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Druck auf Paris und Rom

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Ihre Galgenfrist müssen Frankreich und Italien für weitere Schritte zu mehr Budgetdisziplin nutzen.


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Brüssel. Der Protest hat auch seine stille Seite. Und die kann an Auswirkungen durchaus reich sein. In den sonst gut gefüllten Brüsseler U-Bahn-Stationen herrschte am Montag Leere; Straßenbahnen blieben in der Remise, und auch Busse verkehrten nicht. Auf den Straßen war es dennoch großteils ruhig: So mancher Beschäftigte blieb wegen des Streiks zu Hause. Die Proteste richteten sich gegen die Sparmaßnahmen der neuen belgischen Regierung von Ministerpräsident Charles Michel, die unter anderem eine Heraufsetzung des Pensions-Antrittsalters und mögliche Kürzungen bei Gehältern vorsehen.

Zur selben Zeit, als der öffentliche Verkehr stillstand, berieten im Brüsseler EU-Viertel die Finanzminister der Eurozone über die Regeln für verstärkte Haushaltsdisziplin. An den grundsätzlichen Forderungen änderte sich freilich wenig: Die Länder müssen Schulden abbauen und strukturelle Reformen durchführen. Dazu mahnt nicht nur Deutschland, sondern auch die EU-Kommission. Doch ist mittlerweile auch von einer gewissen Flexibilität des Stabilitätspaktes zur Budgetdisziplin die Rede. Das könnte beispielsweise bedeuten, dass Staaten mehr Zeit zur Verringerung ihres Defizits bekommen.

Eine Galgenfrist haben bereits Frankreich, Italien und Belgien erhalten. Während Rom mit einer wachsenden Staatsverschuldung kämpft, ist in Paris schon klar, dass das Haushaltsdefizit im kommenden Jahr nicht unter die vorgeschriebene Höchstmarke von drei Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt) gedrückt werden kann. Die Kommission hat daher das Risiko einer Verletzung des Stabilitätspaktes und Handlungsbedarf geortet. Dennoch zögert die Behörde noch, Strafmaßnahmen gegen die Länder zu verhängen. Eine Entscheidung darüber hat sie auf den März des kommenden Jahres verschoben. Das haben die Euro-Finanzminister nun gebilligt.

Ärger mit deutscher Mahnung

Zwar ist den Staaten ihre Verpflichtung bewusst, doch ist ihnen nicht jede Mahnung dazu willkommen. So hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende für Verärgerung gesorgt, als sie - sich auf die Bewertung der EU-Kommission berufend - die von Paris und Rom begonnenen Reformen in einem Zeitungsinterview als "nicht ausreichend" bezeichnete. Der italienische Europa-Staatssekretär Sandro Gozi fand die Aussagen "bedauerlich", und der französische Finanzminister Michel Sapin empfahl der Regierung in Berlin, sich um die Probleme des eigenen Landes zu kümmern. Dort ergänzte am Montag ein Regierungssprecher, dass Deutschland "großen Respekt" vor den Anstrengungen der beiden Staaten habe.

Die Zufriedenheit über die Vorhaben hält sich allerdings in Grenzen. Sowohl Frankreich als auch Italien müssen weitere Schritte unternehmen, lautete der Tenor nach dem Treffen der Finanzminister. In jedem Land sei noch Raum für Verbesserungen an der finanziellen Gebarung, betonte Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici. Konsolidierung sei notwendig, fügte der Vorsitzende der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, hinzu. Die Verschuldung und die Defizite hätten sich in der Währungsunion zwar stabilisiert, doch bleibe die Arbeitslosenrate hoch.

Der Druck auf Frankreich und Italien, die zu den größten Volkswirtschaften in der EU gehören, ist dabei besonders hoch. So müsste Paris das strukturelle Defizit um 0,8 Prozent senken, wollte es die Regeln des Stabilitätspaktes nicht brechen. Die Reduzierung würde aber laut aktuellen Prognosen lediglich 0,3 Prozent des BIP betragen. Rom wiederum müsste das Defizit um 0,4 Prozent mehr abbauen als bisher geplant.

Die Staaten haben nun die Möglichkeit, weitere Maßnahmen zu beschließen, die dem eingeforderten Sparkurs entsprechen, oder die Kommission davon zu überzeugen, dass bereits eingeleitete Reformen den gewünschten Effekt bringen werden. Die Zeit bis März sei keine für Bewertungen, sondern für Handlungen, bemerkte Moscovici. Seine Behörde solle "alle notwendigen Schritte" unternehmen, "um die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sicherzustellen", heißt es in der Erklärung der Eurogruppe.

Investitionen in Billionenhöhe?

Um die europäische Wirtschaft wieder anzukurbeln, wollen die EU-Politiker aber auch zu anderen Mitteln greifen. Dazu gehört das von der Kommission angekündigte Investitionsprogramm mit einem Umfang von 315 Milliarden Euro. Dabei soll mit einem Kapitalfonds, gespeist aus Mitteln der EU und der Europäischen Investitionsbank (EIB), das Verlustrisiko für Investoren verringert und entsprechend viel privates Kapital mobilisiert werden. Über das Vorhaben werden die Finanzminister aller Mitgliedstaaten bei ihrer Zusammenkunft am heutigen Dienstag beraten.

Die Initiative könnte umfassender ausfallen als ursprünglich geplant. Denn schon jetzt wurden in den Ländern an die 2000 Projekte eingereicht, mit einem Finanzierungsbedarf von etwa eineinhalb Billionen Euro. Das wäre das Fünffache der zunächst angepeilten Summe. So gibt es in Deutschland knapp 60 Vorschläge mit einem Volumen von rund 90 Milliarden Euro. Im österreichischen Finanzministerium wiederum liegen 19 Projekte bereit, die 28 Milliarden Euro kosten würde.

Welche und wie viele der Vorschläge jedoch realisiert werden, ist noch unklar. Eine Arbeitsgruppe bewertet die Projekte. Bis Mitte des kommenden Jahres, hofft die Kommission, soll der Investitionsfonds so weit einsatzbereit sein, dass mit der Umsetzung der ersten Vorhaben begonnen werden kann. Eine Debatte der EU-Staats- und Regierungschefs über das Investitionsprogramm steht aber schon beim Gipfeltreffen in eineinhalb Wochen an.