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Dunkle Wolken über der Straße von Formosa

Von Walter Hämmerle

Politik

Taiwans Präsident will UN-Referendum. | China droht offen mit militärischen Schritten. | Wien/Taipeh. Über der Straße von Formosa brauen sich dunkle Wolken zusammen. Wieder einmal, gilt die Meerenge zwischen Festland China und Taiwan als Hot spot der internationalen Politik. "Dieses und nächstes Jahr werden eine ausgesprochen gefährliche Zeit", informierte Chinas Staatspräsident Hu Jintao US-Präsident George W. Bush letzte Woche bei einem Treffen am Rande des Südostasien-Gipfels in Sydney. Im Auge hatte Hu die Wahlen in Taiwan im kommenden März.


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Dann wählen die rund 24 Millionen Taiwanesen nicht nur einen neuen Staatspräsidenten und ein neues Parlament, sondern können möglicherweise auch über einen Beitritt zu den Vereinten Nationen abstimmen. So will es zumindest Noch-Staatspräsident Chen Shui-bian, nachdem auch der diesjährige Versuch Taiwans, in die UNO aufgenommen zu werden, im Juli scheiterte. Bis auf eine Handvoll unbedeutender Länder in Mittelamerika und Afrika ist die Insel - in den Augen Pekings integraler Bestandteil Chinas - diplomatisch isoliert.

Die Art und Weise, wie Taiwans Ansuchen abgewiesen wurde, irritierte aber doch: Dass UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon schlicht die Annahme des Briefs von Chen verweigerte, trug ihm auch vom "Wall Street Journal" einen Rüffel ein.

Chens Vorpreschen in Sachen Unabhängigkeit provoziert aber nicht nur eine militärische Reaktion des kommunistischen Festlands, es stößt auch in den USA auf Ärger. In den Augen der Bush-Administrationen gießt Chen unnötig Öl in eine ohnehin beständig glosende Glut. Zwar haben sich die USA 1979 vertraglich verpflichtet, Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs militärisch zu verteidigen, derzeit jedoch liegt Washington mehr an ungestörten Handelsbeziehungen mit dem Riesenmarkt China.

Die - mitunter ruckartigen - Aktionen Chens in Sachen Unabhängigkeit sind nicht frei von innenpolitischen Motiven: Seit Monaten organisiert die oppositionelle Kuomintang-Partei (KMT) Massendemonstrationen gegen den Präsidenten von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Familienanghörige Chens stehen unter Korruptionsverdacht. Die DPP hat in dieser Hinsicht allzu schnell die schlechten Angewohnheiten der KMT übernommen, die jahrzehntelang die Geschicke Taiwans lenkte.

Aber Drohungen Chinas verdrängen verlässlich hässliche Berichte über Parteienfilz und Korruption aus den Schlagzeilen. Der innenpolitisch angeschlagene Chen spielt in den letzten Monaten seiner Amtszeit ein riskantes außenpolitisches Spiel. Dabei weiß er allerdings die große Mehrheit der Bürger hinter sich: Die Menschen in Taiwan haben längst eine eigene Identität entwickelt - nur dem Land selbst mangelt es an nationalen Symbolen. Dass in einer solch prekären Lage auch die Politik kein Identifikationssymbol anbieten kann, ist ein schweres Defizit: An der Spitze steht ein spaltender Präsident.

Die Aussichten, dass Chens Nachfolger vorsichtiger agiert, sind ambivalent: Beide Kandidaten - Frank Hsieh (DPP) und Ma Ying-Jeou (KMT) - sind als Ex-Bürgermeister von Millionenstädten mit dem untrüglichen Pragmatismus gelernter Kommunalpolitiker ausgestattet. In deren Adern fließt aber bekanntlich auch ein ordentliches Schuss Populismus. Man wird sehen, ob es dem Sieger gelingen wird, die tiefe innenpolitische Kluft zu überwinden, ein friedliches Auskommen mit China zu sichern und dennoch dem Wunsch der Bürger nach Souveränität Schritt für Schritt nachzukommen.