Die Kommunalwahlen in Frankreich sind ein deutliches Warnsignal für die sozialistische Regierung und Präsident Hollande.
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Paris. Marine Le Pen neigt nicht zu Bescheidenheit. Und dass sie sich selbst unterschätzt, passiert ihr selten; doch nach dem ersten Durchgang der französischen Kommunalwahlen am Sonntag war sogar sie überrascht über den durchschlagenden Erfolg ihrer rechtsextremen Front National. Bereits auf Anhieb die absolute Mehrheit in einer Stadt zu erobern, das sei ein "unverhoffter" Sieg, verkündete die Rechtspopulistin triumphierend. Noch vor dem zweiten Durchgang am nächsten Sonntag steht fest, dass ihre Partei im nordfranzösischen Städtchen Hénin-Beaumont den Bürgermeister stellen wird: Der junge Parteikader Steeve Briois holte dort 50,3 Prozent der Stimmen. Dabei erfordert das Mehrheitswahlrecht in den meisten Kommunen zwei Abstimmungsdurchgänge.
Ein symbolischer Erfolg, der zeigt, dass Le Pens Plan aufgeht, die Front National auch lokal zu verankern, um ihre Machtbasis zu vergrößern. Zwar konnte die Partei mangels Kandidaten nur in gut sechs Prozent aller Städte und Gemeinden antreten, doch dort kam sie meist weiter als erwartet. So liegt die extreme Rechte in 17 Gemeinden, darunter das elsässische Forbach, Perpignan im Südwesten und Avignon in der Provence, vor den Kandidaten der Sozialisten und der bürgerlich-konservativen UMP. In 229 erhielt sie mehr als zehn Prozent und zieht damit als Königsmacher in eine Dreiecksabstimmung ein, was vor allem der bürgerlichen Rechten schaden dürfte. Eine "republikanische Front" gemeinsam mit den Sozialisten lehnt sie dennoch strikt ab.
Selbst in traditionell linken Regionen wie der Bretagne, die bisher als immun gegenüber der Front National galt, ist Le Pen auf dem Vormarsch. Sie erklärte das "Ende der Bipolarisierung" des französischen Parteien-Systems. Ihre Ziele, bei den Europawahlen im Mai stärkste politische Kraft Frankreichs zu werden und bei der Präsidentschaftswahl 2017 ein noch besseres Ergebnis zu erzielen als 2012, wo sie 17,9 Prozent der Stimmen holte, scheinen durchaus realistisch.
Hohe Verluste für Sozialisten
Seit die jüngste Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen 2011 die Führung der Front National übernahm, hat sie der Bewegung ein moderneres Image verpasst. Erfolgreich baut sie die Partei zum Sammelbecken für all jene aus, die sich als Verlierer der Krise fühlen, die Einwanderung und Europa verantwortlich dafür machen, die sich enttäuscht von den herkömmlichen Parteien abwenden. Und das werden immer mehr.
Die UMP hat sich seit ihrer Wahlniederlage 2012 in interne Führungsstreitigkeiten verstrickt, lässt eine klare politische Linie vermissen und wurde zuletzt von den Korruptions- und Abhörskandalen um Ex-Präsident Nicolas Sarkozy erschüttert. Deshalb profitiert sie nur begrenzt von der heftigen Ablehnung der aktuellen Regierung. Das umkämpfte Marseille dürfte zumindest in der Hand des 74-jährigen Konservativen Jean-Claude Gaudin bleiben, wichtige Städte wie Straßburg und Toulouse könnten gewonnen werden. Den größten Triumph feierte Ex-Premier und -Außenminister Alain Juppé in Bordeaux, der mit 60,9 Prozent wiedergewählt wurde.
Insgesamt liegen die Konservativen mit 46,5 Prozent der Stimmen deutlich vor den Sozialisten mit 37,7 Prozent. Selbst in Hochburgen wie Lyon, Dijon und Lille registrierten sie hohe Verluste. Auch in Paris enttäuschte die linke Kandidatin Anne Hidalgo, bisherige Stellvertreterin des scheidenden Bürgermeisters Bertrand Delanoë, die knapp hinter Nathalie Kosciusko-Morizet, früherer Umweltministerin unter Sarkozy, lag. Aufgrund des komplizierten Wahlsystems bleiben ihre Chancen aber gut, am Ende doch noch zu gewinnen.
Hatte Präsident François Hollande im Vorfeld das Votum als rein lokale Abstimmung eingestuft, so erklärte UMP-Chef Jean-François Copé, die Franzosen hätten zu Recht "ihrer Wut Luft gemacht". Generell wird der Enttäuschung über den laut Umfragen unbeliebtesten Präsidenten der Fünften Republik, die Rekord-Arbeitslosigkeit und der schlechten Wirtschaftslage eine große Verantwortung nicht nur für den Aufstieg der Front National, sondern auch die Rekord-Enthaltung von fast 40 Prozent zugewiesen. "Dies reflektiert die Ablehnung des politischen Personals, verstärkt durch die letzten Skandale", erklärt der Meinungsforscher Frédéric Dabi. "Aber die Stimmenthaltung illustriert auch die Desillusionierung der Wähler gegenüber der Fähigkeit der Politiker, etwas zu verändern." Es wird erwartet, dass Hollande nach dem zweiten Urnengang am Sonntag eine Regierungsumbildung vornimmt, um das Signal eines Neuanfangs zu senden. Bis dahin kämpfen die Parteien noch um die Stimmen vor allem jener, die sich enthalten haben.