Erstmals haben in Wien betroffene Frauen über ein Problem gesprochen, das bis vor kurzem noch kaum bekannt war.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es war eine Premiere: Am Dienstag Abend traten in Wien Mütter vor ein Publikum, deren Söhne und Töchter nach Syrien in den "Heiligen Krieg" gezogen, dort umgekommen oder verschollen sind oder wegen versuchten Terroranschlags eine Haftstrafe absitzen. Organisiert wurde die Veranstaltung von "Frauen ohne Grenzen". Zuvor hatten die Leidensgenossinnen hinter verschlossener Türe über mögliche Wege diskutiert, anderen Müttern die schmerzvolle Erfahrung, ihre Kinder an den Dschihad zu verlieren, ersparen zu können.
Einige Warnsignale, bei denen man hellhörig werden sollte, wurden identifiziert. Ihr Sohn habe sich abgekapselt, sie habe keinen Zugang mehr zu ihm gefunden, beschreibt eine deutsche Mutter, die neben einer Britin, Französin, Belgierin und Kanadierin am Podium saß. In fast allen Fällen war eine radikale Verhaltensänderung feststellbar, veränderte Kleidung und Körpersprache, die Eltern waren plötzlich mit Verschwörungstheorien rund um 9/11 und islamistischen Kampfparolen konfrontiert. Dann war der Sohn, in zwei Fällen auch die Tochter, plötzlich verschwunden - ein SMS oder eine dürre Mail war oft das letzte Lebenszeichen. In allen Fällen waren die Jugendlichen zum Islam konvertiert und besuchten Gebetshäuser.
Keine staatliche Unterstützung
Wobei Religion, auch hier herrschte Einigkeit, nicht das ausschlaggebende Moment war für das, was dann kam. In Wirklichkeit handle es sich um wurzellose, "verlorene Kinder", die verzweifelt Halt und einen Lebenssinn suchten und die im radikalen Islamismus ein System vorfänden, an das sie sich klammern könnten. Alle Mütter wiesen darauf hin, wie wichtig in ihrem Fall die Vernetzung mit Leidensgenossinnen sei - ursprünglich sei man im Regen stehen gelassen worden.
Egal ob in Kanada, Großbritannien oder Deutschland, von staatlicher Seite habe es keine Hilfestellung gegeben, psychologische Dienste hätten mit der Sache ebenfalls keine Erfahrung gehabt und den Müttern, die sich teilweise selbst mit heftigen Schuldgefühlen konfrontierten, nicht helfen können. Ganz allgemein ist das Vertrauen, das Eltern in diesen Fällen in staatliche Stellen haben, sehr gering. Es überwiegt die Angst, das eigene Kind zu diffamieren, an die Obrigkeit auszuliefern. Verdachtsmomente werden nicht artikuliert.
Gegensteuern könne man über das Erziehungs- und Bildungssystem, so die einhellige Meinung, hier könne schon sehr früh Prävention erfolgen. Zudem müsse die Kommunikation zwischen den Betroffenen verbessert werden.
Kinder als Opfer
Als Täter, die in der Absicht, "Ungläubige" brutal zu töten nach Syrien gegangen sind, wollten die Dschihadisten-Mütter ihre Kinder nicht wahrgenommen wissen. Das seien in erster Linie Opfer, "arme junge Menschen", wie es die deutsche Betroffene formulierte. Den ausgefeilten Rekrutierungsstrategien der Islamisten im Internet wird ebenfalls eine bedeutende Rolle zugewiesen. Jene Mutter, deren Sohn einen Terroranschlag verüben wollte und der eine Haftstrafe absitzt, nannte die Bestrafung zwar gerecht und notwendig, betonte aber, dass ihr Sohn in Haft seine Ansichten komplett revidiert habe.
Eine schwedische Muslimin sieht ihre Tochter ebenfalls in erster Linie als Opfer. Die junge Dame habe sich - nach muslimischen Grundsätzen erzogen - in einen Dschihadisten verliebt und sei von diesem gleichsam entführt worden.
Väter fehlten
Die Mütter, darauf wurde im Verlauf der Veranstaltung hingewiesen, haben allein dadurch, dass sie sich einer Öffentlichkeit gestellt haben, enormen Mut bewiesen und bemerkenswert offen gesprochen. Eine österreichische Betroffene fehlte - hier wäre die Stigmatisierung wohl zu unmittelbar gewesen. Allerdings war keine der Frauen bereit, die eigene Rolle als für die Erziehung zumindest Mitverantwortliche öffentlich kritisch zu hinterfragen. Die Dschihadisten-Väter blieben gänzlich geblendet. Ihre Nicht-Anwesenheit dürfte übrigens symptomatisch sein.