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Im Fall George Floyd wurden die Anklagepunkte ausgeweitet. Nun werden alle vier Polizisten angeklagt. Es ist ein Fall, der nicht nur die USA erschüttert, aber ohne die zufällige Video-Aufnahme wäre es bloß bei einer Aktennotiz geblieben.
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Proteste haben Sinn. Auch wenn das von Menschen wie dem US-Präsidenten Donald Trump vielleicht nicht gern gehört wird. Aber mit den beispiellosen Demonstrationen in den ganzen USA anlässlich des Todes von George Floyd, die sich mittlerweile auf Europa und hier bis nach Österreich ausgeweitet haben, scheint es zumindest in seinem Fall Konsequenzen zu geben. Bei unzähligen Polizeiopfern in den USA ist dies nicht der Fall. Dafür sorgt ein ausgeklügeltes Gerichtssystem.
Aber der Reihe nach. Der Tod von George Floyd am 25. Mai wurde zufällig von einem Passanten mit der Handykamera aufgenommen. Ein Polizist, Derek Chauvin, ist fast neun Minuten auf Floyds Hals gekniet, drei andere Polizisten haben Chauvin zum Teil geholfen, zum Teil haben sie den "Tatort" abgesperrt.
Die Polizisten wurden - nach Bekanntwerden des Videos - sofort gefeuert. Das heißt aber in den USA nicht viel. Oft werden nämlich Polizisten, die sofort entlassen werden, später wieder eingestellt. Entweder im selben Job wie vorher oder, wenn es brenzliger ist, in einer anderen Abteilung. Diese Praktik der baldigen Wiederanstellung bei Vorwürfen der Gewalt ist in den USA häufig. Sie würde einen Beitrag dazu leisten, dass Polizisten sich relativ sicher sein können, dass ihr Handeln ohne langfristige Konsequenzen bleibt, schreibt etwa der "Guardian". Auch ist das Feuern eine beliebte Methode, um sich gegen etwaigen Klagen abzusichern.
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Die Proteste rissen aber nicht ab. Das vage Versprechen einer Untersuchung der Polizisten klang nicht vielversprechend. Denn: Wie viele Beweise braucht denn der Staat bis zu einer Anklage, wenn auf dem Video die Tötung eines Bürgers klar und deutlich zu sehen ist? Floyd hatte auf dem Video klar um sein Leben gefleht.
Schließlich wurde der kniende Polizist Chauvin wegen "Totschlags" angeklagt. Die Proteste gingen weiter. Der Fall wanderte in Minnesota weiter zum Generalstaatsanwalt. Und nun gab Keith Ellison bekannt, dass die Anklage gegen Chauvin ausgeweitet wird: Er wird nun auch des Mordes angeklagt, wenngleich nur "zweiten Grades" - er habe den Tod zwar nicht geplant, sondern nur in Kauf genommen. Das ist weit mehr als die fahrlässige Tötung, die bisher im Gespräch war. Auch die anderen drei Polizisten wurden am Mittwoch festgenommen. Sie werden nun auch angeklagt - wegen Beihilfe.
Chauvin drohen bis zu 40 Jahre Haft. Es ist ein Fall, der, wenn er nicht öffentlich gemacht worden wäre, wohl bei den Akten abgelegt worden wäre.
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Polizisten werden äußerst selten strafrechtlich verfolgt. Opfer von Polizeigewalt oder deren Hinterbliebenen versuchen daher immer wieder einmal, den zivilrechtlichen Weg zu gehen. Aber hier hat die Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofs ein System geschaffen, in dem es fast unmöglich ist, Polizisten zu belangen.
Qualifizierte Immunität schützt Polizisten vor Verfolgung
Theoretisch könnte man in den USA Polizisten klagen, wenn sie "exzessive Gewalt" angewendet haben. Denn der vierte Zusatzartikel der Verfassung der USA beschützt die Bürger vor Übergriffen des Staates. Aber um Polizisten wurde durch verschiedene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs eine Sicherheitsmauer errichtet: die "qualifizierte Immunität". Denn, so hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, es reicht nicht nur aus, dem Polizisten "exzessive Gewaltausübung" nachzuweisen, nein, man müsse auch beweisen, dass es schon einen Präzedenzfall gebe. Also in einem Fall wie George Floyd, sollte der vor einem Zivilgericht landen, müssten die Kläger nachweisen, dass es schon einmal ein diesbezügliches Urteil gegeben habe.
Konkret: Es müsste in der Vergangenheit ein Gericht Polizisten verurteilt haben, die sich auf den Hals eines Menschen gekniet haben. Denn erst dann, so hat der Oberste Gerichtshof 2009 entschieden, ist dieses Verhalten erst klar als "nicht gesetzeskonform" einzustufen. Viele Richter, auch Richter am Obersten Gerichtshof, haben sich zwar gegen diese extrem enge Rechtsauslegung ausgesprochen. Aber bisher waren die in der Minderheit.
Neuer "Marsch auf Washington"
Die Organisation ACLU verklagte die Regierung unterdessen vor einem Bundesgericht in Washington wegen des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte. In der Klagschrift hieß es, bei der angeordneten Räumung der Kundgebung vom Montag seien Tränengas und Gummigeschoße gegen Demonstranten eingesetzt worden, die friedlich gegen den Tod Floyds protestiert hätten.
Bei einer bewegenden Trauerfeier für Floyd in Minneapolis kündigte Bürgerrechtler Al Sharpton in Anlehnung an eine legendäre Kundgebung von Martin Luther King im Jahre 1963 zudem für 28. August einen neuen "Marsch auf Washington" an, um gegen Diskriminierung zu protestieren. Martin Luther King hatte damals mit den legendären Worten "I have a dream" (Ich habe einen Traum) die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen eingefordert. (wak)