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Wachsende Herausforderungen am Arbeitsmarkt erfordern eine höhere Qualifizierung.
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Wien. "Ich weiß schon, meine Damen und Herren, das ist alles sehr kompliziert." Fast prophetisch klingt dieser berühmt gewordene Satz aus Fred Sinowatz’ Regierungserklärung von 1983 mit Blick auf den heutigen Arbeitsmarkt. Wer früher - vielleicht nicht gerade 1983, aber ein, zwei Jahrzehnte davor - ein Universitätsstudium abgeschlossen hatte, galt als hochgebildeter Exot mit schier unendlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Heute sieht die Sache anders aus. Der Arbeitsmarkt wird für niedrig gebildete Menschen immer dichter, die Arbeitslosenquote steigt insgesamt, aber vor allem Niedrigqualifizierten oder Menschen ohne Abschluss fällt es immer schwerer, einen Job zu finden. "In Österreich wird, wie in allen westlichen Ländern die Hilfsarbeit immer weniger", sagt die Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Berufsforschung im AMS, Sabine Putz, dazu. "Es gibt überall einen Verdrängungseffekt. Wo früher ein Handelsschüler beschäftigt war, braucht es jetzt einen Wirtschaftsbachelor. Menschen mit niedrigen Qualifikationen sind da stärker gefährdet, arbeitslos zu werden", meint auch der frühere Wissenschaftsminister, ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle. Oder, wenn man es positiv formulieren will: Das erwartete Beschäftigungsplus ist bei Akademikern mehr als zweieinhalb Mal so hoch wie über alle Ausbildungsschichten hinweg.
In einigen Bereichen erwarten AMS und Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo besonders hohe Zuwächse - und zwar in den Sozial- und Gesundheitsberufen sowie im Bildungswesen. Genau in diesen Berufsgruppen kommt es derzeit zu einer zunehmenden Akademisierung, auch im Bereich der Kindergartenpädagogen wird das immer wieder gefordert. Erst im September haben die Sozialpartner in einem gemeinsamen Vorschlag zur Reform der Elementarpädagogik die Ausbildung der Kindergartenpädagogen im tertiären Bereich gefordert. Derzeit werden diese im sekundären Schulwesen in fünfjährigen Ausbildungsanstalten für Kindergartenpädagogik ausgebildet - "die Distanz zu Forschungseinrichtungen ist zu groß. Die Auszubildenden sind auch aufgrund ihres jungen Alters den Herausforderungen und der Übernahme verantwortungsvoller Tätigkeiten in den Einrichtungen vielfach nicht gewachsen", heißt es in dem Papier.
Was aber, wenn dann plötzlich lauter Hochqualifizierte im Kindergarten oder im Spital arbeiten? Führt das nicht, vereinfacht gesagt, dazu, dass sich dann niemand mehr dazu berufen fühlt, mit den Kindern zu spielen oder die Bettlägerigen zu waschen? Es braucht eine Durchmischung, davon sind sowohl Töchterle als auch der Leiter der Abteilung Bildungspolitik in der Wirtschaftskammer, Michael Landertshammer, überzeugt. "Wir brauchen Indianer und Häuptlinge", sagt Landertshammer.
Eine einzige Ausbildung reicht nicht mehr
Dass es zum Beispiel im Pflegebereich aufgrund der neuen technischen Entwicklungen eine akademische Ausbildung brauche, sei trotzdem klar: "Gerade die Intensivpflege ist herausfordernd und kein reiner Hilfsjob", sagt er. "Wenn die Anforderungen steigen, muss die Ausbildung steigen", meint auch Wifo-Forscher Thomas Horvath, der für das AMS die Berufsprognose erstellt. Wenn das Ziel sei, dass die Pflegekräfte die Ärzte entlasten, dann müssten sie auch entsprechend ausgebildet werden.
Es geht also in erster Linie darum, die Jobprofile und damit auch die Ausbildungsmöglichkeiten zu diversifizieren. Dort, wo früher eine einzige Ausbildung gereicht hat, um in einem ganzen Sektor Arbeit zu finden, geht es nun darum, sich weiterzubilden und zu spezialisieren. Nicht nur, aber zunehmend erfolgen diese Spezialisierungen auf akademischem Niveau. Damit mehr Menschen als bisher den Anforderungen des modernen Arbeitsmarkts gewachsen sind, braucht es zunächst einmal eine gute Basisausbildung. Natürlich müsse man zur Kenntnis nehmen, dass nicht jeder für eine akademische Ausbildung geeignet ist, sagt Töchterle. Aber das sei auch Aufgabe des Schulsystems: "Das Schulsystem verlangt vor allem intellektuelle Begabungen; kreative und handwerkliche werden aber kaum gefördert, obwohl die Gesellschaft sie braucht und sie oft auch gut bezahlt werden." Und Landertshammer fordert "endlich eine gescheite Schulreform".
Daneben muss aber auch die sekundäre, postsekundäre und tertiäre Ausbildung durchlässiger gestaltet werden, darin sind sich die Experten einig. "Ausbildungen sind heute in absehbarer Zeit veraltet. Es wäre daher notwendig, das System durchlässiger zu gestalten und die Berufsausbildung mehr in Richtung Matura zu öffnen, aber auch die Matura in Richtung Praxis", sagt Wifo-Forscher Horvath dazu. Das Konzept der Lehre mit Matura sei daher begrüßenswert.
In Österreich wurde erst relativ spät, nämlich ab 1994, mit der Errichtung der Fachhochschulen begonnen, die eine praxisbezogenere akademische Ausbildung versprechen. In Deutschland ist man noch einen Schritt weitergegangen: Dort wurden sogenannte Duale Hochschulen eingerichtet, die größte davon in Baden-Württemberg. Unternehmen können dort gezielt Curricula mitgestalten, die Ausbildung erfolgt zur Hälfte akademisch an der Universität, zur Hälfte in dem Unternehmen. Die Wirtschaftskammer hat in Wien in kleinerem Rahmen ein ähnliches Projekt gestartet: Seit vorigem Jahr können Beschäftigte im Handel - auch ohne Matura - über eine Weiterbildung an der FH Wien einen akademischen Titel erlangen.
Mehr Wertschätzung für die duale Ausbildung
Denn, auch das ist klar: Durch eine Akademisierung steigt automatisch das Ansehen eines Berufs. Vor allem in einem titelverliebten Land wie Österreich. "Die Akademisierung eines Berufsbilds spielt eine gewisse Rolle bei dessen Attraktivierung, manchmal eine fast unberechtigt große Rolle. Wir sollten vielmehr unsere gute sekundäre und postsekundäre Ausbildung mehr wertschätzen, als wir es tun", warnt Töchterle.
Das hat auch die OECD erkannt, die Österreich stets wegen seiner niedrigen Akademikerquote von zuletzt 20 Prozent gescholten hat. Im letzten Bericht "Bildung auf einen Blick" für 2015 wird Österreich ausdrücklich für sein System der Berufsbildung gelobt. Immerhin gelingt es damit, die Jugendarbeitslosigkeit vergleichsweise gering zu halten.
Dennoch: "Es gibt keinen Beruf mehr, den man einmal erlernt und in dem man sich dann nicht weiterbilden muss", sagt Putz. Da müssen dann nur noch die Dienstgeber mitspielen. Immer mehr Firmen könnten aber mittlerweile etwas mit dem Bachelor-Abschluss anfangen, meint Landertshammer. Zur besseren Vergleichbarkeit der Berufe soll im kommenden Jahr ein nationaler Qualifikationsrahmen entstehen, aus dem ersichtlich wird, welche Abschlüsse welches Niveau haben. Dann wird der Bachelor auf einer Stufe mit der Meisterprüfung stehen.
Zur Erinnerung: Alles ist sehr kompliziert.
Serie: Neue Arbeitswelt