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Durch das osmanische Wien

Von Stephanie de la Barra

Politik
Fremdenführer Yusuf Sümbültepe glaubt nicht an Zufälle und Wunder.
© de la Barra

Der Fremdenführer Yusuf Sümbültepe bietet osmanische Führungen durch Wien an - auch auf Türkisch.


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Wien. Yusuf Sümbültepe dreht die Uhren gerne um 450 Jahre zurück. Für zwei Stunden zeigt der Fremdenführer dann eine unbekannte Welt, das "osmanische Wien". Überreste einer Zeit, in der sich die Monarchie der Habsburger und das Osmanische Reich im Kampf um die Vorherrschaft in Südosteuropa gegenüberstanden.

"Hier", Yusuf deutet in einen kleinen Hauseingang in der Griechengasse, nahe dem Schwedenplatz. "Hier war vermutlich das erste muslimische Bethaus Wiens." Er deutet auf zwei Holzbalken mit alt-osmanischer Inschrift. Das Osmanische ist eine Mischung aus dem Türkischen, Arabischen und Persischen, erklärt er. Die Sprache und die Einwanderer aus dem Osmanischen Reich haben in Wien ihre Spuren hinterlassen. Es sind vor allem Spuren des kulturellen Austauschs. Mozart war später davon stark beeinflusst und schrieb den "Rondo alla Turka". Manche Einflüsse wurden aber auch für negative Propaganda genutzt. Schoßhündchen etwa wurden nach den Türkenbelagerungen spöttisch "Pascha" genannt, das abfällige Wort "Kümmeltürke" stammt ebenfalls aus der Zeit. Yusuf Sümbültepe, staatlich geprüfter Fremdenführer, ist nicht der Einzige, der Rundgänge mit dem Schwerpunkt osmanische Geschichte macht. Hingegen bietet er seine Führungen auf Türkisch an, als Einziger in Wien. "Der Unterschied ist die Sprache, und ich stelle einen Bezug zu heute her. Ich bin politisch", erklärt er.

"Die Vielfalt machtWien aus"

Gegenüber dem Bethaus steht noch heute die Georgskirche, eine griechisch-orthodoxe Kirche. Im 17. Jahrhundert war diese Ecke Wiens ein lebendiges griechisches Viertel. Als ehemalige Untertanen des Sultans hatten sie die osmanische Kultur mitgebracht. Erst unter Kaiser Joseph II. wurde 1781 das Toleranzpatent beschlossen. Ein Papier, das allen Religionsgemeinschaften freie Religionsausübung und Bethäuser ermöglichte. Mit einer Einschränkung: Die Betstätten durften von außen nicht als solche erkennbar sein. So sei es auch kein Zufall, dass die Synagoge in der Seiten-stettengasse hinter einer Häuserwand versteckt ist, erklärt Yusuf Sümbültepe.

Ein paar Schritte weiter, in der Nähe des Fleischmarktes, zeigt er einen verborgenen Schatz. Drei Kanonenkugeln, die fest in einer Häuserwand stecken. Es sind die letzten Überreste der ersten Türkenbelagerung Wiens von 1529. Mehr ist nicht geblieben. "Mit dem Befehl zur Schleifung der Stadtmauer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind die größten Schätze verlorenen gegangen", sagt Sümbültepe. "Damals fehlte der Sinn zur Erhaltung. Man hat pragmatisch gedacht."

Heute ist das Credo die Wahrung der historischen Stätten. Und kaum ein Ereignis hat Wien so geprägt wie die beiden Türkenbelagerungen. Kulturell wie politisch. "Deshalb wusste ich auch, dass die Führung immer großes Interesse hat und haben wird." Wien war, mit Unterbrechungen, über 650 Jahre lang Residenzstadt der Habsburgermonarchie und als solche ein multikultureller Schmelztiegel. "Diese Tradition hat sich fortgesetzt. Das sollte man bewahren und endlich akzeptieren", sagt er, während er durch die schmalen Gassen Richtung Innenstadt geht. "Die Vielfalt macht Wien aus." Er spricht diese Worte bewusst als Sohn türkischer Gastarbeiter. Das hat ihn politisiert und gab später den Anstoß, historische Führungen mit aktuellem Bezug zu machen. 1987 kam er nach Wien, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Er studierte Orientalische Philologie an der Universität Wien und arbeitete später in der Gastronomie. Heute macht er Führungen durch die Stadt auf Deutsch und auf Türkisch.

Wie Politiker historische Botschaften missbrauchen

An der Nordseite des Stephansdoms bleibt er vor einer mächtigen Statue stehen. Hier beginnt die Geschichte einer Reihe von Inszenierungen rund um die Türkenbelagerungen. Mal vereinnahmt von der Kirche, mal von der Politik. Manchmal auch beides. Ein steinerner Johannes Capistranus ist zu sehen, der unter seinen Füßen einen nackten und hässlichen Osmanen begräbt. Der Wanderprediger Capistranus hatte kurz vor der Eroberung Konstantinopels die Christen zur Verteidigung gegen die Osmanen aufgerufen. "Ein Held des Christentums, dabei war er historisch unbedeutend", sagt Yusuf. Viel später, Ende des 17. Jahrhunderts wurde er wiederentdeckt und von der Kirche heiliggesprochen. Es geht hier um Symbolbilder, um Propaganda letztlich.

Es sind die zwei Themen, die Yusuf Sümbültepe auf seinem Rundgang immer wieder versucht, zu verdeutlichen: historischer Symbolismus und politische Instrumentalisierung. Natürlich sind auch viele Legenden entstanden, wie jene vom Kaffee. Dass die Türken nach der zweiten Belagerung säckeweise Kaffeebohnen vergessen hätten, ist schlicht erfunden. Vielmehr stimmt, dass ein osmanischer Händler namens Johannes Theodat den eingebrochenen Silberhandel übernahm, nachdem 1669 die Juden aus Wien ausgewiesen worden waren. Als Dank erhielt er von Kaiser Leopold I. die Erlaubnis, das erste Wiener Kaffeehaus zu eröffnen.

Über die Kärntnerstraße geht es weiter bis zur Kaisergruft. Yusuf Sümbültepe bleibt vor einer überlebensgroßen Statue neben dem Eingang zur Gruft stehen. "Markus von Aviano" steht darunter. Er war Priester und Berater von Kaiser Leopold I. Er war es auch, der den österreichischen Kaiser, den polnischen König Jan III. Sobieski und den Papst 1683 gegen die Osmanen einte. 250 Jahre später, also 1933, wurde Aviano wiederentdeckt, ausgerechnet von den Austrofaschisten. "Mit der Errichtung der Aviano-Statue wurde Dollfuß zum Schützer des Christentums und des Ständestaates stilisiert", sagt Yusuf. Der steinerne Priester hält mit der rechten Hand ein riesiges Kreuz gen Himmel, als wollte er die fremden Götter selbst herausfordern. "Die Botschaft ist eindeutig: Der Sieg über den Feind", sagt Sümbültepe. "Manche Politiker verwenden heute noch diese Botschaft."Sümbültepe kramt in seiner Tasche, holt sein iPad hervor, tippt. Dann zeigt er ein Bild von Heinz-Christian Strache, Europa-Wahl 2009. Der FPÖ-Chef ist zu sehen. In seiner rechten Hand hält er ein riesiges Kreuz. "Abendland in Christenhand", war damals der umstrittene Wahlkampfslogan. Es ist längst nicht das letzte Beispiel historischer Vereinnahmung für eigene Zwecke. Er nennt die Enthüllung des Denkmals des Wiener Bürgermeisters Johann von Liebenberg, genau zweihundert Jahre nach der zweiten Türkenbelagerung. 1683 hatte er die Stadtbevölkerung gegen die Türken organisiert. Über seiner Büste stehend die Siegesgöttin Victoria, unter ihm Flagge und Schild der Osmanen. Oder der Fakt, dass Papst Johannes Paul II., genau zwischen 9. und 13. September 1983, dem dreihundertsten Jahrestag der Befreiung Wiens von den Türken, die Hauptstadt besuchte.

"Das ist kein Zufall", sagt Yusuf Sümbültepe zum Schluss und kommt damit in der Gegenwart an. An Zufälle und Wunder glaubt er nicht. Aber er glaubt an Zusammenhänge, an geschichtliche und politische. Und Wien ist voll davon.