Kaum Chancen am Massenmarkt. | Schlüsselrolle bei der Zucht krankheitsresistenter Sorten. | Zürich. Äpfel mit Ecken, Birnen mit gelb-grün gestreifter Haut: Auf Hochstammbäumen im Schweizer Ort Höri wachsen Früchte, die andernorts kaum mehr zu sehen sind. Darunter Kuriositäten wie der eckige Sternapi, er soll sogar schon den alten Römern bekannt gewesen sein.
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Die 1985 gegründete Vereinigung Fructus mit ihren 900 Mitgliedern betreut rund 300 Bäume auf einem sieben Hektar großen Gelände unter der Einflugschneise zum Flughafen Zürich-Kloten. Der Höri-Garten ist aus einer Privatsammlung. Heute ist er Teil der Schweizer Bemühungen, die Gen-Vielfalt einheimischer Obstsorten zu erhalten. Das Gelände ist Naturschutzgebiet. Für Gäste ist ein Obstlehrpfad angelegt. Fructus zeigt alte Früchte bei Ausstellungen und gibt Edelreiser, also Zweige, für die Zucht weiter. "Alte Obstsorten sind genetische Schatztruhen", sagt Markus Kellerhals, Agronom und Apfelzüchter an der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil. Die Perlen, nach denen Kellerhals und die anderen Experten suchen, sind erbliche Anlagen, die etwa Äpfel widerstandsfähiger gegen Krankheiten wie Schorf, Mehltau oder Feuerbrand machen. Das Team von Kellerhals forscht auch im Rahmen des Nationalen Aktionsplans des Bundesamts für Landwirtschaft zur Erhaltung und Nutzung genetischer Ressourcen sowie im Auftrag der Vereinigung Fructus.
"Markt will Mittelmaß"
In einem Sicherheitsgewächshaus in Wädenswil wurden dieses Jahr 20 alte Apfel- und 20 Birnensorten auf ihre Triebanfälligkeit für Feuerbrand getestet. "Dabei zeigten sich erhebliche Unterschiede." Dies haben die Wädenswiler Forscher auch schon in Vorjahren bei eigenen Versuchen erkannt.
Doch Kellerhals hält sich mit voreiligen Schlüssen zurück. Ein Jahr ist in dieser Wissenschaft ein viel zu kurzer Zeitraum. Das Forschungsprojekt läuft noch bis 2009. Dabei werden auch 600 verschiedene Sorten auf Schorfanfälligkeit geprüft. Ziel der Versuche ist es, sowohl Resistenzen durch kluge Kreuzungszucht weiterzugeben als auch den Landwirten bestimmte Sorten zu empfehlen. Als Tafeläpfel aber werden wohl kaum wesentlich mehr alte Sorten auf den Markt kommen.
Aktuell sind von rund 1200 bekannten Apfelarten gerade etwa 100 im Verkauf. Großhändler konzentrieren sich auf ungefähr 20 Sorten. "Der Markt will das Mittelmaß - also das, was den meisten Konsumenten schmeckt", stellt Kellerhals fest. Alte Apfelsorten erfüllen nicht immer die heutigen Anforderungen in Hinblick auf Lagerfähigkeit, Haltbarkeit, Aussehen und Geschmack. Der Konsument hat dazu sehr exakte Vorstellungen, wie eine von den Wädenswiler Forschern vor zwei Jahren durchgeführte Befragung zeigt.
Geschmack entscheidet
Der Apfel soll bevorzugt saftig, knackig und leicht säuerlich sein, lautet das Ergebnis der Studie. Das Fazit: "Eine krankheitsresistente Sorte hat Marktchancen, sofern sie gleich gut schmeckt und gleich schön aussieht wie andere, kommerziell erfolgreiche Sorten."
Dennoch setzen Obstbauern wie Helmut Müller auf alte Sorten, darunter viele aus dem Ausland. Auf seinem Biohof pflegt der Landwirt rund 300 verschiedene Arten von Äpfeln und Birnen. Er betrachtet sie als robust gegen Krankheiten. Nur gegen den Massengeschmack kommt er nicht an: "Unter den vielen alten Sorten lässt sich für jeden Geschmack etwas finden", ist Müller überzeugt. Doch die "Goldengeneration", also jene Leute, die die Allerweltszüchtungen um den Golden Delicious konsumieren, kennen und lieben nur noch festfleischige Früchte.
"Ich weigere mich, die Früchte vor der Reife zu pflücken und erreiche deshalb mit meinem Angebot eine andere Kundschaft", meint Müller. Dazu zählen unter anderem Bioläden, Restaurants und Delikatessgeschäfte, die direkt vom Hof kaufen. Das Mostobst wird zum größten Teil an einen lokalen Großbetrieb zur Herstellung von Biosäften verkauft.
Müller beklagt, dass es für den Anbau alter Obstsorten kaum verlässliche Informationen gäbe. Wissen, etwa um Erntetermine, Schnitt, Verwertung oder Lagerdauer müsse man sich selbst erarbeiten.
Frage der Zubereitung
Mit alten Obstsorten sollten auch alte Rezepte und Traditionen weiter gegeben werden, meint Klaus Gersbach, Präsident von Fructus. Der Usterapfel etwa ist wegen seiner extremen Süße nicht beliebt. Gekocht aber werde der Apfel zur Delikatesse. Gersbach ist davon überzeugt, dass die Schweiz mit der genetischen Vielfalt ihrer Obstsorten einen wahren Schatz besitzt.