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E-Auto bringt Hausgemeinschaft vor Gericht

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Wer in dieser Garage sein E-Auto an das Stromnetz anschließen will, braucht die Zustimmung aller Hauseigentümer.
© Diva Shukoor

Was passiert, wenn die Bürger tatsächlich E-Autos kaufen? Daran hat niemand gedacht. Eine Hausgemeinschaft sieht sich nun vor Gericht wieder. Es geht darum, wer für den Stromanschluss der E-Autos zahlen soll.


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Wer grün leben will, fährt Elektroauto. So sieht es die Autobranche, so sieht es die Politik, so sehen es immer mehr Bürger. Die Hersteller investieren Milliarden Euro, die Politik verabschiedet Gesetze auf dem laufenden Band, um die Verkäufe der Stromer anzukurbeln. Was allerdings passiert, wenn Bürger tatsächlich Elektro-Autos kaufen und dieses daheim laden wollen, daran haben sie nicht gedacht. Die Bewohner einer Wohnhausanlage in Wien-Liesing stehen nun vor Gericht. Es geht um die Frage, wer zahlt, wenn E-Autos in der Garage an die Steckdose angeschlossen werden. Und das Stromnetz deshalb überlastet ist.

Ein schmaler Weg bahnt sich durch die Anlage mit den 61 cremefarbenen Einfamilienhäusern, die hier dicht aneinandergereiht wurden. Dazwischen führen Stufen in regelmäßigen Abständen in ein Geschoß unter der Anlage. Dorthin, wo sich die Garage befindet. "Wir haben hier immer gut zusammengelebt", sagt Hedwig Szöke, eine rüstige Pensionistin, die hier einzog als die Anlage 1986 fertiggestellt wurde. Doch dann kam das E-Auto.

Es begann vor zwei Jahren bei einer Hausversammlung. Ein Bewohner hatte sich ein E-Auto gekauft und wollte dieses nun in der Garage am Stromnetz laden. Da die Garage zum Zubehör des Wohnungseigentums gehört, wäre ein einstimmiger Beschluss für die Errichtung eines Anschlusses nötig. Hedwig Szöke stellte sich dagegen. "Was passiert, wenn mehrere Bewohner auf einmal ein E-Auto haben und anschließen wollen?", warf sie in die Runde. Die aktuelle Leitung halte vielleicht 20 E-Autos aus. "Soll der 21. dann eine neue Leitung zahlen?"

In der Wohnhausanlage ist für jedes Haus ein Stellplatz vorgesehen. Die Plätze sind alle vergeben, denn die Anlage ist schlecht an den Öffentlichen Verkehr angebunden. Zur nächstgelegenen Bushaltestelle sind es 10 Minuten zu Fuß, zur nächstgelegenen S-Bahnstation Atzgersdorf sind es zusätzliche 15 Minuten Busfahrt. "Wenn man berufstätig ist, braucht man ein Auto. Sonst dauert es zu lange", sagt Hedwig Szöke.

Fern von Öffentlichen Verkehrsmitteln

Der Bewohner mit dem E-Auto heißt Johannes Kreiner. "Ein Auto mit Stromantrieb zu kaufen war für mich eine klare Entscheidung", sagt er. "Denn ich möchte nachhaltig leben." Öl werde immer ein fossiler Brennstoff bleiben. Im Gegensatz zu Strom. "Ob Wind, Wasser, usw., es ist eine politische Entscheidung, wie diese Energie erzeugt wird."

"Ich möchte nachhaltig leben", sagt Johannes Kreiner.
© Andy Urban

Nach Absprache mit der Hausverwaltung verlegt Kreiner ein Kabel zu seinem Stellplatz, damit er sein E-Auto laden kann. Für Szöke geht das zu weit. Sie zieht mit einer Unterlassungsklage vor Gericht: "Er hat sich einen Vorteil verschafft auf Kosten der anderen. Und das ist mein Beweggrund, ich bin ja nicht bösartig", erläutert sie ihre Entscheidung. Das Gericht gibt Frau Szöke Recht. Kreiner hätte die Hausgemeinschaft fragen müssen, ob er die Leitung verlegen darf, so das Urteil. Er muss die verlegten Kabel wieder entfernen.

Doch nun zieht Kreiner vor Gericht, wo er den Stromanschluss für sein E-Auto durchfechten will. Seine Gegner vor Gericht sind nun automatisch alle anderen Eigentümer (insgesamt 93), obwohl manche dafür sind. Hewdig Szöke bleibt aber bei ihrer Meinung. Die Leitungskapazitäten erlauben zwar eine geringe Anzahl an Ladestationen. Es müsse aber geprüft werden, ob die Kapazitäten auch für zusätzliche E-Autos taugen. Die Errichtung weiterer Ladestationen könne zudem sehr teuer werden, gibt sie in einem Ergänzungsantrag vor Gericht zu Bedenken.

Doch darauf geht Richterin Cornelia Wiesböck nicht ein. Sie gibt ein Sachverständigengutachten in Auftrag, das untersuchen soll, ob die Kapazität der Leitungen nur für Kreiners Ladestation reicht. Das Gutachten, das der "Wiener Zeitung" vorliegt, kommt zu dem Schluss, dass der Hausanschluss durch Kreiners E-Auto mit maximal 40,5 Prozent belastet wird. "Es liegt daher keine Beeinträchtigung von schutzwürdigen Interessen der anderen Wohnungseigentümer vor."

"Dann bricht das ganze Stromsystem zusammen"

Die Richterin schließt sich dem Gutachten an und gibt Johannes Kreiner Recht. "Entgegen der 34. Antragsgegnerin (Szöke, Anm.) beurteilt das Gericht keine zukünftigen Varianten", heißt es in dem Urteil. Auf Anfrage der "Wiener Zeitung" möchte sie keine Auskunft zu dem Fall geben.

Szökes Anwältin, Daniela Wieger, schüttelt den Kopf: "Die Entscheidung ist ein Witz. Wenn sich ein weiterer anschließt, bräuchte dieser wieder die Zustimmung aller Eigentümer, oder müsste vor Gericht gehen. Wenn sich weitere anschließen, könnte dann auch noch das ganze Stromsystem zusammenbrechen."

"Er hat sich einen Vorteil auf Kosten der anderen verschafft", sagt Hedwig Szöke.
© Diva Shukoor

Kreiners Anwalt, Arno Pajek, sieht das Problem in der Gesetzgebung. "Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG), Paragraph 16, gehört den neuen Gegebenheiten angepasst", sagt er. "Genauso wie die Errichtung von Satellitenschüsseln und Multimediadiensten ohne Zustimmung möglich ist, müsste das bei Anschlüssen für Elektro-Autos auch möglich sein."

Gesetzliches Vakuum

Doch was ist die Lösung, wenn das Stromnetz an seine Grenzen gelangt? Zuständig für Strom in Wien sind die Wiener Netze. "Unser Netz ist stabil genug, um E-Autos in Wohnhausanlagen laden zu können", sagt Sprecherin Manuela Gutenbrunner. "Vorausgesetzt, es gibt ein Lastmanagementsystem." Das System verteilt den maximal verfügbaren Strom auf alle angesteckten E-Autos und verhindert somit eine Überlastung des Stromnetzes. Verpflichtend ist es nicht, kritisiert Gutenbrunner. Daher fordern die Wiener Netze klare rechtliche Vorgaben seitens der Politik für das gesteuerte Laden von E-Autos.

E-Autobesitzer Johannes Kreiner stimmt zu. Auch er sieht in dem Verteilungssystem die Lösung. Die Anschaffungskosten müssten jedoch aufgeteilt werden. Er rechnet mit Kosten von einmalig bis zu 15.000 Euro.

Der Gesetzgeber ist also gefordert. Im türkis-grünen Regierungsprogramm steht unter dem Punkt "Wohnrecht" die "Zielsetzung, "Right to Plug" zu implementieren." Nur was ist damit gemeint?

Zuständig für Elektromobilität ist Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Es gehe bei dem Punkt im Regierungsprogramm um den Einbau von Ladestationen, erklärt ein Sprecher. Er fügt hinzu: "Näheres kann ich dazu jetzt aber nicht sagen." Und verweist weiter auf Justizministerin Alma Zadic (Grüne). Dort heißt es: "Die zuständige Abteilung prüft derzeit, welche Schritte im Wohnungseigentumsrecht gesetzt werden könnten, um den Einbau von Ladestationen für Elektrofahrzeuge in Wohnungseigentumsanlagen zu fördern." Wie lange diese Prüfung dauert, ist unklar.

Bis dahin gibt es weiter keine Rechtssicherheit für Bürger, die sich ein E-Auto kaufen und dieses in der Garage ihrer Wohnanlage laden wollen. Sie brauchen die Zustimmung aller anderen Eigentümer oder müssen vor Gericht ziehen. Neben den hohen Gerichtskosten sind auch Beeinträchtigungen des Zusammenlebens zu befürchten. Und die Frage, ab wann die Kapazitätsgrenze überschritten wird, bleibt auch offen.

In der Wohnhausanlage in Wien-Liesing steht Hedwig Szöke vor der Garage. "Ich habe nie gesagt, dass ich gegen E-Autos bin", sagt sie. Die Frist läuft, um gegen das Urteil Einspruch zu erheben. Seit eineinhalb Jahren steht sie wegen dem E-Auto mit ihrem Nachbarn vor Gericht. Aufgrund der Belastung wird sie von einem Rekurs absehen, das Urteil ist somit gültig, der Prozess zu Ende.

Bis der nächste Bewohner ein E-Auto kauft.