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Quito - Nur mit Widerwillen werden die meisten der 8,2 Millionen wahlberechtigten Ecuadorianer diesen Sonntag über einen Präsidenten abstimmen. Kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe des Andenstaates hat einen derart schlechten Ruf wie die als korrupt, unfähig und unzuverlässig geltenden Politiker. Sollte es dem aussichtsreichsten Kandidaten, Rodrigo Borja, nicht gelingen, die dramatische wirtschaftliche Lage zu verbessern, könnte es ihm ergehen wie seinen Vorgängern: Sie wurden kurzerhand aus dem Amt gejagt.
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Nur 2,2 Prozent der Bürger trauen einer Umfrage zufolge den politischen Parteien. Dies gilt zwar auch für andere gefährdete Demokratien des Subkontinents, aber in Ecuador ist die Ernüchterung besonders ausgeprägt. Das hat Gründe:
Mit seinen gewählten Präsidenten hat das Land in den vergangenen Jahren wenig Glück gehabt. Die beiden letzten aus regulären Wahlen hervorgegangenen Staatschefs wurden unter weitgehender Missachtung der Verfassung vorzeitig aus dem Amt gejagt. Der 1996 gewählte Präsident Abdala Bucaram, der sich sogar selbst "el loco" (der Verrückte) nannte, wurde nach nur sechs Monaten im Amt wegen "geistiger Unfähigkeit" vom Parlament abgesetzt, ohne ärztliches Attest.
Die nächste Wahl gewann 1998 Jamil Mahuad. Aber auch er blieb in der Amtsführung glücklos und wurde im Jänner 2000 von Indios mit Hilfe junger Offiziere verjagt. Erst unter dem Übergangspräsidenten Gustavo Noboa stabilisierte sich die Lage wieder allmählich. Sollte es dem nun zu wählenden Nachfolger nicht gelingen, die wirtschaftliche Lage bald zu verbessern, droht ihm nach Einschätzung von Zeitungskommentatoren dasselbe Schicksal wie seinen Vorgängern.
Neben der Ankurbelung der Wirtschaft war die Bekämpfung der Korruption das wichtigste Thema des Wahlkampfes. Nach einer Statistik der unabhängigen Organisation "Transparency International" gehört Ecuador zu den zehn korruptesten Staaten der Welt. Die staatlichen Institutionen gelten als kaum noch arbeitsfähig, und die Bürger begegnen ihnen mit Misstrauen.
Auch die wirtschaftliche Lage ist dramatisch: Das Land erlebt die schwerste Krise seiner Geschichte. Nach offiziellen Angaben leben mittlerweile 69 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Mindestens 14 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind ohne jeden Job und damit auch ohne feste Einnahmen. Weitere 55 Prozent schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten oder als ambulante Händler durch.
Die Übernahme des Dollars im Jahr 2000 als einziges Zahlungsmittel zügelte zwar die Hyperinflation dieses Jahr auf nur noch etwa zehn Prozent. Zugleich aber brachen weite Teile der vom Export lebenden Branchen, vor allem die Textilindustrie, zusammen. Die Dollarpreise der Waren aus Ecuador waren auf dem Weltmarkt einfach nicht mehr konkurrenzfähig. Die Handelsbilanz rutschte in ein Minus von 1,5 Milliarden Euro. Die öffentliche Auslandsverschuldung beträgt 13,5 Milliarden Euro. Zinsen und Tilgung verschlingen in diesem Jahr 44 Prozent des Staatshaushaltes.
Umfragen zufolge wird keiner der Kandidaten schon in der ersten Runde die absolute Mehrheit erreichen. Von den elf Bewerbern haben nur der sozialdemokratische Ex-Präsident Rodrigo Borja, der rechtspopulistische Millionär und Unternehmer Alvaro Noboa, der Christsoziale Xavier Neira sowie Lucio Gutierrez, Leon Roldos und Jacobo Bucaram eine Chance, als einer der beiden Bestplatzierten in die Stichwahl am 24. November zu kommen. Außerdem werden ein Vizepräsident, das Abgeordnetenhaus und Regionalparlamente neu gewählt. dpa