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Reportage: Bundesheer probte Geiselbefreiung in Zeltweg.
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Zeltweg. Ein eingerissener Fingernagel, ein paar Kratzer auf den Händen, jede Menge Grasflecken auf der nassen Hose und dem Pullover und Erde in meinen Ohren: Das ist das äußerlich sichtbare Fazit meiner ersten Geiselnahme. Dass es so glimpflich ausging, liegt daran, dass das Ganze nur eine Übung war: Seit mehreren Tagen und noch bis 20. September probt das Bundesheer - Jagdkommando, Jägerbataillon 25 und das Kommando Luftunterstützung - im Zuge der "Safe Return 2013" Geiselbefreiungen und Heimholungen von Österreichern oder EU-Bürgern. Als Teil einer kleinen Gruppe von Journalisten durfte ich in Zeltweg Geisel spielen - und durchaus überraschende Erkenntnisse ziehen.
Die erste Erkenntnis: Traue nie einem Jagdkommando-Psychologen. Gleich zu Anfang werden wir in einen kleinen Waldteil geführt und erhalten, umringt von Büschen, eine Einweisung. "Ihr werdet laut angeschrien, hart angepackt und durchaus auch mit dem Erdboden Bekanntschaft machen", werden wir vorgewarnt.
Die Geiselnehmer würden versuchen, uns durch Dominanzverhalten kleinzuhalten und zu desorientieren. Dann heißt es, wir hätten noch einen Fußmarsch von etwa fünfzig Metern vor uns, bevor es losginge. Wir stapfen wenige Schritte aus dem Gebüsch raus - und ich habe bereits eine Pumpgun im Gesicht.
Rundherum höre ich Schreie; der Geiselnehmer, der es auf mich abgesehen hat - recht klischeehaft mit einem Palästinensertuch um den Hals - deutet und ruft in dem Tumult mir unverständliche Dinge, bis schließlich ein zweiter mich zu Boden drückt. Es wird weitergeschrien, wir werden angehalten, ins Gras zu schauen. Wenige Momente später werden wir der Reihe nach mit nach unten gedrücktem Kopf auf einen Lkw verladen, der mit nassen Matratzen ausgelegt ist. Kaum versuche ich nur einen kurzen Blick nach links oder rechts, werde ich angepfiffen: "Hoit de Birn owe!" Und der Kollege neben mir wird, weil er offensichtlich noch länger geschaut hat als ich, zum Hassobjekt auserkoren. Der Geiselnehmer packt ihn am Nacken und pfeift ihm entgegen: "Du wirst der Erste sein!"
Ab hier ist aber Sendepause. Der Lkw mit uns holpert über ein Feld, mir kommt es so nicht vor, als hätten wir eine schärfere Kurve gemacht - genauso wenig habe ich auch nur eine annähernde Ahnung, wie viele Entführer es eigentlich sind. Ich versuche, wenigstens durch meine Haare zu blinzeln, um etwas zu sehen, aber ohne Erfolg, jede Bewegung wird mit Anschreien quittiert.
"Die Geisel hat überreagiert"
Plötzlich höre ich Hubschrauber, kurz darauf pfeifen Schüsse durch die Luft. Ein Geiselnehmer flucht, dann wird es still. Irgendwann merke ich, dass sich der Kollege neben mir bewegt - und wage auch, den Kopf zu heben. Die Lkw-Klappe ist offen, ich sehe Männer in Soldatenuniform, bin mir aber überhaupt nicht sicher, ob das denn nun wirklich unsere Befreier sind. Wir werden vom Lkw geholt und seitlich eng aneinander hingekniet. Ich erspähe im Gras zwei Männer mit am Rücken gefesselten Händen. Ein Geiselkollege hat einen Unterarmdurchschuss - "die Geisel hat überreagiert", war bei der Vorbesprechung die Annahme - und wird auf der Wiese erstversorgt.
Als wir im Gatsch knien, bricht abermals eine Schießerei aus. Zwei Soldaten, die sich an der Vorderseite des Lkw positioniert haben, feuern auf weiß Gott wen, Patronenhülsen fliegen in meine Richtung, die Luft füllt sich mit eigenartigem Geruch. Aber nicht lange - "Sissi im Anflug", funkt einer der Soldaten, und der Blackhawk landet spektakulär wenige Meter vor uns, der Rotorwind weht uns zurück. Wir werden angewiesen, die Hände auf die Schultern des Vormanns zu legen und gebückt zum Helikopter zu laufen. Ab und an werden Geiseln auch geblendet und gebunden - man nimmt ihnen die Sicht und fixiert ihre Hände vor dem Körper, schließlich weiß man ja nicht, ob sich nicht ein Geiselnehmer unter die Geiseln gemischt hat.
Kaum sitzen wir alle recht durcheinandergewürfelt teilweise auf dem Boden, teilweise auf Sitzen mit einigen unseren Befreiern im Hubschrauber, zieht dieser hoch. Der verletzte Kollege bekommt einen Katheter gelegt. Vorne links und rechts an den Seitenfenstern sitzen zwei Soldaten an Maschinengewehren. Plötzlich reißt der Pilot die Maschine hinunter und wir fliegen gen Decke, die in der Mitte Sitzenden suchen Halt. Einer der beiden Piloten kann sich einen kleinen Grinser nicht verkneifen, als er sich umdreht, um nach uns zu sehen.
Erinnerungslücken
Kaum mit dem Hubschrauber gelandet, geht es im Laufschritt zur Transportmaschine Herkules C-130. Erst dort wird klar, wie viele Personen bei der Befreiung beteiligt waren - der Vogel ist rappelvoll. Der vermummte Jagdkommando-Soldat neben mir, behangen wie ein Christbaum mit Ausrüstung, hat kaum Platz zum Sitzen. Ich frage ihn, was denn nun mit den Geiselnehmern ist. Er meint nur: "Na, ich hoffe, dass wir sie nicht mithaben." Weiter äußert er sich nicht. Dann kommt eine Psychologin, die gleich unseren Blutdruck misst.
Kaum gelandet, beginnen wir Geiseln miteinander zu reden. Es ist erstaunlich, wie viele Versionen es zu Details der Entführung gibt. Keiner von uns hätte sagen können, wie viele Geiselnehmer es waren, und es entbrennt ein Streit darüber, ob sie nun vermummt waren oder nicht. Ich selbst kann mich nur an einen erinnern, obwohl ich danach am Video sehe, dass ein zweiter mich zu Boden gedrückt hat. Auf den Videos sehen wir auch erst den Umfang der Aktion, wie sich die Soldaten von den Hubschraubern abseilen oder das Fahrzeug stoppen. Bei der Nachbesprechung erfahren wir, dass vier der sechs Geiselnehmer tot sind und zwei den lokalen Sicherheitsbehörden übergeben wurden. Von all dem haben wir nichts mitbekommen.
Schlussendlich nehmen die mehr als 100 an der Aktion beteiligten Soldaten vor dem anwesenden Verteidigungsminister Gerald Klug Aufstellung, der sie für ihren Einsatz und ihre Professionalität lobt: "Die Fähigkeit zu solchen Operationen ist in der neuen Sicherheitsstrategie explizit verankert." Er geht davon aus, dass das Bundesheer künftig vermehrt dafür gebraucht wird. "Wir sind auch für Einsätze mit höherer Intensität gerüstet."