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"Druck auf Griechenland ist beispiellos"

Von Siobhán Geets

Politik

EU-Kommissar Christos Stylianides über finanzielle Hilfe für die Flüchtlingsversorgung in den Aufnahmeländern, die humanitäre Krise am Balkan und die Rolle der Türkei.


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"Wiener Zeitung": Krisenherde wie im Nahen Osten oder in Afrika sind der EU schon lange bekannt. Haben wir zu lange weggesehen?Christos Stylianides: Im Nahen Osten und in Afrika sind wir seit Jahren als EU präsent - durch unsere Entwicklungszusammenarbeit, aber auch mit humanitärer Hilfe, die wir seit Ausbruch des Krieges in Syrien konsequent hochgefahren haben. Ich kooperiere mit EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn, um einen neuen Plan zu entwerfen, wie Helfer aus dem humanitären Bereich und jene aus der Entwicklungszusammenarbeit besser zusammenarbeiten können. Wir haben bereits zwei wichtige Instrumente als europäische Antwort auf diese Krisen gefunden: Der Madad Fonds kommt den Aufnahmeländern in der Syrienkrise zugute, der Notfonds für Afrika ist vor allem für die Staaten der Sahelzone in Afrika gedacht.

Wie erfolgreich ist die Marinemission Sophia, mit der Schlepper vor der libyschen Küste bekämpft werden?

Mit dieser Operation bekämpfen wir das Geschäftsmodell jener, die vom Leid und der Verzweiflung von Migranten profitieren. Es handelt sich um einen Teil einer größeren Strategie, zu der auch die Kooperation mit unseren afrikanischen Partnern, speziell in der Sahel-Zone, sowie unsere Arbeit mit der Internationalen Organisation für Migration und dem UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR gehört. Die EU engagiert sich für die Rettung von Menschenleben, das ist das Prinzip alles unserer Aktionen. Wir sind fest entschlossen, die Netzwerke der Schlepper aufzulösen und uns mit den Ursachen für Migration zu befassen.

Österreich zählt zu den Staaten, die am wenigsten für humanitäre Hilfe zahlen. Wie kann man Länder überzeugen, mehr beizutragen?

Die Menschen in Europa und die politische Elite haben verstanden, dass europäische Kooperation wichtig ist. Deshalb fördern wir die Unterstützung für den Katastrophenschutz und entwickeln neue Instrumente. Die Europäische Union gehört zu den größten Spendern für Hilfe in Syrien und den Nachbarländern wie Jordanien, Libanon und Türkei - bisher waren es mehr als fünf Milliarden Euro für humanitäre Hilfe, Entwicklung und Stabilität. Vor zwei Wochen haben wir zudem den Europäischen Ärztekorps auf den Weg gebracht - das war eine Lektion, die wir aus der Ebolakrise gelernt haben. Jeder Mitgliedstaat kann zu diesem innovativen Instrument beitragen. Österreich spielt im Katastrophenschutz eine wichtige Rolle und hat schon positiv auf unsere Anfrage, Unterstützung zu liefern, reagiert.

Sie haben also schon mit Außenminister Sebastian Kurz und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner darüber gesprochen?

Sie haben schon positiv auf alle unsere Anfragen zum Katastrophenschutz geantwortet. Das war mir auch sehr wichtig. In den kommenden Tagen, auf der Basis der Ergebnisse des letzten Europäischen Rates, werden wir sehen, was wir konkret tun können, um humanitäre Hilfe innerhalb Europas zu leisten. Als verantwortlicher Kommissar möchte ich durch die europäischen Hauptstädte reisen, um zu besprechen, was im Sinne der gemeinsamen Verantwortung getan werden kann. Ich werde in Berlin anfangen und bald auch wieder nach Österreich kommen.

Österreichs Entscheidung zu Einreisebeschränkungen für Flüchtlinge nährt die Befürchtung, dass es zu einem Stau auf der Balkanroute kommt.

Wir bereiten uns auf eine humanitäre Krise am gesamten Westbalkan vor. In der Türkei helfen wir mit dem Aktionsplan, in Griechenland versuchen wir, einen Anstieg des Flüchtlingsstroms zu vermeiden. Auf der Grundlage dessen, was der Europäische Rat beschlossen hat, werde ich nun den legalen Rahmen festlegen.

In Griechenland droht eine humanitäre Krise.

Die EU lässt Länder, die die größte Last tragen, nicht im Stich. Der Druck auf Griechenland ist beispiellos. Wir suchen stets nach Wegen, Griechenland und andere überlastete Staaten zu unterstützen. Nach dem vergangenen Treffen des Europäischen Rates zum Thema Migration werden wir nun einen Vorschlag darüber, wie humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in Europa umgesetzt werden kann, auf den Tisch legen. Wir arbeiten sehr hart und ich kann nur wiederholen, dass es nur eine europäische Lösung geben kann.

Wie kann der Strom nach Europa überhaupt reduziert werden?

Wir müssen uns mit den Fluchtursachen auseinandersetzen. Die humanitäre Hilfe für Syrien, die durch das Münchner Abkommen ermöglicht wurde, ist ein wichtiger erster Schritt. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir bereits Hilfe für die belagerten Orte in Syrien liefern konnte. Gleichzeitig müssen wir unseren Aktionsplan in der Türkei implementieren und dafür sorgen, dass nicht noch mehr Menschen über die Balkanroute kommen, damit wir eine humanitäre Katastrophe verhindern können. Hier ist die Türkei ein Schlüsselfaktor, deshalb der Türkei-Aktionsplan. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, EU-Kommissar Johannes Hahn und ich waren schon einige Male in der Türkei, um uns ein Bild darüber zu machen, was gebraucht wird.

Der Druck auf Athen wächst. Wie aber kann Griechenland seine Grenzen schützen, also Flüchtlinge abhalten, wenn Frontex und Nato sie in der Ägäis aufgreifen und nach Piräus bringen?In Griechenland sehen wir große Verbesserungen, gerade was die Hotspots betrifft. Zweitens gibt es Vorbereitungen auf den erwarteten Anstieg des Zustroms ab Frühling. Drittens sind die Verantwortung und die Verpflichtung der Griechen als europäisches Land unverhältnismäßig. Ich halte es wie Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der gesagt hat: "Kein europäisches Land kann dieses Problem alleine lösen." Deshalb brauchen wir eine europäische Lösung, die Teil einer globalen Antwort sein muss. Es handelt sich ja nicht um eine rein europäische, sondern um eine globale Krise.

Ich verstehe aber immer noch nicht, wie Athen seine Grenzen schützen soll, wenn die Flüchtlinge in der Ägäis aufgegriffen und ans griechische Festland gebracht werden. Da geht es ja nicht um Grenzmanagement.

Verlieren wir uns nicht in Details!

Das ist aber ein ziemlich wichtiges Detail.

Ja, aber es liegt nicht in meiner Zuständigkeit - ich bin für die humanitären Konsequenzen der Flüchtlingsströme zuständig. Mein persönlicher Zugang ist, dass die Nato-Mission gemeinsam mit Frontex unsere Möglichkeiten erhöhen wird, die griechisch-türkische Zusammenarbeit zu verbessern. Nach den Gesprächen mit der Türkei am 7. März werden wir eine bessere Perspektive darauf haben, wie wir diese Krise auf europäischer Ebene lösen können.

Die EU, so scheint es, ist zerstrittener als je zuvor. Was bedeutet das für Ihre Anstrengungen?

EU-Kommissionspräsident Juncker hat gesagt: "Es gibt nicht genug Union in dieser Europäischen Union". Im Angesicht historischer Krisen müssen wir enger denn je zusammenarbeiten. Das ist keine Idealvorstellung, sondern eine Notwendigkeit bei den aktuellen Herausforderungen. Wir sollten aber nicht vergessen, was wir bereits erreicht haben: Ich denke etwa an die drei Milliarden, die die EU und ihre Mitgliedstaaten heuer in die Hilfe für Syrien und die Nachbarländer investieren wollen, oder an die drei Milliarden Euro für die Hilfe in der Türkei. Was humanitäre Hilfe betrifft, wächst der Konsens unter europäischen Entscheidungsträgern. Das stimmt mich etwas optimistisch.

Mit Blick auf die aktuelle Situation in der Südtürkei entsteht der Eindruck, dass es der EU die Sprache verschlagen hat. Ankara geht in seinem Feldzug gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK auch gegen die Zivilbevölkerung vor.

Die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini hat die Position der EU klargemacht: Trotz wiederholter Aufforderungen nach Zurückhaltung verschlechtert sich die Sicherheitssituation im Südosten der Türkei, die Bedrohung durch PKK und andere Terrorgruppen an der Grenze stellt die türkischen Behörden vor eine große Herausforderung. Entscheidend ist, Auswirkungen auf die Bevölkerung zu unterbinden. Um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern, müssen sich alle politischen Entscheidungsträger für eine sofortige Waffenruhe aussprechen und zum kurdischen Friedensprozess zurückkehren. Die Fortschritte der vergangenen zwei Jahre dürfen nicht verloren gehen. Die EU ist und war immer schon bereit, jede Anstrengung um eine positive Lösung zu unterstützen.

Zur Person

Christos Stylianides,

geboren 1958 in Nikosia, ist seit November 2014 EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz. In Zypern war er Politiker der konservativen Dimokratikos Synagermos (DISY). Von 1998 bis 1999 sowie ab März 2013 war er Regierungssprecher, im April 2014 trat er jedoch zurück, weil ihn die DISY zu einem ihrer Kandidaten für die Europawahl 2014 benannt hatte. Stylianides war bei der 15. Wintertagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Wien.