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Setzen Faymann und Spindelegger die große Koalition fort, werden sie deren Retter oder Totengräber.
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Wien. Zwei schwarze Boxhandschuhe mit ÖVP-Aufschrift nennt Michael Spindelegger seit Dienstag sein eigen. Ein Wahlkampfgeschenk des ukrainischen Politikers und Boxweltmeisters Vitali Klitschko, das bald wieder im Büro eines künftigen Vizekanzlers baumeln könnte, sollten die aktuellen Umfragen halten. Nach diesen Zahlen geht Spindelegger am Sonntag als Zweiter durchs Ziel und bleibt Parteichef. Vorausgesetzt, die ÖVP stürzt nicht ab. Das wäre das K.o. für Spindelegger; und vorausgesetzt, er geht kein Schüssel’sches Manöver ein, indem er eine Mehrheit mit FPÖ und Team Stronach schmiedet. Halten die Umfragen und bleibt Spindelegger im Sattel, wird SPÖ-Chef Werner Faymann ihn zurück in den Schoß der großen Koalition bitten. Und die Boxhandschuhe bleiben an der Wand.
Beste Ehe aller Zeiten?
Die Tatsache, dass Faymann gar keine anderen Varianten andenkt und Spindelegger politische Tricksereien nicht zugetraut werden, sagt viel über die beiden Politiker aus, die 2011 eine nüchterne Zweckehe an der Regierungsspitze eingingen. Nach der Wahl könnte daraus eine Schicksalsehe werden.
Einer, der die Innenpolitik seit den 70er Jahren aus nächster Nähe verfolgt, bezeichnet deren Verhältnis sogar als das beste, das jemals zwischen den beiden Spitzen in einer großen Koalition bestand. Was ist ihr Geheimnis? Freundschaft ist jedenfalls nicht der Kitt, hört man aus dem engeren Kreis. Aber da war doch das Du-Wort, das in zwei Fernsehduellen so selbstverständlich vor jeden verbalen Angriff gestellt wurde; dieses Du-Wort, das keinen Zweifel lässt, dass man einer österreichischen und keiner deutschen Debatte folgt - nach dem Motto: "Du, felix Austria", in der Zweck-Ehe liegt die Kraft. Dieses Du-Wort steht nicht für Zuneigung, sondern pragmatischen Umgang der beiden miteinander. "Du bringst deine Leute auf Linie, und ich meine, o.k.?" Telefoniert wird nur, wenn unbedingt nötig, der Rest geht über die rechten Hände.
"Du, so machen wir das"
Hier stehen sich keine Poltergeister gegenüber, sondern sachlich orientierte Verwalter, Parteimanager, Pragmatiker. Faymann ist Taktiker der Macht, Spindelegger Künstler des Machbaren. Nüchterne Professionalität und wechselseitiger Respekt prägen ihr Verhältnis. Beobachter vermuten von Anfang an einen Nichtangriffspakt über zwei Regierungsperioden bis 2018. Der Kanzler lässt seinen Vize leben, und der akzeptiert die Junior-Rolle. Im ersten TV-Duell auf Puls4 war so etwas deutlich zu spüren. Im zweiten Duell im ORF griff Spindelegger zwar hart an. Aber der Kanzler konterte mehr nach dem Motto: "Du, muass des sein?", als so wie gegen Heinz-Christian Strache in Rage zu geraten.
Zwei aus Wien-Süd
Auf der menschlichen Spurensuche finden sich Gemeinsamkeiten noch am ehesten im beruflichen Werdegang. Faymann, der SPÖ-Spitzenkandidat, inszeniert sich als Liesinger von nebenan, fleißig, ruhig, ohne jede Extravaganz im Großen wie im Kleinen, mit Haus, verheiratet in zweiter Ehe und zwei Töchtern, von Jugend an perfekt integriert in die kleine große Welt der Wiener SPÖ.
Sein Herausforderer entspricht dem fast spiegelgleich, nur eben sozialisiert im tief-schwarzen Niederösterreich. Jusstudium, Beamtenkarriere, ÖAAB, der Vater Bürgermeister und Kurzzeit-Nationalrat in der Hinterbrühl, wo Spindelegger mit Frau und zwei Söhnen noch heute wohnt. Überhaupt Liesing und Hinterbrühl: Die beiden Orte liegen keine zehn Kilometer voneinander entfernt und werden politisch doch von Welten getrennt. Vielleicht sind sich der Kanzler und sein Vize deswegen zugleich ähnlich und doch so verschieden.
Das weggelobte Land
Sowohl Faymann wie auch Spindelegger mussten karrieretechnisch auswandern, weil der Platzhirsch es so wollte. Michael Häupl lobte seien unübersehbar ehrgeizigen Wohnbaustadtrat mit exzellenten Kontakten zum Wiener Medien-Boulevard 2007 in die Bundesregierung weg. Dass dieser schon Mitte 2008 die SPÖ übernahm und - nach von der ÖVP vorzeitig vom Zaun gebrochenen Wahlen - Ende des Jahres zum Bundeskanzler aufstieg, hatte Wiens fast allmächtiger Bürgermeister eher nicht geplant. Eigentlich wollte er nur einen Bürgermeister Faymann verhindern.
Bei Spindelegger war es Erwin Pröll, der 1998 dem aufstrebenden jungen Mann den Aufstieg zum niederösterreichischen Landesrat verweigerte. Notgedrungen blieb er bei der Bundespolitik und konzentrierte sich fortan auf die Politik für Arbeitnehmer und Internationales, für die er sich als Vizechef des ÖAAB und kurz EU-Abgeordneter zwei Standbeine erworben hatte. Dass Spindelegger im Frühjahr 2011 zum Vizekanzler und Bundesparteiobmann avancierte, hatte Pröll wohl ebenso wenig auf seiner Rechnung wie Häupl im Falle Faymanns. Heute gilt das Verhältnis Faymann-Häupl und Spindelegger-Pröll maximal als professionell-freundlich, keinesfalls jedoch als herzlich.
Sepp ja, Michi nein
Direkter Vorgänger Spindelegger als ÖVP-Parteichef war der Neffe von Pröll, Ex-Finanzminister Josef Pröll. Der junge Pröll war Faymanns erster Koalitionspartner. Intern war der Bauernbündler nur der "Sepp", der mit dem "Werner" anfangs eine Beziehung pflegte, die Spindelegger und Faymann wohl nie erreichen werden. Ein scherzhafter Plausch über die Lage der Nation war immer drin. So etwas mit "Michi"? Schwer vorstellbar.
Faymann und Pröll Neffe konnten deswegen gut miteinander, weil sie an einem Strang zogen - als Kronprinzen ihrer Partei. Sie stellten sich beide intern gegen ihre Vorgänger Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Wilhelm Molterer (ÖVP), die 2008 die Koalition platzen ließen - mit den legendären Worten von Molterer: "Es reicht." Die Kronprinzen Pröll und Faymann jedoch beschlossen, dass es ihnen reicht mit den Streitereien und gingen den Bund der Koalitionsehe ein. Der harmoniebedürftige Faymann stand an der Spitze der Karriereleiter und der anders gelagerte, bodenständigere Pröll hielt sie fest.
Ende der Flitterwochen
Doch Pröll, der mit seiner jovialen Art auch beim Voest-Arbeiter punktete, machte von Anfang an klar, dass er früher oder später an der Leiter sägen werde. Und der Macht-Taktiker Faymann wehrte sich mit gezielten Tritten rechtzeitig dagegen. So weit hat sich Spindelegger noch nicht vorgewagt; das zweite Kanzlerduell könnte aber durchaus ein Testlauf gewesen sein.
Halten die Umfragen und hält das aktuelle Regierungsduo, könnte Spindelegger die neue Angriffslust in die alte, neue Ehe mitnehmen. Denn spätestens 2018 muss er es packen.
Doch das birgt ein großes Risiko für beide: Machen Faymann und Spindelegger weiter, sind sie entweder die Retter oder die Totengräber der großen Koalition. Denn diese große Koalition, vulgo "Groko", die nach fast allen Wahlen so sicher kam wie das Amen im Gebet, ist so klein wie nie zuvor. Ob sich die Partnerschaft der beiden einstigen "Großparteien" noch ausgeht, ist offen. Wenn nicht, wäre die "Groko" schon am Sonntag Geschichte. Hält die gemeinsame Mehrheit jedoch, haben die Parteichefs fünf Jahre Zeit, ihr neues Leben einzuhauchen - mit ein paar Programmen und Visionen, die für über pragmatische Alltagspolitik hinausgehen.
Keine Zeit für Streit
Kommen Faymann und Spindelegger in diese Rolle, wird aus einer Zweckehe eine Schicksalsgemeinschaft. Zum Streiten kommen sie dann vielleicht gar nicht. Denn wenn sie ihre großen Würfe durchziehen wollen, müssen sie den Streit in den zweiten und dritten und vierten Reihen schlichten. "ÖVP und SPÖ sind wie Tom & Jerry, die sich seit 30 Jahren gegenseitig mit Bratpfannen in den Boden hauen - nur dass es im Unterschied zum Trickfilm Verletzte gibt", sagt ein alter Hase im Geschäft.
Wenn am Sonntag Spindelegger Faymann mit einem Klitschko-Aufwärtshacken aus dem Ring boxt, muss diese Geschichte freilich neu geschrieben werden.