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Dunkle Wolke über der Glorie

Von Edwin Baumgartner

Wissen
Der Nationalsozialismus ist für die Kirche gleich einem Erdbeben: Seine zerstörerische Energie lenkt er auch gegen das dem jüdischen Glauben entsprungene Christentum.
© corbis

Eine moralische Instanz versagt in einem Staat der Unmoral.


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Zuerst scheint es eine glorreiche Stunde für die katholische Kirche: Sie arrangiert sich mit ihrem Feind durchaus vorteilhaft. Immerhin gesteht ihr Adolf Hitler zahlreiche wichtige Positionen zu, schreibt sie sogar vertraglich fest im Reichskonkordat. Vor ziemlich genau 80 Jahren, am 20. Juli 1933, wurde es unterzeichnet. Aus heutiger Sicht tauchen Fragen auf: Hat sich die Kirche nicht allzu leichtfertig mit einem verbrecherischen Diktator eingelassen? Wäre nicht doch die offene Ablehnung die einzig mögliche christliche Reaktion gewesen? Ließ sich die Kirche gar ihre Akzeptanz des Nationalsozialismus mit der Kirchensteuer bezahlen?

Über die glorreiche Stunde fällt die dunkle Wolke möglichen moralischen Versagens.

Vieles freilich lässt sich aus heutigem Wissen anders beurteilen, die historische Sicht klärt die Dinge für den Verstand. Das Verständnis freilich bleibt eine Sache des eigenen moralischen Koordinatensystems.

Hätte die Kirche eine andere Möglichkeit gehabt? Der Fehler liegt im System und ist lange zuvor entstanden - in dem Moment nämlich, als die Kirche weltliche Macht beanspruchte. Die römischen Caesaren Constantinus, Gratianus und Theodosius I. waren die großen Verführer. Nero und Diocletian wollten das Christentum ausrotten. Constantinus, Gratianus und Theodosius aber korrumpierten es. Constantinus, in der Regel Konstantin der Große genannt, gewährte Religionsfreiheit und näherte Christentum und Staat einander an, Gratianus und Theodosius erhoben das Christentum zur Staatsreligion. Jesu Christi Reich war nicht von dieser Welt, das der Kirche ist es nun. Mit Folgen bis heute.

Eher ewige Pein

Die Kirche wird zur Konstante im Spiel der weltlichen Gewalt: Herrscher mögen wechseln, nicht jedoch die auf der Bibel basierenden moralischen Grundsätze - und über sie wacht die Kirche. Mit Angst vor Hölle und Fegefeuer erzwingt sie deren Einhaltung. Letzten Endes ist es die Angst vor der Verdammnis, die den exkommunizierten König und späteren Kaiser Heinrich IV. nach Canossa treibt. Angesichts dessen kann man gar nicht anders, als den Mut des englischen Königs Heinrich VIII. zu bewundern, der, nach damaligem Verständnis, eher ewige Pein auf sich nahm, als sich dem Papst zu beugen.

Bis auf diese englische Ausnahme funktioniert das System der Beeinflussung staatlicher Macht durch die Metaphysik, bis das Erstarken kirchlicher Abspaltungen wie der Protestantismus und die Aufklärung die Position der katholischen Kirche zunehmend schwächen. Jetzt treten weltliche Abkommen und Verträge an die Stelle der Strafe im Jenseits, und noch immer so, als gehöre es zum guten Ton, halten sich die Machthaber im europäisch geprägten Kulturraum an die kirchlichen Moralvorstellungen.

Die Macht der Angst

Doch was geschieht, wenn ein Herrscher diese Moralvorstellungen außer Kraft setzt?

Was nach der Oktoberrevolution 1917 in der Sowjetunion geschieht, schmerzt die katholische Kirche zwar - doch da ist vor allem das orthodoxe Christentum betroffen. Nun aber, 1933, kommt ein Mann an die Macht, der alle moralischen Maßstäbe der katholischen Kirche in einem ihrer zentralen Gebiete infrage stellt.

Adolf Hitler hasst die Kirche, hinter ihm stehen Esoteriker und Geheimbündler, die diesen Hass nähren: Das Christentum sei eine jüdische Abartigkeit, sagen sie, verweichlichend, nichts für eine arische Herrenrasse, sagen sie, die heldische Kriege führen muss, einer solchen arischen Herrenrasse, sagen sie, taugt einzig und allein die Religion der Vorväter: ein Neuheidentum mit dem göttlich legitimierten Recht des Stärkeren, wie es der nationalsozialistischen Evolutionslehre entgegenkommt.

Andererseits hat auch die Kirche ein Problem: Ihrer Lehre zufolge verdienen legal an die Macht gekommene Herrscher Respekt. Hitler ist legal an die Macht gekommen - der Staatsantisemitismus mag unsympathisch sein, aber von Judenvernichtung ist vorerst noch keine Rede. Abkommen hat die Kirche auch mit anderen Staaten geschlossen, 1922 mit Lettland etwa, 1928 mit Portugal, 1929 mit Italien und 1933 mit Österreich. Warum also nicht auch Hitler mittels Vertrag zähmen? Zumal der Reichskanzler in seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933 das Christentum als "unerschütterliches Fundament des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes" bezeichnet hatte.

Außerdem gab es ja längst auch auf deutschem Hoheitsgebiet Regelungen des Verhältnisses von weltlicher Macht und Kirche auf Länderebene: Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., hatte Konkordate mit Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden (1932) ausgehandelt.

Nun soll Pacelli auf höherer Ebene verhandeln. Er trifft auf gesprächswillige Gegenüber: Hitler und sein Vizekanzler, der vormals zur Zentrumspartei gehörende, jetzt parteilose Franz von Papen, drängen auf ein Konkordat. Hitler wünschte sich eines nach italienischem Vorbild, das Angehörigen des Klerus keine aktiven politischen Ämter erlaubt. Darüber hinaus hofft er, mit einer Reverenzbezeugung gegenüber der Kirche die traditionell der Zentrumspartei nahen Katholiken für sich einzunehmen.

Verhandlung und Faustrecht

Ein erster Vertragsentwurf drängt nach Hitlers Auffassung den kirchlichen Einfluss nicht weit genug zurück - und schon schlagen die Fäuste zu: Am 11. Juli 1933 attackierten in München Angehörige der SA Teilnehmer des Gesellentags des Kolpingwerks. Damit signalisiert der Nationalsozialismus, dass er auch der Kirche gegenüber gewaltbereit ist. Ein Konkordat ist ein Entgegenkommen. Die Machtlosigkeit einer moralischen Instanz im Regime der Unmoral wird manifest.

Die Botschaft wird verstanden. Den deutschen Bischöfen sitzt jetzt die Angst im Nacken. Die zweite Verhandlungsrunde, die in Rom stattfindet, führt denn auch zum Vertragsabschluss. Inkludiert sind gleichartige Regelungen für nicht-katholische Konfessionen. Sofort hebt Hitler die Repressionen gegen kirchliche Einrichtungen und Geistliche auf. Am 10. September 1933 erfolgt die Ratifizierung des Konkordats durch das Deutsche Reich. Durch den Anschluss Österreichs wird das Konkordat 1938 auch für die sogenannte Ostmark gültig.

Nach 1945 wird das Konkordat nicht gekündigt, nach Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1957 ist es gültig zustande gekommen. Auch in Österreich bleibt es in Kraft.

Die meisten Punkte des Konkordats sind nur für Angehörige des Klerus spürbar, an andere hat man sich gewöhnt, etwa daran, dass Geistliche keine politischen Ämter bekleiden. Auch die Kirchensteuer in der heute noch gültigen Version ist eine Folge des Konkordats - aber eine nationalsozialistische Erfindung ist sie nicht. Bereits die Weimarer Verfassung von 1919 sieht eine Kirchensteuer vor.

Erhoben wird eine Kirchensteuer unter anderem in Schweden und in Finnland. Massiv katholisch geprägte Länder wie Polen und Brasilien kennen indessen keine Kirchensteuer. Italien und Spanien heben eine Steuer ein, doch der Steuerzahler darf deren Zweck bestimmen, also festlegen, ob das Geld der Kirche, gemeinnützigen Einrichtungen oder dem Staat zugute kommen soll.

Nicht verhindern konnte das Konkordat, dass Angehörige der unterschiedlichen christlichen Bekenntnisse in die KZs verschleppt, gefoltert und ermordet wurden: Diese Christen folgten ihrem Gewissen und verweigerten die Teilnahme an den nationalsozialistischen Verbrechen - das gilt als Hochverrat. Es scheint, dass in Diktaturen eben alles Hochverrat ist, was moralischen Grundsätzen entspricht.