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Dubiose Informationspolitik Japans - Regiert die Atomindustrie?

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Viele fühlen sich an Tschernobyl erinnert - nicht nur wegen der aktuellen Situation in Japan, sondern auch wegen der Informationspolitik der dortigen Regierung. Aber so wie der Reaktor in der damaligen Sowjetunion anders gebaut war und deshalb die Reichweite einer atomaren Verseuchung anders wäre, so gibt es auch bei den Informationen Unterschiede.


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Nach dem 26. April 1986 dauerte es drei Tage, bis sowjetische Quellen erstmals von einer Katastrophe sprachen. In Japan brauchte es hingegen nur einen halben Tag, bis erstmals von ernsthaften Problemen in Atomkraftwerken die Rede war. In einem Land mit entwickelter Medienlandschaft ist das bloße Verschweigen kein Rezept.

Die ersten Meldungen waren freilich so widersprüchlich wie alle von der japanischen Regierung verlautbarten Nachrichten seither. Zunächst wurde beruhigt, am nächsten Tag war von einer Kernschmelze die Rede, was aber gleich wieder zurückgenommen wurde. Zwischen diesen beiden Polen oszilliert die Informationspolitik der Regierung seither hin und her.

Dass eine Umweltorganisation wie Greenpeace darüber empört ist, verwundert nicht. Aber man verunsichert damit auch die Nachbarn. Australiens Außenminister Kevin Rudd forderte von Japan dringend weitere Informationen über den genauen Status der Reaktoren. Mehr Informationen hätte sich auch die Besatzung des Flugzeugträgers "Ronald Reagan" gewünscht, die unterwegs zu ihrem Hilfseinsatz unvermutet mitten auf See leicht radioaktiv verstrahlt wurde.

Die Regierung von Ministerpräsident Naoto Kan mag gute Gründe haben, den Ausbruch einer Panik zu vermeiden. Schließlich könnte eine solche die Folgen der gewaltigen Katastrophe noch verschlimmern. Allerdings ist das Hin und Her nicht allein dadurch zu erklären.

Das wird sich auf Dauer nicht gut auswirken auf die Glaubwürdigkeit der Regierung, deren Chef gerade neun Monate im Amt ist und auch sonst von einer Affäre in die nächste schlittert. Kurz vor dem entsetzlichen Beben sah sich Kan mit Rücktrittsaufforderungen wegen diverser Spendenaffären konfrontiert.

Angesichts der Katastrophe treten die politischen Querelen zurück, Pluspunkte hat Kan mit der Bewältigung der Krise bisher aber nicht holen können. Dabei hängt die gegenwärtige Verwirrung wohl nur teilweise mit der heutigen Regierung zusammen; viele Ursachen liegen im System. Jahrzehntelang lauschten die staatlichen Würdenträger mit Wohlwollen den Erzählungen der reichen Energiegesellschaften und der Atomindustrie, wie sicher Japans Atomkraftwerke seien.

In Wahrheit wurden viele ernste Vorfälle vertuscht. Auch jetzt entsteht der Eindruck, als wüsste die japanische Regierung selbst nicht genau, was sich in den Reaktoren abspielt. Möglicherweise bezieht sie ihre Informationen wieder von der Atomlobby.