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Durchschlängeln zwischen den Höchstgerichten

Von Alfred Abel

Wirtschaft

Die trauernde Hinterbliebene musste einen dreifachen Schock verkraften. Zunächst den Todesfall, dann die hohe Erbschaftssteuer auf das erhaltene Vermächtnis. Und als sie gegen die Steuerbelastung beim Verwaltungsgerichtshof Hilfe suchte, erlitt sie dort eine glatte Abfuhr: Das Höchstgericht gab dem Fiskus recht. Schließlich gab es noch einen vierten Schock: Nämlich als die Frau erfahren musste, dass sie sich dem falschen Höchstgericht anvertraut hatte. Hätte sie sich nämlich beim Verfassungsgerichtshof um ihr Recht bemüht, wäre ihr Legat steuerfrei geblieben. Wer ahnt schon, dass es am Wiener Judenplatz zweierlei Recht gibt.


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Seit der Einführung der Endbesteuerung sind private Sparbücher, die im Erbweg übertragen werden, erbschaftssteuerfrei. Die Kapitalertragsteuer, die von den Zinsen solcher Sparguthaben einbehalten wird, deckt fiktiv auch eine Erbschaftssteuerbelastung ab. Ähnliches gilt übrigens auch für inländische Anleihen und ähnliche Wertpapiere, die Teil einer Verlassenschaft sind. Die Erben dürfen mit Freude vermerken, dass solche Vermögenswerte aus der Erbschaftsbesteuerung ausgeklammert werden.

Barlegat aus dem Sparbuch

Ein Problem entsteht, wenn die Erben aus dem übernommenen (endbesteuerten) Vermögen zufolge Testament oder Erbrecht noch andere Personen befriedigen müssen. Etwa, wenn ein Erblasser testamentarisch verfügt hat, dass einer dritten Person (also keinem direkten Erben) ein bestimmter Betrag überlassen werden soll: ein Vermächtnis, ein Barlegat. Oft wird zur Erfüllung einer solchen Verpflichtung eines der "geerbten" Sparbücher herangezogen, der Betrag dort abgehoben und dem begünstigten Legatsempfänger übergeben. Oder es wird überhaupt gleich ein Sparbuch übertragen. Legat erfüllt.

Legat erfüllt - aber erbschaftssteuerpflichtig. Obgleich der Barbetrag aus einem endbesteuerten Sparbuch entnommen und ausbezahlt wird, kommt er rechtlich eigentlich nicht direkt aus dem (endbesteuerten) Verlassenschaftsvermögen, sondern aus der Hand der Erben, die den letzten Willen des Erblassers erfüllen - sozusagen aus zweiter Hand. "Das Barlegat" - sagen die Juristen - "ist nicht eine Forderung an die Erbmasse, sondern eine Forderung an die Erben". Weil das Geld aus der Hand der Erben aber nicht mehr als endbesteuert gilt, packt der Fiskus beim Legatsempfänger zu.

Legat aus "zweiter Hand"

Der häufigste Fall solcher Barvermächtnisse passiert in der Praxis unter Lebensgefährten. Gerade bei diesem Personenkreis gilt die höchste Tarifstufe der Erbschaftssteuer, weshalb diesbezügliche Steuervorschreibungen stets von ordentlichem Kaliber sind.

Der Verwaltungsgerichtshof - in der Vergangenheit mit vielen Beschwerden zur Legatsbesteuerung konfrontiert - hielt sich in allen Fällen an die oben erwähnte Gedankenkette. Auch wenn die Erfüllung eines Vermächtnisses aus einem endbesteuertem Sparbuch finanziert werde, sei der Vorgang von der begünstigten Steuerabgeltung nicht erfasst und daher normal erbschaftssteuerpflichtig. Der Legatar müsse sich die Steuer auf seine "Bereicherung" eben gefallen lassen.

Dass den Verwaltungsrichtern bei dieser Auslegung nicht ganz wohl war, zeigt sich darin, dass sie plötzlich Bedenken gegen den Erbschaftssteuervorteil für Sparvermögen bekamen und beim Verfassungsgericht eine Überprüfung der diesbezüglichen Endbesteuerung anregten. Die Verfassungsrichter fanden das Gesetz jedoch ganz in Ordnung, zumal es im Verfassungsrang steht. - Dann freilich kam die Überraschung.

Als die Finanz nämlich wieder einmal ein Barlegat mit 42% Erbschaftssteuer belegte, gingen die herbeigerufenen Anwälte nicht zum Verwaltungsgericht, sondern zum Verfassungsgericht. Und hatten hier Erfolg!

Die ausführliche Begründung des betreffenden VfGH-Erkenntnisses (B 128/97 vom 29.2.1999, dem inzwischen bereits ein weiteres folgte) ist nicht nur deshalb bemerkens-wert, weil es eine überzeugende Rechtsauslegung enthält, sondern auch deshalb, weil ein Höchstgericht das andere unmissverständlich rüffelt.

Kein Nachteil für "Miterben"

"Der Erwerb eines Vermögensgegenstandes bleibt auch dann ein erbrechtlicher, wenn er nicht (allein) auf Testament (Erbvertrag) oder gesetzlicher Erbfolge beruht, sondern (auch) auf ein Erb- oder Pflichtteilsübereinkommen zurück-zuführen ist", meinen die Verfassungsrichter. Und sinngemäß weiter: Daraus folgt, dass die Erbschaftssteuer auch dann (im Rahmen der Endbesteuerung) abgegolten sein muss, wenn in Abgeltung des Pflichtteilsanspruchs oder im Zuge einer Erbauseinandersetzung endbesteuertes Nachlassvermögen zugewiesen wird. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, die - im Gesetz nicht behandelte - Erfüllung eines (Geld-)Vermächtnisses mittels endbesteuertem Nachlassvermögen anders zu behandeln. Dass der Erb-lasser nur (Bar-)Geld vermacht hat, kann hier ebenso wenig schaden, wie beim Pflichtteilsanspruch. Der gegenteiligen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes kann der Verfassungsgerichtshof nicht beipflichten.

Höchstgericht zum Aussuchen

Die Frage, welches Gericht in diesen Fällen den besseren Rechtsschutz gewährt, scheint sich aus diesem paradoxen Dualismus der Meinungen selbst zu beantworten. So sieht es auch die Kammer der Wirtschaftstreuhänder, die in einer soeben ausgesandten Mitteilung ihren steuerberatenden Mitgliedern einen entsprechenden Verfahrenstipp auf den Weg gibt; je nachdem, ob es sich um ein Endbesteuerungs-problem direkt beim Erben handelt oder um die Erbschaftssteuer bei einem "Miterben".

"In einem eventuellen Berufungsverfahren wird sich somit der Erbe an den VwGH, der Pflichtteilsberechtigte, Legatar oder der abgefundene Miterbe demgegenüber an den VfGH wenden" heißt es da. Wissen muss man's halt.