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"Du siehst so kurdisch aus"

Von Solmaz Khorsand

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Hierzulande hat ein Jeder das Recht auf sein Paralleluniversum. Es bietet Halt und Ablenkung, wenn es draußen zu kompliziert, zu laut oder zu fad wird. Sei das bei der Jagd nach Pokémons, beim Hochschaukeln im Wahlzelt, auf der Tribüne im Fußballstadion oder bei der Demonstration gegen Identitäre. Sie alle sind in ihrem Wahn Teil der österreichischen Gesellschaft. So auch das türkische Paralleluniversum, das am Samstag in Wien seinen großen Auftritt hatte. Hunderte aufgebrachte Männer und Frauen haben auf der Mariahilfer Straße gegen den Putsch in der Türkei demonstriert. Irgendwann nahmen sie vor der Filiale der Restaurantkette Türkis Stellung. Einige warfen kleine Steine, andere demolierten das Geschirr auf den Tischen im Schanigarten. Der Grund: der Inhaber der Restaurantkette ist Kurde. Die Demonstranten werfen ihm vor, die Terrororganisation PKK mit seinen Einnahmen zu finanzieren. "Warum brüllt ihr jetzt gegen die Kurden? Was hat das mit dem Putsch zu tun?", wollte man wissen. "Du siehst kurdisch aus", konterten einige Anwesende. Damit war die Diskussion beendet. Der Gesprächspartner delegitimiert. Die ultimative Beschimpfung ausgesprochen. Mütter zogen ihre Töchter weg, die gerade antworten wollten, junge Männer schimpften, dass man doch zum selben Pack gehören würde, das nur Lügen über den Erdogan verbreiten würde. Binnen Sekunden war man in einem Paralleluniversum, das man so nur von FPÖ-Veranstaltungen am Viktor-Adler Markt kennt, wo gegen die Lügenpresse und das Fremde gehetzt wird. Parallelwelt par excellence.

Was hat das in Wien verloren? Warum tragen diese Leute ihren Konflikt nicht "zu Hause aus"? Wir wollen auf der Mariahilfer Straße flanieren und nach dem nächsten Pokémon Ausschau halten. Das ist ein Paralleluniversum, das wir verstehen, mit dem wir zurecht kommen - nicht jenes, wo Männer und Frauen mit türkischen Fahnen wedeln, die Straße auf und ab rennen und dabei die Worte "Türkiye", "PKK"oder "Allahu Akbar" jodeln. Es ist beängstigend. Das stimmt. Aber natürlich hat das in Wien "etwas verloren". Diese Männer und Frauen sind Teil der österreichischen Gesellschaft. Und ihr Wahn hat hierzulande genauso viel oder wenig Platz wie der Wahn aller anderen Fanatiker, die es sich in ihrem Paralleluniversum lauschig eingerichtet haben.