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"Dublin II ist veraltet"

Von Michael Schmölzer

Politik
"Lasten dürfen uns nicht allein überlassen werden": Kaminis im Gespräch mit "Wiener Zeitung".
© Jenis

Athens Bürgermeister Giorgos Kaminis fordert in Wien einen neuen Ansatz bei EU-Flüchtlingspolitik.


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Wien. In die Debatte um die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer hat sich Athens Bürgermeister Giorgos Kaminis vehement eingeschaltet. Er bezeichnete die Situation im griechischen TV zuletzt als unhaltbar, verzweifelte Migranten kämen in Scharen von den Inseln nach Athen und versuchten dort, etwas Essbares zu finden.

Die in massive finanzielle Nöte geratene griechische Regierung ist mit dem Ansturm von Flüchtlingen, die auf dem Landweg oder über das Mittelmeer kommen, längst überfordert. Der Ruf nach EU-Hilfe verhallt aus Sicht der griechischen Regierung die längste Zeit schon ungehört. Zuletzt hat die neu gewählte linke Syriza-Regierung wiederholt damit gedroht, die EU mit Flüchtlingen aus den griechischen Lagern zu überschwemmen.

Die "Wiener Zeitung" hat mit dem Athener Bürgermeister über Flüchtlingselend, Armut und Rechtsextremismus gesprochen. Kaminis ist parteilos und wurde bei den Kommunalwahlen 2010 von der sozialdemokratischen Pasok, den Grünen und anderen Linksparteien unterstützt.

"Wiener Zeitung": Die Flüchtlingskrise erschüttert ganz Europa, aber Griechenland ist besonders betroffen. Wie ist die Lage in Athen?Giorgos Kaminis:Wir haben die Situation in Athen - derzeit zumindest noch - unter Kontrolle. Es kommen sehr, sehr viele ohne Dokumente und reisen bei uns ein. Wir müssen sie beschützen und gegebenenfalls retten, wenn sie im Mittelmeer in Not geraten sind.

Wie lauten Ihre Forderungen an die EU?

Das, was wir jetzt brauchen, ist ein echter europäischer politischer Ansatz. Die Lasten dürfen nicht Griechenland, Spanien und Italien alleine überlassen werden.

Es fehlt vor allem an Geld . . .

Nein, es geht nicht in erster Linie um Geld. Sondern es fehlt eine kohärente europäische Politik, wie mit der Frage umgegangen werden soll. Derzeit gilt Dublin II, wonach die Flüchtlinge in dem Land bleiben müssen, in dem sie erstmals EU-Boden betreten haben. Diese Regulierung ist sieben Jahre alt. Jetzt hat sich die Lage dramatisch gewandelt. Deshalb muss sie neu und solidarisch geregelt werden.

Was genau soll sich ändern?

Wir haben eine Initiative mit Rom und Paris gestartet - denn es sind die Städte, die am meisten betroffen sind. Gemeinsam versuchen wir die europäischen Institutionen zu überzeugen, dass wir rasch handeln müssen. Vielleicht ist es möglich, dass die Asylanträge in anderen Ländern gestellt werden dürfen. Alles wird derzeit diskutiert.

Welche Maßnahmen werden in Athen getroffen, um die Armut, die ja nicht nur Migranten, sondern auch die Griechen selbst betrifft, zu bekämpfen?

Wir haben ganz von Anfang an auf die Krise reagiert. Die Mittelklasse war plötzlich von Armut betroffen, wir mussten unsere Vorgangsweise ändern. Vor der Krise waren vor allem Randgruppen Adressaten der Sozialhilfe, etwa Obdachlose. Aber jetzt geht es um Leute aus der Mittelklasse, die von einem Tag auf den anderen ihren Job verloren haben und in die Armut abrutschen. Gemeinsam mit der Kirche und NGOs versuchen wir, unser Bestes zu geben. Es geht nicht nur um Ausgabe von Nahrungsmitteln, man muss den Leuten helfen, ihr Leben in den Griff zu bekommen.

Mit der Krise ist der Rechtsextremismus stark geworden. Wie sieht es hier derzeit in Athen aus?

Gott sei Dank beobachten wir seit den letzten Wahlen, dass hier ein Abschwung zu verzeichnen ist.