Warum allgemeine Bildung auch bei der Landesverteidigung eine Rolle spielt.
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Man kann nur hoffen, dass der Bildungsminister aufmerksam den "Wiener Zeitung"-Artikel über die ukrainische "Do-it-yourself-Armee" gelesen hat. Man wünscht sich, dass er noch am selben Tag eine Bildungsreform durchgesetzt hat, die den Lehrkräften an den Schulen mehr Räume, mehr Zeit und mehr Hilfspersonal bei gleichzeitig weniger Verwaltungsvorschriften und maximal 17 Schülern pro Klasse an die Hand gibt. Man träumt davon, dass dies mit größtmöglicher Unterstützung durch Verteidigungsministerin, Bundeskanzler und Bundespräsidenten realisiert wird.
Rückblick ins 18. Jahrhundert: Die preußische Armee hat die österreichische vernichtend geschlagen, das reiche Schlesien bleibt für Maria Theresia verloren. Eine der Folgen ist die Schulpflicht. Nicht so sehr, weil Österreichs Eliten ihren Untertanen philosophische Freizeitlektüre ermöglichen wollen, sondern weil es ein wesentlicher Kriegsnachteil war, dass der österreichische Durchschnittssoldat keine Befehle lesen, geschweige denn schriftlich Nachrichten weitergeben oder richtig rechnen konnte.
Einschlägige Untersuchungen zeigen im Österreich des 21. Jahrhunderts, dass ein Viertel der Pflichtschulabgänger nicht lesen, schreiben und rechnen kann, sogar 4 Prozent der Akademiker als Analphabeten geführt werden und die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) weiter so vor sich hin grundeln. Wenn Malermeister an Lehrlingen verzweifeln, die es nicht schaffen, die Wandfläche eines Raumes zu berechnen, dann müssen wir fragen, wie es dem Bundesheer mit seinen Wehrdienstpflichtigen und Freiwilligen geht, die zur Landesverteidigung ausgebildet werden sollen.
Wenn wir im derzeit sicheren und neutralen Österreich mit einem unterausgestatteten Heereswesen erste Reihe fußfrei auf Social Media dem Erfindungsreichtum von durchschnittlichen Ukrainern bei der Verteidigung ihres Landes gegen eine der größten Armeen der Welt zuschauen, dann ist es spätestens jetzt der richtige Zeitpunkt zu fragen: Könnten wir das auch? Hätten genügend österreichische Bürgerinnen und Bürger ausreichende Kenntnisse im Schreiben, Rechnen und Lesen, das notwendige Verständnis für komplexe Zusammenhänge sowie das entsprechende Technik- und Management-Know-how, um eine mangelhaft ausgestattete Armee im Widerstand erfolgreich unterstützen zu können? Wären genügend Menschen in Österreich in vernetztem und agilem Denken und Handeln geschult, um unabhängig von einer Befehlskette sinnvoll mit dem Bundesheer zusammenarbeiten zu können? Und gäbe es in diesem die Kultur, so eine flexible und dynamische Kooperation überhaupt zuzulassen und erfolgreich zu managen?
"Posen statt Performen" ist der häufig gemachte Vorwurf an die Generation der Digital Natives. Die Politik in Österreich ist ihnen darin schon lange voraus. Seit Jahrzehnten verabsäumt sie es, die Bevölkerung insgesamt in die Lage des Leistenkönnens zu versetzen. Ceterum censeo, dass das österreichische Bildungssystem endlich an den Herausforderungen der Schulstandorte ausgerichtet werden müsste statt am richtigen "Posen" in Ministerium und Medien.