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Istanbul - Der türkische Premierminister Bülent Ecevit will noch vor den Neuwahlen im November Reformen in einigen der innenpolitisch sensibelsten Bereichen durchboxen - und der Europäischen Union damit eine Überraschung bereiten.
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Die Reformen, also die völlige Abschaffung der Todesstrafe und die Ausweitung des kurdischen Sprachunterrichtes an den Schulen sowie unbehinderte Lizenzvergaben für kurdischsprachige Rundfunkstationen, könnten einen wichtigen Schritt in Richtung Aufnahmegespräche mit der EU darstellen. Die Vorhaben, die noch vor einigen Jahren tabu gewesen wären, als die türkischen Streitkräfte einen erbitterten Bürgerkrieg gegen die kurdischen Rebellen führten, verursachen allerdings einige Spannungen in Bülent Ecevits geschwächter Koalitionsregierung. Der Premier und seine zwei Koalitionspartner gaben erst diese Woche bekannt, dass es am 3. November Wahlen geben werde - offensichtlich eine Notmaßnahme, um den kompletten Kollaps der Regierungsallianz abzuwenden, die als die stabilste in der jüngeren türkischen Geschichte gilt.
Die künftige Stellung der Türkei in Europa wird einen zentralen Platz im Wahlkampf einnehmen. Die staatliche anatolische Presseagentur Anadolu Ajansi zitierte Ecevit mit den Worten, dass die geplanten Reformen den überparteilichen Kompromiss benötigten. "Ich glaube daran, dass wir eine Lösung finden werden", gibt sich Ecevit dabei optimistisch.
Diplomaten befürchten allerdings, dass die Reformvorhaben in der Hitze des anstehend Wahlkampfes zerbröseln könnten. Die EU will im Oktober einen Zwischenbericht zu den türkischen Fortschritten in punkto Stärkung der demokratischen Institutionen und der individuellen Rechte veröffentlichen. Experten meinen allerdings, dass die notwendigen Reformen über das hinausgehen müssten, was zur Zeit in Ankara diskutiert wird.
Nationalisten dagegen
Ecevits Koalitionspartner von der Rechtspartei "Nationale Aktion" (MHP) sind jedenfalls strikt gegen die Reformen. Sie erblicken darin Zugeständnisse an kurdische Seperatisten und bewaffneten Rebellen, die von der Türkei seit 1984 bekämpft werden, was bisher 30.000 Menschenleben gekosteten hat. Schulen und Rundfunkstationen für die geschätzten 15 Millionen Kurden in der Türkei wären nach Auffassung der MHP ein Schritt in Richtung nationale Spaltung und würde andere ethnische Minderheiten ermuntern, das gleiche zu verlangen. Eher westlich orientierte Parteien betrachten die Reformen dagegen als notwendig, um das langfristige Ziel einer EU-Mitgliedschaft zu erreichen. Diese Kräfte meinen, dass die jüngsten militärischen Erfolge gegen die Kurden es der Türkei nun erlaubten, sich großzügig zu zeigen.
"Es existieren unterschiedliche Positionen bei uns", gibt auch Ecevit zu. Dennoch: "Ob es sich um die Todesstrafe, das Sprachenproblem oder kulturelle Probleme handelt. Ich denke, es sieht nach einer Stimmung des Kompromisses in den kommenden Tagen aus."