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Duftmarken für die anderen 46 Prozent

Von Walter Hämmerle

Politik
© Stanislav Jenis

Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Interview.


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Wien. Im nördlichen Weinviertel sind die Menschen, wenn sie nicht wegziehen, entweder Pendler oder Bauern, Jagen ist Hobby wie Kicken; wer bleibt, heiratet früh, bekommt mehr als nur ein Kind, baut sich ein Haus, ist in mehr als nur einem Verein aktiv und geht, zumindest an den Festtagen in die Kirche. Gewählt wird Schwarz, und wenn nicht, dann am ehesten Blau, wie am 4. Dezember, als eine deutliche Mehrheit für Norbert Hofer stimmte.

Am Stammtisch im Gasthaus sind die, die sich ein bisschen mehr als üblich für Politik interessieren, trotzdem überrascht: "Wenn er so weitermacht, wie er angefangen hat, dann bekommen wir ja doch noch einen vernünftigen Präsidenten", wird anerkennend genickt. Dass der ehemalige Grünen-Chef und nunmehrige Bundespräsident Alexander Van der Bellen der linken Aufregung um den rechten Akademikerball mit demonstrativer Gelassenheit begegnet, empfindet man hier als wohltuend vernünftig. Dazu muss man wissen, dass Grün und Vernunft in diesen Breiten in den Augen der Menschen nicht wirklich zusammengehen. Zu abgehoben. Das mag ein Vorurteil sein, ist aber trotzdem so.

Die "Wiener Zeitung" sprach* mit dem neuen Bundespräsidenten über die Koalition, Angriffe auf sein Amt und seine "gesunde innere Distanz" gegenüber den Aufgeregtheiten der Tagespolitik.

"Wiener Zeitung": Herr Bundespräsident, SPÖ und ÖVP haben sich auf einen Neustart der Koalition geeinigt. Sind Neuwahlen damit also vom Tisch?

Alexander Van der Bellen: Ich war zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommt. Neuwahlen sind damit derzeit vom Tisch.

SPÖ und ÖVP wollen das Wahlrecht ändern, Kanzler Kern ist für ein Mehrheitswahlrecht samt Bonus für die stärkste Partei, die dann auch den Kanzler stellen soll. Was halten Sie davon, zumal Sie ja dann das Recht, den Kanzler zu ernennen, verlieren würden?

Grundsätzlich gibt es hundert Möglichkeiten, das demokratische Wahlrecht zu definieren. Von daher ist es legitim, darüber nachzudenken, ob und wie man es anders machen könnte. Darüber zu entscheiden, ist dann Sache einer Mehrheit im Parlament - und das bezieht sich auch auf die Rechte des Bundespräsidenten. Die Verfassung stellt auch eine komplexe Form der "checks and balances" dar, daher sollte man vorsichtig sein, hier nur an einem Rädchen was zu ändern.

Sie selbst haben im Wahlkampf dazu eingeladen, die Kompetenzen des Bundespräsidenten auf ihre Zeitgemäßheit hin zu überprüfen. SPÖ und ÖVP nehmen das dankend an, zählt man alle Vorschläge zusammen, wäre das Amt abgeräumt wie ein Christbaum zu Mariä Lichtmess Anfang Februar.

Wissen Sie, über alle diese Ideen und noch viel mehr wurde schon beim Österreich-Konvent vor mehr als zehn Jahren diskutiert. Und was wurde beschlossen? Wenig bis nichts. Aber natürlich könnte man darüber diskutieren. Ich habe allein am Samstag als erste Amtshandlung hundert, wenn nicht 200 Verleihungen unterschrieben: Ökonomierat, Kommerzialrat, Studienrat . . . Ich mache das gern, aber genauso gut könnte es auch der Bundesminister machen.

Mit Ihrer Ansage zum Akademikerball nach dem Motto "Lasst sie doch tanzen" haben Sie einige verblüfft.

Das mag sein, sie war aber, jedenfalls was mich betrifft, nicht neu. In jeder liberalen Demokratie gibt es Minderheitenrechte. Einen Ball zu feiern, gehört für mich dazu. Für mich ist auch die Hofburg kein besonders symbolträchtiger Ort für unsere liberale Demokratie, da würde ich eher an das Parlament denken. Die eigentlich interessante Frage ist für mich, wer dort auftritt. Wenn Madame Le Pen oder Herr Wilders dort Hof halten, dann wird dieser Ball zu einer politischen Veranstaltung. Aber dann soll man über die Politik, die da dahintersteht, diskutieren und weniger über den Ball.

Aber kann man in diesem Fall Politik und Ball so sauber trennen, das ist miteinander verwoben?

Das ist deren Problem, ich tue es auf jeden Fall.

Die Demonstrationen richten sich gegen die Politik und nicht gegen das Tanzen.

Man darf selbstverständlich dagegen demonstrieren, ich war halt nur nie dabei.

Ist diese Haltung Ihre Strategie, jene 46 Prozent, die Sie nicht gewählt haben, davon zu überzeugen, dass Sie ein Bundespräsident für alle Österreicher sein wollen?

Es ist interessant, dass jeder Griff zur Kaffeetasse als politischer Akt bewertet wird, wenn es sich um den Bundespräsidenten handelt. Daran werde ich mich erst gewöhnen müssen.

Also nein?

Das habe ich nicht gesagt.

Themenwechsel: Donald Trump sorgt für Aufregung. Insbesondere sein Einreiseverbot für Staatsbürger etlicher muslimischer Staaten sorgt für Empörung.

Das ist natürlich diskriminierend. Ich habe schon im Vorfeld der Wahl Stil und Inhalt des Trump’schen Wahlkampfs kritisiert. Mit Bedauern muss ich jetzt feststellen, dass die bisherigen Erfahrungen einen nicht zuversichtlicher stimmen. Die Frage ist, was wir Europäer tun können: Wollen wir in ein ähnliches Fahrwasser geraten oder sind die EU-Staaten bereit zu erkennen, dass der alte Nationalismus eine Sackgasse ist, die uns nicht nur einmal in den Abgrund geführt hat? Das wird die eigentlich entscheidende Frage für Europa sein.

Europa wird sicherheitspolitisch auf eigenen Füßen stehen lernen müssen, das bedeutet mehr Ausgaben für Militär und Rüstung, den Aufbau einer EU-Armee. Soll auch Österreich hier mitarbeiten?

Hier gebietet die Neutralität gewisse Grenzen, aber Österreich braucht sich nicht zu verstecken, was die Mitwirkung an internationalen Friedenseinsätzen angeht. Wenn Präsident Trump seine Ankündigungen so wie bisher wahr macht, werden wir uns mit den außen- und sicherheitspolitischen Folgen für Europa auseinandersetzen müssen. Wobei die Kritik aus den USA an zu niedrigen Verteidigungsausgaben der Nato-Partner ja nicht neu ist; neu ist, dass ein US-Präsident die Nato als obsolet erklärt.

Letzte Frage: Werden Sie im Alter eigentlich konservativer?

Ich war am Samstag auf dem Wissenschaftsball, und wenn ich an die Mädchen denke, die mir so wahnsinnig jung vorkamen und die alle ein Selfie mit mir wollten, dann glaube ich nicht, dass ich so viel konservativer geworden bin, weil das würden die nicht mögen, vermute ich jedenfalls.

Etliche Aussagen von Ihnen, etwa jetzt zum Akademikerball oder zum Bundesheer, deuten auf eine gesunde innere Distanz zu den Aufgeregtheiten der Tagespolitik hin.

"Gesunde innere Distanz" unterschreibe ich sofort, aber das hat nichts mit konservativ zu tun.

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Das Interview wurde gemeinsam mit dem "Standard" geführt.