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Dunkle Wolken über der grünen Insel

Von Petra Medek

Wirtschaft

Arbeitslosigkeit steigt, Wirtschaftswachstum sackt ab. | Bauleistung sinkt, doch zahlreiche Projekte stehen noch an. | Dublin. Grüne Hügel, weiße Schafe, braunes Bier - wenn man an Irland denkt, kommen einem zahlreiche Klischees in den Sinn. Am 12. Juni, wenn ganz Europa gebannt die Volksabstimmung der Iren über den EU-Reformvertrag verfolgen wird, wird wenig Platz sein für Postkarten-Idylle. Zu groß ist die Sorge der Europäer, dass die kleine grüne Insel, die ja als einziges EU-Mitglied über das Vertragswerk der Union von Lissabon abstimmt, gegen den Strom schwimmen könnte. Die Nervosität in der EU ist groß.


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Das Referendum trifft die Iren zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, denn die erfolgsverwöhnten Iren haben schon bessere Tage gesehen. 2007 wuchs die irische Wirtschaft noch um 5,3 Prozent, für heuer geht das Dubliner Wirtschaftsinstitut Esri nur mehr von 1,8 Prozent aus. Der Ökonom Alan Ahearne geht noch weiter. "Wir steuern auf ein Nullwachstum zu", erklärte er kürzlich gegenüber der "Financial Times Deutschland".

Dabei haben die "Latinos des Nordens", wie die Iren aufgrund ihrer Lebenslust und Offenheit auch genannt werden, zwei sagenhafte Jahrzehnte hingelegt. In den vergangenen beiden Dekaden hat sich das ehemalige Armenhaus Europas zum keltischen Tigerstaat gemausert. Lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf der grünen Insel 1990 noch bei 10.000 Euro, so wurden vergangenes Jahr schon 36.000 Euro erreicht.

Beinahe schon legendär sind die Arbeitsmarktdaten: 1987 lag die Arbeitslosenquote noch bei 17 Prozent, 2007 waren es 4,6 Prozent. 1972 gab es in Irland eine Million Beschäftigte, 2007 waren es 2,1 Millionen.

Gut zu messen ist der wirtschaftliche Aufschwung auch am sogenannten BMW-Faktor: Wurden 1972 erst 30 der bayrischen Karossen neu in Irland zugelassen, so waren es vergangenes Jahr über 7000.

Der kometenhafte Aufstieg gelang der grünen Insel nicht nur durch umfangreiche EU-Zuwendungen (bis 2007 war Irland Nettoempfänger, bis dato sind rund 60 Mrd. Euro nach Irland geflossen). Vor allem die massiven ausländischen Investitionen haben das Wachstum getragen, erzählt Günther Sucher, österreichischer Handelsdelegierter für Irland.

Die günstigen steuerlichen Bedingungen (12 Prozent Körperschaftsteuer) und das breite Angebot an gut ausgebildeten Arbeitskräften lockten zahlreiche internationale Großkonzerne vor allem aus der IT- und Pharmabranche.

Ein besonderes Steuerzuckerl gibt es (noch bis zum nächsten Jahr) für die Finanzdienstleistungsbranche: Für sie wurde die Steuerquote sogar auf 10 Prozent gesenkt. Und die Rechnung ging auf: Um die vielen Büros der Finanzdienstleister am Ufer der Liffey ist in Dublin mittlerweile ein eigener kleiner Stadtteil entstanden. Allein 70 deutschsprachige Finanzdienstleister haben hier ihre Niederlassung. In Summe hat die Hälfte der weltweit größten 50 Banken und die Hälfte der weltweit größten 20 Versicherungsunternehmen haben eigene Niederlassungen in Irland.

Vom Auswanderer- zum Einwandererland

"Irland hat geschickt Standortlobbying betrieben", sagt Sucher. Kein Wunder also, dass der Wirtschaftsmotor der grünen Insel rasch zu brummen begann, die Auswanderung der Iren gestoppt wurde und zahlreiche Arbeitskräfte auf die Insel strömten, um am Aufschwung zu partizipieren.

Nun hat der Boom jedoch sein Ende erreicht: Die Arbeitslosigkeit steigt wieder (zuletzt 5,6 Prozent), und die überhitzten Immobilienpreise sinken seit vielen Jahren erstmals.

Die Baubranche verschnauft: Vergangenes Jahr wurden noch 90.000 Häuser errichtet, heuer werden es etwa die Hälfte sein, sagt Sucher. Gleichzeitig gibt der Handelsdelegierte jedoch zu bedenken, dass noch zahlreiche große Bauprojekte anstehen: Fußballstadien etwa, Autobahnen oder der Bau einer U-Bahn in Dublin, für den sich übrigens auch die österreichische Strabag mitbeworben hat.

Übertriebener Pessimismus ist daher aus seiner Sicht nicht angebracht: Der Wirtschaftsboom finde zwar ein Ende, doch "der keltische Tiger ist bis heute nicht abgestürzt", so der österreichische Handelsdelegierte.

Sorgen machen ihm jedoch die möglichen Konsequenzen, falls die Iren den EU-Vertrag am 12. Juni ablehnen: Dies könne bei internationalen Investoren zu einem Vertrauensverlust in den Standort führen, befürchtet Sucher. Doch derzeit sehe es eher so aus, als würden die Iren der EU ihren Segen geben.