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ÖBB-Aufsichtsratschefin Ederer über die Digitalisierungsdividende, Europas Existenzkrise und Kinder mit Tablets.
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Wien. Man muss keine Politikerin sein, um Politik zu machen. Brigitte Ederer ist Aufsichtsratsvorsitzende der ÖBB, Vorsitzende einer Plattform, die sich überlegt, wie der technische Wandel zu gestalten ist, und hat in den 1990ern als Staatssekretärin Österreichs EU-Beitritt mitverhandelt. Heute, 26 Jahre später, steht Europa auf dem Prüfstand. Die Digitalisierung droht eine noch größere Kluft zwischen Wissende und Unwissende zu reißen. Ein Gespräch über den Staat als Unternehmer, soziale Verantwortung und warum Frauen in Führungspositionen ein gutes Mantra brauchen.
"Wiener Zeitung":Von Ihnen soll der Satz stammen: Du bist die Frau Wichtig und machst alles richtig. Wie oft sagen Sie sich das vor?Brigitte Ederer: Der Satz stammt eigentlich von meinem ersten Chef in der Arbeiterkammer, Ferdinand Lacina. Ich war sehr jung und musste in wichtigen Sitzungen die Kammer vertreten. Zum Beispiel zum Thema Baupreise, wo nur ältere Männer aus der Bauwirtschaft vertreten waren. Ich dachte, ich schaffe es nicht, dort die Kammerposition durchzusetzen. Dieser Satz hat mich mein ganzes Berufsleben begleitet und ich bin ihm ewig dankbar dafür. Ich sage mir das mittlerweile seltener als früher, aber es kommt noch immer vor.
Sie haben 2014 den Verkauf der Telekom Austria scharf kritisiert und vor einem "Ausverkauf der OMV" gewarnt. Wieso sehen Sie diese Privatisierungen so kritisch?
Weil ich der Überzeugung bin, dass bei der Infrastruktur - das ist bei der Telekom sowohl das Telefonnetz als auch der Ausbau von Breitband, als auch das Gasnetz bei der OMV - die öffentliche Hand eine maßgebliche Rolle spielen sollte.
Was macht den Staat zum besseren Infrastrukturbetreiber?
Wenn ein großes Unternehmen börsennotiert ist, hat es kurzfristige Kapitalinteressen. Das ist logisch. Aber eine Infrastruktur rechnet sich betriebswirtschaftlich vielleicht nie. Langfristig und volkswirtschaftlicht gesehen rechnet sie sich auf alle Fälle.
Sie haben auch gefordert, dass die Telekommunikations-, Energie- und Verkehrsnetze in einem großen Infrastrukturkonzern zusammengefasst werden, der dann der staatlichen ÖBIB unterstellt ist. Welche Vorteile hätte das?
Das war eine Reaktion darauf, die Netze ja nicht zu verkaufen. Ich glaube, dass es gewisse Synergieeffekte bei Strom und Gas geben könnte. Ich bin aber nicht sicher, ob das für die Straße und die Schiene sinnvoll wäre, weil andere Finanzierungsmodelle dahinterstehen. Die Straßeninfrastruktur wird durch die Maut finanziert und bei den Schienen spielt der Staat eine große Bestellerrolle.
Anderseits wirft man staatlichen Betrieben oft vor, träge und ineffizient zu sein. Kann ein staatliches Unternehmen am globalen Markt, wo bitterer Kosten- und Innovationsdruck herrscht, bestehen?
Ich glaube, die Zeiten, in denen man sagen konnte, staatliche Unternehmen sind träge und bürokratisch, sind vorbei. Es gibt heute hervorragend geführte halbstaatliche Unternehmungen. Ich denke an den Flughafen Wien. Ich wüsste nicht, was man da als Privater besser machen kann. Ich würde auch meinen, dass die ÖBB ein herzeigbares Unternehmen sind. Und bei der Infrastruktur muss man auch volkswirtschaftliche Überlegungen anstellen. Der Schienenausbau von Wien nach Graz lässt sich betriebswirtschaftlich schwer argumentieren. Aber letztendlich bringt er eine Verbesserung der Infrastruktur, und in der Region werden sich wohl auch Betriebe ansiedeln, die besser angebunden sind. In der Geschichte der Menschheit gab es dort eine gute wirtschaftliche Entwicklung, wo es eine gute Infrastruktur gab und wo sich Verkehrswege gekreuzt haben. Das Gleiche gilt auch für den Breitbandausbau.
Themenwechsel: Was denken Sie, würde Henry Ford, der Vater der Fließbandarbeit, heute sagen, wenn er durch eine menschenleere, voll automatisierte Betriebshalle gehen würde?
Er wäre sicher schwer beeindruckt. Dann würde er wahrscheinlich fragen: Wer kauft meine Autos?
Sie sind auch Obfrau der Elektroindustrie und Mitbegründerin der Plattform Industrie 4.0. Die Technologisierung schreitet mit einem ungeheuren Tempo voran, die Digitalisierung verändert nach und nach fast alle Lebensbereiche. Wie soll die Politik darauf reagieren?
Ausbildung und Qualifikation.
Denken Sie, dass Kinder, die heute in die erste Klasse Volksschule gehen, in 20 Jahren genug können, um einen Job zu finden, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können?
Ich habe jetzt Sorgen, weil ein Fünftel der Schüler das System verlässt, ohne sinnerfassend lesen und rechnen zu können. Hier stimmt am System etwas nicht. Es macht mir auch Sorgen, ob wir genug Flexibilität erreichen, dass auch Kinder aus bildungsfernen Schichten eine Chance bekommen. Es beginnt schon damit, dass sich nicht jeder ein Tablet leisten kann und früh lernt, wie man damit umgeht.
Wären Sie Bildungsministerin, welche drei Maßnahmen würden Sie sofort beschließen?
Hätte ich alle Freiheiten, würde ich beschließen, dass sich Kinder nicht schon mit zehn, sondern später für einen Ausbildungsweg entscheiden müssen. Zweitens: Jedes Kind hat Talente. Ich würde dort ansetzen, wo man die Stärken fördert und nicht permanent auf die Schwächen hinweist, weil das demotiviert. Und dann würde ich die Betreuung für Kinder, die zu Hause nicht genug Förderung bekommen, ausbauen. Ganztägig und bis 18. Am Ende des Tages müssen Menschen das Bildungssystem verlassen, die eine Förderung ihrer Talente erfahren haben und nicht jahrelang gehört haben was sie nicht können.
Was geschieht mit einer Gesellschaft, in der immer mehr Aufgaben von Maschinen erledigt werden?
Keine Gesellschaft kann auf soziale Intelligenz und Kommunikation verzichten. Ich bin der Meinung, dass die Nachfrage nach sozialen Berufen steigen wird. Zum einen für die Betreuung von Kindern und für deren Förderung. Aber auch für die Betreuung von älteren Menschen und die Integration von Zuwanderern. Vielleicht ist es sehr bald möglich, dass Züge ohne Lokführer fahren. Vielleicht brauchen wir dann hinten mehr für die Betreuung der Passagiere. Durch die Technologisierung werden auf der einen Seite Arbeitsplätze wegrationalisiert, aber wir brauchen sie mit Sicherheit auf der anderen Seite.
Vielleicht geht diese Rechnung nicht eins zu eins auf. Wie kompensiert man das?
Als ich Stadträtin war, bin ich auf eine Studie gestoßen, die vorhergesagt hat, dass, wenn der Personenverkehr so stark wächst, der Pferdemist unbewältigbar sein wird. Die Studie wurde um 1870 gemacht. Die Frage ist jetzt, wie verteile ich die Digitalisierungsdividende so, dass man auch andere Beschäftigungen finanzieren kann? Es gibt Vertreter des Silicon Valley, die ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern. Ich bin da skeptisch. Arbeit ist letztlich eine Strukturierung des Lebens. Das Grundeinkommen wäre die falsche Richtung.
Was wäre denn eine richtige Richtung?
Die OECD beschäftigt sich jetzt mit der spannenden Frage nach der Besteuerung von internationalen Unternehmen. Nämlich, dass man dort besteuert, wo der Gewinn anfällt. Und: Wie gehen wir mit Gewinnen um, die fast vollständig durch Automatisierung erwirtschaftet wurden. Da fragen Sie mich jetzt sofort, ob ich für die Maschinensteuer bin. Ich halte die Frage, wie wir das nennen, für zweitrangig. Wichtiger ist es, darüber nachzudenken, wie wir Jobs und Infrastruktur, die gesellschaftlich notwendig sind, finanzieren.
Sprechen wir über Europa: Sie haben 1994 als Staatssekretärin Österreichs EU-Beitritt mitverhandelt. Wie steht die Union heute da?
Die Union hat Schwierigkeiten, aber ich bin nach wir vor der festen Überzeugung, dass unsere Mitgliedschaft sowohl politisch als auch wirtschaftlich ganz entscheidend ist. Die großen Probleme dieser Welt sind von einem kleinen Staat, aber auch von großen wie Deutschland, nicht zu lösen. Das Problem der EU ist es, dass sie nach wie vor nicht stark genug ist. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein. Entweder wir wachsen enger zusammen, oder die Union zerfällt langsam in eine reine Freihandelszone. Da wünsche ich uns dann viel Glück.
Trotzdem sind nationalistische, anti-europäische Parteien in fast allen Mitgliedstaaten auf dem Vormarsch. Woher kommt diese Unzufriedenheit mit der EU?
Ich kann das nicht beantworten, weil es teilweise so ist, dass Menschen Fakten nicht mehr als für ihre Entscheidung wichtig empfinden. Die Schwierigkeiten der EU sind zum einen die Frage der Flüchtlingsthematik. Und zweitens, dass Populisten erfolgreicher kommunizieren, dass man als Insel besser dran ist und sich von allem Übel abschotten könnte. Die EU hat auch ein personelles Problem. Es fehlen derzeit große, überzeugte Europäer, wie es François Mitterrand und Helmut Kohl waren.
War es damals ein Fehler, eine Wirtschaftsunion ohne Sozialunion zu schaffen?
Es ist bis heute so, dass die Nationalstaaten den sozialen Teil nationalstaatlich regeln wollen. Das ist nicht klug, aber es gibt noch in vielen Köpfen die Meinung, wir können Sozialpolitik national lösen.
Die Frage nach einem Polit-Comeback haben Sie immer verneint. Warum eigentlich?
Weil mich das in erster Linie Journalisten gefragt haben.
Das heißt, wenn der Kanzler Ihnen eine Stelle anbieten würde . . .
Ich bin heute in einem Alter, wo das nicht mehr in Frage kommt.
Zur Person
Brigitte Ederer
ist seit 2014 Aufsichtsratsvorsitzende der ÖBB. Die studierte Volkswirtin war Vorstandsmitglied der Siemens AG und EU-Staatssekretärin, als Österreich der Union beigetreten ist.