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Düstere Aussichten

Von Michael Schmölzer

Politik

Neben der britischen wackelt die irische Regierung. Für die Brexit-Gespräche bedeutet das nichts Gutes.


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Brüssel/London/Wien. Die Frist, die die Europäische Union den Briten gesetzt hat, um sich in der Brexit-Frage zu bewegen, ist verstrichen. Man wollte Zugeständnisse bis Freitag, doch diese sind unter den derzeitigen Umständen aus London kaum zu bekommen. Theresa May muss jeden Tag um ihren Job als Premierministerin bangen, entsprechend bewegungsunfähig ist sie. Mit Spannung wurde deshalb am Rande des EU-Gipfels zur östlichen Partnerschaft ein Treffen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk erwartet. Ein Durchbruch wurde abermals nicht erzielt. Tusk gab der Britin zehn Tage Zeit, um bei den strittigen Themen Fortschritte zu erzielen. Das sei "möglich, aber immer noch eine große Herausforderung", so Tusk via Twitter.

Der EU-Ratspräsident hatte zuletzt verlangt, dass es wenigstens bis Anfang Dezember Änderungen in der britischen Position geben müsse. May meinte noch kurz vor Beginn des Gesprächs in Brüssel, beide Seiten sollten aufeinander zugehen.

Das Prinzip Hoffnung lebt, zumindest EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker glaubt daran. Am 4. Dezember begännen entscheidende Gespräche, kündigte er an. Mitte Dezember soll bei einem EU-Gipfel entschieden werden, ob die Verhandlungen in die zweite Phase treten können - in Gespräche über ein künftiges Freihandelsabkommen.

Noch spießt es sich ganz woanders: Es geht um Garantien für jene 3,2 Millionen EU-Bürger, die in Großbritannien leben. Dann darum, wie viel Geld die Briten der EU schulden. Diese kalkuliert hier je nach Rechenmethode mit zwischen 60 und 100 Milliarden Euro - ein Vielfaches der britischen Vorstellungen. Immerhin soll May jetzt bereit sein, ihr Angebot um 20 Milliarden zu erhöhen - was den britischen Hardlinern nicht schmecken wird. Drittens geht es um die künftige Grenze zwischen dem britischen Nordirland und Irland.

Gerade in der letzten Frage tun sich weitere, ungeplante Probleme auf. Nachdem die britische Regierung einem Kartenhaus gleicht, steht jetzt auch die Regierung in Dublin vor dem Scheitern. Die oppositionelle Fianna Fail, ohne deren Stimmen Premier Leo Varadkar nicht regieren kann, kündigte ein Misstrauensvotum am kommenden Dienstag an.

Ursache ist die stellvertretende Ministerpräsidentin Frances Fitzgerald. Sie war Justizministerin, als zwei Polizeibeamte Missstände innerhalb der Behörde aufdeckten. So wurden Verkehrsstrafpunkte einflussreicher Persönlichkeiten einfach gelöscht. Gegen einen der beiden Whistleblower planten Polizeijuristen eine Rufmord-Kampagne. Er sollte als Kinderschänder dargestellt werden. Francis Fitzgerald hatte offenbar davon gewusst, das geht aus einer E-Mail hervor. Für die Opposition ist klar, dass sie weg muss. Bis Dienstag hat Fitzgerald Zeit, sonst wird die Regierung abgewählt. Sollte es tatsächlich Neuwahlen geben, würde das die ohnehin schwierigen Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU weiter verkomplizieren. Denn die Frage der Grenze zu Nordirland muss mit einer handlungsfähigen irischen Regierung geklärt werden.

Gespenster der Vergangenheit

Bis dato gibt es in Irland eine offene Staatsgrenze. London will dies auch nach dem geplanten EU-Austritt 2019 beibehalten. Irland sieht hier allerdings Probleme. Die Iren wollen eine schriftliche Zusicherung aus London, wie eine feste Grenze zwischen Irland und Nordirland vermieden werden soll. Der irische Außenminister Simon Coveney will erreichen, dass Nordirland auch nach dem Brexit in der Zollunion und im EU-Binnenmarkt bleibt. Das kommt für London nicht in Frage. Die Befürchtung der Iren ist, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen der künftigen Handelsbeziehungen so auseinanderentwickeln, dass Grenzkontrollen zwangsläufig eingeführt werden müssen.

Seit dem Karfreitagsabkommen 1998 ist die Grenze zwischen Irland und Nordirland unsichtbar, die gesamte Insel funktioniert als ein Wirtschaftsraum. In Irland befürchtet man, dass die Schaffung einer Grenze zum britischen Norden alte Geister, die man besiegt glaubte, wiedererwecken könnte. Die Spannungen zwischen probritischen und nationalistischen Kräften haben vor 1998 zu einem jahrzehntelangen blutigen Konflikt geführt; die Spuren sind überall in Nordirland sichtbar.