Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) morgen ihren Kurs hält, dürfte EZB-Chef Wim Duisenberg Ende der Woche eine ungemütliche Reise nach Washington bevorstehen. Der Ruf nach einer Zinssenkung im Euroraum beim Frühjahrstreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
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IWF-Direktor Horst Köhler hat es in Berlin Anfang des Monats deutlich gesagt - und am Dienstag wiederholt; der amerikanische Finanzminister Paul O'Neill und US-Notenbankchef Alan Greenspan in der für ihn üblichen verklausulierten Form auch: die US-Wirtschaft, seit Jahren Motor der Weltkonjunktur, stottert, und die Euro-Länder machen keine Anzeichen, den Stab zu übernehmen.
Umso mehr habe die EZB nun die Verantwortung, mit billigerem Geld für einen Wachstumsimpuls zu sorgen. "Eine Zinssenkung würde der europäischen Wirtschaft mit Sicherheit helfen", sagte Köhler. Beim EU-Finanzministertreffen in Malmö scherte der österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser sogar aus der üblichen Zurückhaltung aus und forderte massiv die Senkung des Zinssatzes von derzeit 4,75%.
Am Samstag setzen sich die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben wichtigsten Industrienationen (G-7) am Rande der Frühjahrstagung zusammen. Hauptthema ihrer Beratungen: Wie ist der schwächelnden Weltwirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen? Der IWF veröffentlicht morgen, Donnerstag, seinen nächsten Weltwirtschaftsausblick. Wie trotz strenger Geheimhaltung schon durchsickerte, wird die Prognose darin deutlich nach unten korrigiert - für die Euro-Länder von 3,4% im Herbst auf wahrscheinlich nur noch 2,4%. Im Herbst hatte der IWF der Weltwirtschaft noch eine glänzende Verfassung bescheinigt. Das war allerdings, bevor das Ausmaß des Wachstumseinbruchs in den USA bekannt wurde. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres wuchs die US-Wirtschaft gerade noch um 1%. Alles deutet darauf hin, dass das Ergebnis für das 1. Quartal dieses Jahres noch magerer ausfällt.
Das veranlasste Greenspan in der vergangenen Woche zu seiner überraschenden Senkung der Leitzinsen auf 4,5%. Den Geschmack der Börsenhändler hat er damit voll getroffen. Auch wenn die Verfassung der Aktienbörsen kein Gradmesser für die Weltkonjunktur ist, spielt der psychologische Faktor eine große Rolle. In den USA, dem Land der Aktienbesitzer, wächst das Wohlgefühl der Verbraucher in dem Maße, in dem ihr Aktiendepot anschwillt. Wächst die Zuversicht, fließt auch das Geld, und wenn die Nachfrage steigt, gehen auch die Investitionen wieder hoch, kalkuliert Greenspan. Die Verbraucher tragen mit ihren Ausgaben zwei Drittel der US-Wirtschaft. Aber auch der alte Fuchs Greenspan weiß, dass er die Weltkonjunktur mit Zinssenkungen nicht im Alleingang flott machen kann. Vergangene Woche verwies die US-Notenbank ausdrücklich auf die Abschwächung des Wachstums in Europa als einen Grund dafür, den Geldhahn weiter zu öffnen. Auch wenn die Preisstabilität höchstes Gebot sei, die Gefahren des Wachstumseinbruchs seien im Moment schwerwiegender, befand die Fed - und das bei einer Jahresteuerungsrate von 4%. Ein ähnliches Statement erhoffen Banker, Börsianer und Unternehmer auch von der EZB.
Doch Duisenberg warnte am Wochenende in Malmö erneut vor Inflationsgefahren. Er will die Teuerungsrate in Euroland von derzeit 2,6% unbedingt unter die 2%-Marke drücken. Eine Zinssenkung beim morgigen EZB-Rat scheint da unwahrscheinlich - Duisenberg muss sich in Washington auf einiges gefasst machen.