Die US-Geheimdienste blicken in die Zukunft: Was sie sehen, ist nichts für Optimisten, es drohen turbulente Zeiten.
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Washington/Wien. Es ist eine Mischung aus Besorgnis, Pessimismus und Beunruhigung, die aus den Seiten des Berichts des Nationalen Geheimdienstrats der US-Dienste herauszulesen ist. "Die nächsten fünf Jahre werden wachsende Spannungen innerhalb und zwischen Staaten erleben", heißt es da. Westliche Demokratien würden es schwerer haben, ihre Werte zu verteidigen, den USA stehe ein Verlust an Einfluss bevor. Und zu all dem kommen dann die üblichen Probleme: Bevölkerungsexplosion und Bildungskrise in den Entwicklungsländern und die drohende ökologische Krise, verursacht durch den Klimawandel. "Hot, flat and crowded - Heiß, flach und gedrängt" lautete vor Jahren der Titel eines Bestsellers des "New York Times"-Journalisten Thomas Friedman: Ein durch den Klimawandel heißer werdender Planet, dessen Wirtschaft durch die Globalisierung nivelliert und der durch die Bevölkerungsexplosion an die Grenzen der Belastbarkeit geführt wird. Der Titel hätte gut zum vorgestellten pessimistischen Bericht gepasst. Aber die Geheimdienst-Eliten haben eine trockenere Headline für ihren Bericht gewählt: "Globale Trends: Paradox des Fortschritts". Die Autoren schreiben, die Welt würde sich auf eine Konstellation zubewegen, die "auf eine dunkle und schwierige nahe Zukunft hindeutet".
Das Ende der US-Dominanz
Seit 1997 veröffentlicht der Nationale Gemeindienstrat, eine Forschungsgruppe aus Experten aus der Wissenschaft und aus den US-Geheimdiensten unter der Leitung des Nationalen Geheimdienstdirektors, alle vier Jahre einen Ausblick auf die weltpolitische Lage, die dem Präsidenten einen weiteren Horizont für die kommende Amtsperiode liefern soll. Das Dokument unterliegt nicht der Geheimhaltung, sondern kann von der Website des Director of National Intelligence heruntergeladen werden.
Im Bericht heißt es, dass die Vereinigten Staaten sich darauf einstellen müssen, dass sie in naher Zukunft ihre globale Führungsrolle einbüßen wird. Ob damit gleichzeitig jene Weltordnung aus Vereinten Nationen, Weltbank und Währungsfonds, deren wichtigste Architekten die USA waren, verschwinden wird, lassen die Autoren des Berichts offen. Jedenfalls aber gehen die US-Experten davon aus, dass es in Zukunft viel schwieriger werden wird, "international zu kooperieren und so zu regieren, wie es die Öffentlichkeit erwartet". Eine große Bedeutung messen die Experten der weltweiten Kommunikationsrevolution zu. ",Echokammern‘ der Information werden unzählige konkurrierende Wahrheiten verstärken", schreiben die Experten.
Drei Szenarien für die Zukunft
Die Autoren des Berichts sehen jedenfalls die seit dem Zweiten Weltkrieg im Westen entstandene liberale Weltordnung in Gefahr: Die Bedrohung komme einerseits von einem zunehmenden Populismus sowohl von Links als auch von Rechts, Regierungen kämen immer mehr unter Druck, was das Regieren generell schwieriger mache. Die Autoren kommen zum Schluss: "Niedrige Einkommen, Misstrauen, Polarisierung und eine wachsende Zahl neuer Themen werden erfolgreiches Regieren erschweren." Doch wohin wird die Welt sich in Zukunft entwickeln?
Die Experten haben dazu drei Szenarien entwickelt:
Das Insel-Szenario: Durch eine Umstrukturierung der Weltwirtschaft kommt es zu langen Perioden von anämischen Wachstums entlang der Null-Linie. Dadurch kommen die traditionellen Modelle globaler Prosperität unter Druck. Es kommt zu einem Ruf nach einer Rückabwicklung der Globalisierung, neue Technologien führen zu Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt und im Welthandel und die politische Instabilität nimmt zu. In einem Insel-Szenario wendet sich die Politik nach innen, es kommt zu einer Renaissance des Protektionismus und zu einer Abwendung von multilateralen Organisationen.
Satelliten-Modell: Nach diesem Modell versuchen einzelne Großmächte, ihre Interessenssphären abzustecken. Sie trachten danach, dass sie im Zentrum ihrer Hegemonialsphäre stehen und dabei von Satellitenstaaten umschwirrt werden. In einem derartigen Szenario droht die Gefahr von wachsendem Nationalismus und schwindender globaler Kooperation. Durch eine derartige Entwicklung steigt die Gefahr von zwischenstaatlichen Konflikten.
Gemeinschafts-Szenario: In einem derartigen Szenario diffundiert Regierungsmacht von der nationalen Ebene auf die Lokale. Informations- und Kommunikationstechnologie macht es den Bürgern leichter, sich zu vernetzen, und führt zu neuen politischen Strukturen. Für den Nahen Osten, China und Russland schließen die Autoren der Studie ein derartiges Szenario freilich aus.
Das Resümee der Autoren: Wir haben es mit einem Fortschritts-Paradoxon zu tun. Jene Megatrends, die kurzfristig Risiken in sich bergen, bieten auf längere Sicht gesehen Chancen. Es gehe darum, "widerstandsfähige Gesellschaften" zu formen, die auf die Herausforderungen reagieren können. Es müssten die Potenziale der Bevölkerung genützt werden. Die Herausforderung sei es nun, jene Möglichkeiten, die in Individuen, Kollektiven und ganzen Nationen schlummern, zu nutzen. So nachgerade philosophisch können Geheimdienstleute texten.