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Mitten im Zentrum Berlins, im Problemgebiet Kreuzberg, gibt es tatsächlich so etwas wie eine mobile urbane Landwirtschaft. Kauft Gemüse aus der Region! Kostet Stadtbienen-Honig!
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Der Kreuzberger Moritzplatz lag jahrzehntelang an der Mauer und ist entsprechend heruntergekommen. Seit der Wiedervereinigung Berlins ist er Teil einer wichtigen Verkehrsader. Der Platz geht unter im Verkehrsgetöse und seit neuestem auch im Baulärm.
Kein gemütlicher Ort zum Verweilen: Der Kreisverkehr tobt um eine kleine Insel mit totem "Sozialgrün". Und nebenan klafft eine Baulücke von 6000 Quadratmetern versiegelter Fläche, die seit 60 Jahren zugemüllt wurde.
Da kamen vor drei Jahren ein 33-jähriger Filmemacher und ein drei Jahre älterer Historiker daher, mieteten das verdreckte Areal und verwandelten die Mistgstätten in ein blühendes Paradies, in eine grüne Stadtoase. Würden nicht die Presslufthämmer knattern und die Automotoren brüllen, könnte man dort heute Grillen zirpen und Bienen summen hören.
Trotz des Lärms, an den der gestresste Städter längst gewöhnt ist, lädt der "Prinzessinnengarten" zum Verweilen, zum Sattessen, ja sogar zum Hobbygärtnern ein. So mancher Angestellte aus der Umgebung sucht sich in der neu entstandenen Idylle eine schattige Bank, um in der Mittagspause eine Suppe aus ganz frisch geernteten Karotten zu verzehren.
Robert Shaw und Marco Clausen haben die Idee des Urban Gardening von New York an die Spree geholt. Im Frühsommer 2009 konnten sie 100 freiwillige Mitstreiter motivieren, das Brachland von rund 2000 Tonnen Müll zu befreien. Einige spontan gewachsene Büsche und Bäume bildeten den natürlichen Rahmen für einen in der Welt wohl einmaligen Gemüsegarten. In hunderten von Reissäcken, Transportkisten, Milchpackerln, ja sogar alten Gießkannen entstand die erste "mobile urbane Landwirtschaft".
Weil die Stadt die als Bauland gewidmete Fläche an den eigens gegründeten Verein "Nomadisch Grün" immer nur für ein Jahr vermietet, sind die Betreiber darauf vorbereitet, von heute auf morgen umzuziehen, falls sich plötzlich ein Bauinvestor für das sogenannte Wertheimgelände finden sollte.
Ein paar Mal ist der städtische Obst- und Gemüsegarten auch bereits umgezogen, zum Überwintern oder weil zu einer Theaterperformance das ganze Schauspielhaus zum Garten umgestaltet wurde.
Die hässlichen rosa Baustellenrohre, die überall das Berliner Stadtbild verschandeln, laufen auch an unserem "Schanigarten" entlang. Beim Eingang bilden sie ein Portal in eine andere Welt, in eine üppige, inzwischen dichte Grünlandschaft. Die Hektik fällt spürbar von einem ab. Man sieht Kopftuch-Türkinnen fachkundig Gemüse anbauen, besprengen, zurechtschneiden, umtopfen; Hausfrauen schauen nach frischen Kräutern, die sie günstig erstehen können oder als "Beet to go" für die Fensterbank in der Küche mitnehmen können; junge Mütter, die ihren Kindern zeigen, wo die Kartoffeln herkommen, und Pensionisten, die am Container-Café ein Pläuschchen führen.
Das Angebot ist unglaublich: 20 verschiedene Paradeisersorten, 16 Sorten Erdäpfel, Minze, Knoblauch, Mangold, Radieschen, Kohlrabi, Knoblauch, Kohl, Karotten, Salbei, Schnittlauch, sogar Erbsen aus Uppsala, Chili aus dem Breisgau oder Kürbis aus Sibirien, natürlich alles biologisch.
Produzieren statt konsumieren, entschleunigen, sich die Stadt aneignen; das sind die Ziele des Gartens. "Wir lernen, arbeiten, ernten und essen gemeinsam mit den Anwohnern. Das Gemüse ist der Aufhänger für unser ökologisches und integratives Nachbarschaftsprojekt", sagen die Betreiber.