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Du sollst die Wähler nicht überfordern

Von Walter Hämmerle

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Sechs Parteien im Parlament schaffen es nicht über zwei Standpunkte in strittigen Fragen hinaus. Da läuft etwas falsch.


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Es gibt Experten, die vor einer Zersplitterung der österreichischen Parteienlandschaft warnen. Nicht ohne Grund, immerhin bevölkern bereits sechs Klubs das Parlamentsplenum - und eine Handvoll Abgeordneter findet wegen persönlicher Extravaganzen immer noch keine politische Heimat, weshalb sie als sogenannte wilde Abgeordnete darben. Das erschwert auf ganz natürliche Weise die Bildung künftiger Regierungsmehrheiten.

Und die Zahl der Klubs könnte nach der nächsten Wahl noch steigen: Immerhin gehen seit einer gefühlten Ewigkeit linke Kreise mit der Idee schwanger, jetzt aber wirklich mit einer wirklich linken Partei dem Neoliberalismus den Kampf anzusagen; und auch eine türkische Gruppierung träumt, auf der seltsamen Popularitätswelle für den türkischen Staatspräsidenten Erdogan in den Nationalrat zu segeln.

Die Vielfalt an Parteien spiegelt sich allerdings nicht in einer vergleichbaren Vielfalt der Meinungen und Standpunkte wider. Es drängt sich sogar der Verdacht des Gegenteils auf: Je mehr formale Gruppierungen im Parlament sitzen, desto weniger Standpunkte bereichern die öffentliche Debatte. Und in einer wachsenden Zahl heftig umkämpfter Themen reduziert sich die Zahl der Meinungen auf beunruhigend eintönige zwei. Nämlich leidenschaftlich dafür und absolut dagegen. Mindestsicherung und Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylberechtigte, Grenzkontrollen, Obergrenzen, Russland-Sanktionen, Vermögens- und Wertschöpfungsabgaben, Frauenquoten, Uni-Zugangsbeschränkungen, diverse Schulthemen, die FPÖ im Allgemeinen und als Regierungspartei im Besonderen: Bei diesen und noch etlichen mehr Streitfragen verkürzt sich die Debatte am Ende auf ein "wer nicht dafür ist, ist dagegen".

So gesehen ist das Zweiparteiensystem längst Realität, die beiden Standpunkte verteilen sich bei uns nur auf mehrere Parteien - die typische österreichische Kompromissformel eben. Was fehlt, ist der Mehrwert für die Bürger: Wem nützen schließlich sechs Parteien im Parlament, wenn dann ohnehin nur zwei Meinungen übrig bleiben?

Vielleicht ist es aber auch einfach nur so, dass eine öffentliche Debatte unter den gegebenen Umständen maximal zwei Standpunkte ver- und erträgt. Mehr könnte aufgrund der gesteigerten Komplexität ja abschreckend wirken, getreu dem Ersten Gebot politischer Kommunikationsarbeit, das da lautet: Du sollst
deine Wähler nicht mit unnötigen Details und Differenzierungen überfordern!

Aber es gibt auch Ausnahmen von dieser Dichotomie meinungstechnischer Eintönigkeit. Nur dafür oder dagegen zu sein, lässt Politikern ja tatsächlich wenig Spielraum, zumal es durchaus Fragen gibt, bei denen Parteien eine Festlegung wie der Teufel das Weihwasser scheuen.

Für diesen Fall gibt es zwei Strategien: Verwirrung oder Schweigen. Ein wunderbares Beispiel für Ersteres ist das Verhältnis der FPÖ zu einem EU-Austritt Österreichs; und ob die Regierungsmehrheit das Handelsabkommen Ceta zu ratifizieren gedenkt, wissen die Abgeordneten von SPÖ und ÖVP wahrscheinlich nicht einmal selbst. Die Chefs sagen ja einfach nichts, an dem sie sich orientieren könnten.