starke Kriegsmüdigkeit, aber die betrifft alle Afghanen. Hinzu kommt, dass die Regierung nicht die entsprechende Kapazität hat und oft auch nicht den Willen zeigt, zu reagieren, wenn wir Missstände aufdecken.

Wie wichtig ist es, ohne Ausnahme über alle Sicherheitszwischenfälle zu berichten?

Sehr wichtig. Einerseits garantiert die afghanische Verfassung ihren Bürgern den Zugang zu Informationen. Gleichzeitig sind Berichte über alle Zwischenfälle wichtig, weil sie eine richtige Lageeinschätzung ermöglichen - über die Fähigkeiten der Regierung, aber auch der Taliban.

Viele Medien sind bei der Finanzierung auf internationale Gelder angewiesen. Wie wird es 2014 für die afghanischen Medien weitergehen?

Wenn die internationalen Truppen das Land verlassen, dann werden wir zweifelsohne manche unserer Medien verlieren. Dieser Prozess hat schon begonnen und wird sich in der Zukunft noch beschleunigen. Vor allem für unabhängige Medien wird es eng.

Wie sehen Sie als Journalist die Berichterstattung über Afghanistan und seine Zukunft im Ausland?

Ich beobachte wachsenden Pessimismus innerhalb der internationalen Medien. Manche von ihnen berichten schon über gewisse Realitäten, aber es ist sehr schwierig, ein tiefes Verständnis für die Vorgänge während eines einwöchigen Trips nach Afghanistan zu bekommen. Natürlich gibt es auch pessimistische Afghanen. Man darf aber nicht vergessen, dass wir in den letzten Jahren vieles erreicht haben, worauf wir aufbauen können. Das ist unser Potenzial, genau so wie unser Rohstoffreichtum. Wenn wir es schaffen, ein besseres Umfeld zu kreieren und unsere Potenziale transparent zu managen, werden wir auf eigenen Füßen stehen.