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Echte Daten für unechte Software

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik
Datenleck oder gezielte Sabotage? Für Ex-Bifie-Direktor Josef Lucyshyn ist der eigentliche Skandal, dass unverschlüsselte Daten für Testzwecke freigegeben wurden.
© fotolia

Ex-Bifie-Chef Josef Lucyshyn übt harte Kritik an der Absage des Pisa-Tests, an Ministerin Heinisch-Hosek und am Bifie.


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Wien. Nach einer Panne mit Schülerdaten hat Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek vor drei Wochen die Teilnahme Österreichs am Pisa-Test 2015 abgesagt. Zuerst müsse die Datensicherheit beim Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) überprüft werden. Für den früheren Chef des Bifie, Josef Lucyshyn, ist das nur eine faule Ausrede. Mit der Absage wolle das Ministerium nur verhindern, dass Österreich bei dem internationalen Schüler-Test wieder schlecht abschneidet, wie Lucyshyn im Interview mit der "Wiener Zeitung" sagt.

Hintergrund ist folgender: Ende Februar wurde bekannt, dass auf einem Webserver in Rumänien vertrauliche Daten des Bifie aus früheren Schülertests aufgetaucht sind. In der Folge hat das Unterrichtsministerium zunächst sämtliche Testungen abgesagt, um schließlich doch Entwarnung zu geben. Die Zentralmatura etwa soll planmäßig stattfinden. Nur bezüglich Pisa bleibt die Absage aufrecht - aus Zweifeln an der Datensicherheit.

Geklonte Software und unverschlüsselte Daten

Dafür hat Josef Lucyshyn keinerlei Verständnis: "Hier wird ein Datenleck vorgetäuscht, das diese Testungen überhaupt nicht betroffen hat, um offensichtlich - und das wird immer deutlicher - unliebsame Tests auszusetzen", sagt der Bildungsforscher im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Weder das Ministerium noch das Bifie seien bereit gewesen, zu erklären, was es mit dem Datenleck wirklich auf sich habe, so Lucyshyn.

Das ist nämlich durchaus brisant: Das Bildungsforschungsinstitut verwendet für bestimmte Tests eine Software. Weil diese allerdings recht teuer ist, habe das Bifie die Software klonen wollen und einen entsprechenden Auftrag an die Firma Kapsch erteilt, die wiederum den Auftrag an eine rumänische Tochterfirma weitergegeben hat.

Dort beginnt ein Teil der Geschichte, der bisher in der Öffentlichkeit völlig ignoriert wurde: "Das Bifie hat Echtdaten für Versuchszwecke freigegeben" - und zwar unverschlüsselt. "Das ist der eigentliche Skandal", sagt Lucyshyn. Um die Software zu entwickeln und zu testen hätten die Daten verschlüsselt werden müssen. Verantwortlich für diesen Aufgabenbereich war der später zum Bifie-Chef bestellte Christian Wiesner. "Aber auch das Ministerium muss davon gewusst haben, schließlich hat es zwei Vertreter im Bifie-Aufsichtsrat sitzen", sagt Lucyshyn, nämlich Sektionschef Kurt Nekula und dessen Stellvertreter.

Die Firma Kapsch hat nach einer internen Analyse erklärt, dass die Daten ungeschützt gewesen seien "war kein Datenleck, sondern ein von langer Hand geplanter gezielter Angriff". Auch Lucyshyn meint, "es war kein Datenleck". Vielmehr seien vermutlich "Spezialisten am Werk" gewesen, denn "da kommt man über eine einfache Google-Suche wohl nicht hin". Hier sieht er sogar die Kriminalpolizei gefordert.

Das Ministerium wiederum habe die Causa für "einen gewieften Schachzug" genutzt: Es bot sich nämlich die günstige Gelegenheit, die unliebsamen Pisa-Tests abzusagen. Dabei hatten die Daten in Rumänien mit Pisa überhaupt nichts zu tun. "Das hat Pisa nicht betroffen, die Standards nicht, die Reifeprüfung nicht", sagt Lucyshyn, denn "diese Daten lagen schon immer an einem Server in Salzburg." Er spricht von "Täuschung der Wähler und der Öffentlichkeit".

Pisa-Test erfordert eigentlich weitere Untersuchungen

Das vermeintliche Datenleck sei nur eine "fadenscheinige Begründung, um erwartbare negative Resultate zu vermeiden". Dass diese kommen würden, davon ist der Bildungsexperte überzeugt, "weil alle Maßnahmen, die seit 2000 in der Bildungspolitik gesetzt wurden, nie am Kern der Probleme gerührt haben, sondern immer nur Feuerwehraktionen waren". Das liegt in den Augen Lucyshyns vor allem daran, dass die österreichischen Politiker nicht verstehen (wollen), was der Pisa-Test bedeutet. "Die meisten erwarten, dass er eine Anleitung gibt und sie sofort wissen, was zu tun sei. Das ist ein großer Irrtum."

Der Pisa-Test bringe "eine grobe Analyse, Anhaltspunkte, was österreichische Schüler im Vergleich zu anderen leisten", sagt Lucyshyn. Er liefere aber keine Erklärung dafür, warum die österreichischen Jugendlichen zum Beispiel im Lesen schlecht abschneiden. Dazu brauche es Zusatzstudien, "Tiefenbohrungen", die den Ursachen auf den Grund gehen. Und daraus seien dann die Konsequenzen zu ziehen und politische Entscheidungen zu treffen. Das habe Deutschland ebenso gemacht wie die Schweiz.

Aktionismus statt Ursachenerforschung

In Österreich, wo es immer einen gewaltigen Wirbel um die Pisa-Ergebnisse gebe - "es gibt kaum ein Land, das so hysterisch reagiert" -, sei die Politik an tiefergehenden Untersuchungen aber nicht interessiert. Stattdessen ergehe man sich - getrieben auch von den Medien - in Aktionismus, so Lucyshyn. "Das geht so weit, dass ein Bundesland (Wien, Anm.) als Reaktion auf schlechte Leseergebnisse einen eigenen Lesetest einführt, nur um nochmals festzustellen, dass die Schüler schlecht lesen können." Es sei aber nie erforscht worden, woran es liege, dass die Schüler schlecht lesen können, "ob es an den Lehrern, am Lehrplan oder an den sozialen Rahmenbedingungen liegt. Da kann man dann mit Maßnahmen schwer erfolgreich sein." Und damit sei dann letztlich auch jede Pisa-Testung umsonst.

Ob denn nicht auch die OECD gefordert wäre, für einen vernünftigen Umgang mit den Testergebnissen zu sorgen. "Das ist die falsche Erwartungshaltung. Die OECD hat nichts anderes im Sinn, als ihre Testbatterien möglichst weltweit zu verkaufen. Das sind keine Wohltäter, das ist eine Riesen-Maschinerie, die damit gutes Geld verdient."

Von der Idee, dass Oberösterreich den Pisa-Test alleine durchführen will, hält Lucyshyn übrigens wenig. Die Rechtslage sei ganz klar: Vertragspartner der OECD ist die Republik. "Es wäre auch sinnlos, es ist schließlich ein Ländervergleich, kein Bundesländervergleich.

Josef Lucyshyn: Von 2006 bis 2012 war Lucyshyn Direktor des Bundesinstituts für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens (Bifie). Im März 2012 wurde er vorzeitig abgezogen. Als Grund gab das Ministerium an, er habe Auftragsvergaben und Personalanstellungen durchgeführt, ohne den zweiten Direktor informiert zu haben. Laut Disziplinarkommission im Bildungsministerium konnte allerdings kein schuldhaftes Verhalten festgestellt werden.
Lucyshyn ist als Lehrbeauftragter am Zentrum für Lehrerbildung an der Universität Wien tätig.