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E wie edel und exklusiv

Von Hermann Schlösser

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Bisher dachte ich immer, das "E" im Begriff E-Musik stünde für "ernst". Seit ich aber gestern Vormittag Albert Hosps CD-Rundschau "Ausgewählt" (Ö1) hörte, weiß ich es besser: Nicht der Ernst ist derzeit das unverwechselbare Kennzeichen der E-Musik, sondern ihre edle Exklusivität.

Hosp stellte ein französisches Plattenlabel namens "Naive" vor. Dass dieser Name vornehm untertrieben ist, wurde im Verlauf der Sendung klar: Denn naiv stellt sich das Angebot dieses CD-Herstellers ganz und gar nicht dar. Vom gregorianischen Choral bis zur "klassischen Moderne" und zum Jazz reicht das Programm, und die generelle Linie bei aller Vielfalt ist nach Hosp in der Vorliebe für "schlanke, kultivierte" Interpretationen zu finden.

Einige dieser Interpretationen wurden in der Sendung vorgeführt: Sie waren tadellos, wenn nicht sogar interessant. Und doch kommt das edle Image des Labels nicht nur durch musikalische Qualität zustande, sondern auch durch Geschichten oder Mythen, die den Aufnahmen mit auf den Weg gegeben werden. So berichtete Hosp unter anderem, dass die Cellosonaten von Johannes Brahms für "Naive" auf einem Instrument eingespielt wurden, das 60 Jahre im Besitz von Pablo Casals war. Dass solche Informationen das Hörverhalten beeinflussen, lässt sich kaum bestreiten. Ich z. B. habe mir gestern nicht gemerkt, welche Musiker oder Musikerinnen die Brahms-Sonate spielten. Dass aber das Cello des Pablo Casals zu hören war, werde ich so bald nicht vergessen.