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Durch die Wirren zweier Kriege

Von Wolfgang Tucek

Politik

Der Krieg von innen: Zehn Jahre hielt Aslan* es aus. Sein Bruder wurde erschossen, sein Vater zu Tode geprügelt, er selbst willkürlich verhaftet und tagelang unter Schlägen verhört. Für die Zukunft seiner Kinder verließ er 2001 seine Heimat. Ein Einzelschicksal, das für viele in Tschetschenien steht.


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Im ersten Krieg ging es um die Freiheit. Als die Russen 1994 einmarschierten, schloss sich Aslan gemeinsam mit seinem Bruder den tschetschenischen Truppen an. Der Islam spielte dabei keine Rolle, meint er, "wir haben für die Freiheit gekämpft". Neujahr 1995 der erste schwere Verlust: Aslans Bruder fällt bei einem Gefecht mit den Russen - Kriegsalltag.

Dabei sollte es nicht bleiben. Der Vater, seit dem Verlust seines Sohnes nicht mehr der alte, machte im Oktober darauf einen folgenschweren Fehler. Unbedachte Worte des Ärgers gegenüber einer russischen Patrouille führten zu Einlieferung ins Filtrationslager Mosdok. Aslan, damals im Kampfeinsatz - "ich war nie ein Kommandant" -, ergriff die Initiative: Ein Gefangenenaustausch sollte den Vater zurückbringen. Die Verhandlungen gestalteten sich schwierig, die offizielle Weisung aus Moskau verbot derartige Händel. "Das sind deine Leute, die wir gefangen halten! Du bist hier für sie verantwortlich, nicht irgendwer in Moskau", redete er auf den lokalen russischen Kommandeur ein. Umsonst. Erst als nach drei Wochen der Befehlshaber wechselte - "er hieß Ramonow, oder so" - bekam Aslan zurück, was die Haft von seinem Vater übrig gelassen hatte. Mit Tränen in den Augen seufzt er: "Nach zwei Wochen ist er zu Hause an seinen schweren Verletzungen gestorben. Sie haben ihn zwei Monate lang jeden Tag verprügelt, einen 62-jährigen Mann."

Aslan selbst wurde im Mai 1996 von einem russischen Scharfschützen getroffen - Oberschenkeldurchschuss. Der Einnahme seiner Heimatstadt Gudermes durch die Tschetschenen folgte im August 1996 der vorläufige Frieden.

Als vor vier Jahren die Russen erneut einmarschierten, griff Aslan seinen Kindern zuliebe nicht mehr zu den Waffen. "Der zweite Krieg war anders, man war nirgends mehr sicher vor den Raketen der Russen", sagt er.

Willkürlich festgenommen

Anfang 2000 wird Aslan willkürlich festgenommen. Auf dem Weg zur Post stoppt ihn eine Patrouille. Sein Pass wird von den Sicherheitskräften für ungültig erklärt. "Wieso? Gestern war er noch ok.", sagt er. Einerlei. Er wird festgenommen. Fünf Tage lang wird Aslan unter Prügeln verhört - er deutet auf seine etwas schiefe Nase - "gebrochen" - und eine Delle an seiner Stirn - "immer und immer haben sie zugeschlagen".

Doch Aslan hatte Glück, einer seiner Cousins war bei der Polizei und intervenierte für ihn. 1.000 Dollar zahlt Aslans Familie für seine Freilassung, ein vergleichsweise niedriger Betrag. "Nun musste ich flüchten", erzählt er, "beim zweiten Mal hätte es 5.000 Dollar gekostet, das Geld hatten wir einfach nicht. Es hätte keinen Ausweg mehr gegeben. Erst hätten sie mich getötet, morgen vielleicht meine Kinder."

Wer weniger Glück hat . . .

Aslan berichtet von dem Fall eines Bekannten mit weniger Glück: Russische Sicherheitskräfte holten in zu Hause ab. Seine Frau notierte das Kennzeichen des Fahrzeuges und gab dieses am nächsten Tag, nach ihrem Mann suchend, bei der Polizei an. "Tut mir leid", sagte der Beamte, "das kann nicht sein, der Wagen war gestern kaputt und nicht im Einsatz". Der Bekannte wurde nie wieder gesehen.

*Name von der Redaktion geändert