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Durchsicht geraubter Bücher

Von Klaus Huhold

Wissen

Universitätsbibliothek Wien befasst sich mit Restitution. | Wien. " Wir sind spät dran, aber wir sind guten Willens", meint Maria Seissl, die Direktorin der Universitätsbibliothek Wien (UB). Die UB durchkämmt ihre Bestände nach Restitutionsfällen.


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Bücher würden zwar oft nur einen geringen Wert darstellen, sagt Monika Löscher, die an der UB Provenienzforschung betreibt. Doch wäre das Projekt aus zwei Gründen wichtig: Die UB stelle sich damit als Institution ihrer Vergangenheit. Und es hätte einen symbolischen Wert, ein Buch zurückzugeben, das vielleicht die Erinnerung an ein ermordetes Familienmitglied bewahrt, betont Löscher anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung, die sich im Foyer vor dem großen Lesesaal der UB mit Bücherraub während der NS-Zeit befasst.

Die UB bekam während der Herrschaft der Nationalsozialisten von verschiedensten Seiten Bücher zugeschanzt. Von Vertriebenen, von aufgelösten Bibliotheken oder von Raubzügen in den besetzten Gebieten. Und auch nach 1945 bekam sie mehr als 100.000 Exemplare von der Büchersortierungsstelle zugesprochen. Diese untersuchte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Bestände aus der NS-Zeit und übergab der UB Exemplare, deren Besitzer fraglich blieben.

Vor rund vier Jahren begann dann die UB mit ihrem Restitutionsprojekt, bei dem all diese Bücher akribisch untersucht wurden. Da sich aus den Inventarlisten zumeist wenig herauslesen lässt, wurde Buch für Buch nach Stempeln, Widmungen oder anderen Spuren gesucht, die Aufschluss über die Herkunft eines Exemplars geben.

"Moralische Verpflichtung"

Mittlerweile wurde eine Liste von mehreren tausend Büchern erstellt, "die unter Verdacht stehen, dass sie ungerechtfertigt im Bestand sind", berichtet Seissl im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Bei einigen konnten die Besitzer oder deren Erben schon ausfindig gemacht werden. Bei anderen wird noch recherchiert.

Die Dauer des mit 200.000 Euro budgetierten Projektes ist bis Ende 2008 veranschlagt - "doch auch nachher machen wir im laufenden Betrieb weiter", stellt Seissl klar. "Es gibt für uns keine gesetzliche, aber eine moralische Verpflichtung." Die UB fällt nicht unter das 1998 beschlossene Restitutionsgesetz, da sich dieses nicht auf Universitätsbibliotheken bezieht.

Zudem will die UB mit ihrer Ausstellung heutige Bibliotheksbenutzer für das Thema Bücherraub sensibilisieren. Die Schau wirft anhand von Texten und Fotos Schlaglichter auf das Bibliothekswesen an der Universität während der NS-Zeit.

Und es kommen Einzelschicksale zur Sprache. Etwa das von Norbert Jokl. Der Albanologe und langjährige Mitarbeiter der UB wurde in das Konzentrationslager Maly Trostinec deportiert. Während Jokl dort im Mai 1942 ermordet wurde, stritten sich die Nationalbibliothek und die Universität Wien, wer die 3000 Exemplare seiner Bibliothek erhalten soll.

Ganz anders der Lebenslauf von Alois Jesinger, der die UB während der NS-Zeit leitete. Wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP wurde er 1945 entlassen. Doch wurde er bald darauf Leiter der in der Nationalbibliothek angesiedelten Büchersortierungsstelle - also genau jener Institution, die sich um die Rückgabe von Büchern kümmerte, die von den Nationalsozialisten geraubt worden waren.