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Edelsbachs Lieblingsflüchtling

Von Marina Delcheva

Politik

Er kam mit einem Schlauchboot über die Ägäis. Jetzt lebt Mohammad Hamza im steirischen Edelsbach und zieht fürs Tulpenfest die Lederne an.


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Wien. "Grüß Gott! Dou habts", sagt Mohammad Mallah Hamza und stellt einen Korb mit Kipferl und Semmeln auf den Tisch vor der Bäckerei Hummel. Sein Steirisch ist noch etwas holprig. Aber für neun Monate gar nicht so schlecht. Steirischer kann man sich einen Ort gar nicht vorstellen. Die rund 1300-Seelen-Gemeinde Edelsbach liegt in der Südoststeiermark. Die Äpfel hängen rot und reif von den Ästen. Die Rebstöcke sehen frisch geerntet aus. In fast jedem Garten liegen reife Kürbisse, hier und da ein Gartenzwerg. Und mittendrin Herr Hamza, der syrisch-kurdische Flüchtling.

"Irgendwann sind sie da gestanden, die Flüchtlinge. Dann habe ich sie in mein Auto gepackt und ihnen den Ort gezeigt", erzählt Fritz Hummel. Ihm gehört die Bäckerei im Ortszentrum. Das war vor etwa neun Monaten. Damals wurde Mohammad zusammen mit anderen Asylsuchenden vom Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen nach Edelsbach gebracht. Heute lebt er zusammen mit drei Syrern und einer afghanischen Familie im Pfarrhof der kleinen Gemeinde.

Mohammad Hamza ist der Lieblingsflüchtling der Edelsbacher. Er spricht schon so gut Deutsch, dass er sich kaum noch mit englischen Wörtern helfen muss. Er kennt die meisten im Ort beim Namen und grüßt mit Gott. Fährt mit dem Fahrrad ins benachbarte Feldbach zum Deutschkurs. Beim letzten Tulpenfest im Frühjahr hat er eine Lederhose angezogen und bei der Tulpenernte sowie beim Fest mitgeholfen. Er hat sich gut eingelebt, oder in Neudeutsch - integriert. Etwas besser als die anderen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen wie er.

"Sie essen uns doch nichts weg. Es ist genug für alle da"

Dass Mohammad so schnell gelernt hat, verdankt er Fritz Hummel. Seit seiner Ankunft sind sie Freunde, lernen zusammen Deutsch. Fritz Hummel hilft ihm immer wieder bei Behördengängen, sammelt Spenden für die Flüchtlinge, hilft bei der Arbeitssuche. Und ab an trinkt er einen Schnaps mit Mohammad. "Sie essen uns doch nichts weg. Es ist ja genug für alle da", sagt er bescheiden. Damals, 1975, sei er mit seinem VW-Bus sechs Wochen in Syrien unterwegs gewesen, und alle Menschen dort seien sehr nett und gastfreundlich gewesen. Also ist er das jetzt auch.

Und er hat einem großen Teil der Edelsbacher die Angst vor jenen Fremden genommen, die sonntags nicht in die Kirche gehen und keinen Alkohol trinken. "Der Mohammad ist ein Lieber. Und die anderen auch. Nur viel mehr dürfen es nicht werden", sagt Frau K. Zehn pro Gemeinde schaffe man locker.

Mohammads Geschichte klingt filmreif und dieser Tage doch nicht ganz neu. Der syrische Kurde stammt aus Qamishli nahe der türkischen Grenze. In Damaskus hat er Englisch und Literatur studiert. 2013, als der Krieg in Syrien in vollem Gange war, ist er zusammen mit seiner Familie in das kurdische Gebiet in den Nordirak geflohen. Auch, um dem Militärdienst in seiner Heimat zu entkommen. Denn eingezogen zu werden ist wie die Todesstrafe. Auch deshalb fliehen viele junge Männer wie er, denn sie wollen weder für Assad noch für den IS noch für die PKK sterben.

Vom Irak floh er mit der Hilfe eines Schleppers in die Türkei. Seine Familie ist geblieben. Eine Flucht ist eben teuer und gefährlich. Dort bestieg er ein Schlauchboot in Richtung Samos. In Griechenland verbrachte er drei Tage in einem Erstaufnahmelager, ohne Essen und Wasser, wie er sagt, und zwölf weitere Tage in einem Flüchtlingscamp. "Griechische Polizisten sind nicht nett", sagt er.

"Wer nach zwei Jahren noch immer kein Deutsch kann,
muss gehen."

Weil die Schlepper 10.000 Euro für die Überfahrt nach Österreich oder Deutschland wollten, hat Mohammad zusammen mit einem anderen Flüchtling beschlossen, zu Fuß weiter nach Österreich zu wandern, wo er einen Cousin hat. In Albanien hat ihm ein Polizist über die Grenze geholfen, "er wollte nicht einmal Geld". Von Albanien floh er nach Montenegro und dann nach Serbien weiter, wo ihn ein paar "hilfsbereite Serben" für 100 Euro in Richtung ungarischer Grenze mitgenommen haben.

Eine Flucht kann auch skurril werden. Als er und sein Freund in der Nacht durch einen serbischen Wald liefen, hat sie ein betrunkener Serbe per Anhalter mitgenommen und in eine Disco gefahren. "Er wollte unbedingt mit uns trinken, also haben wir getrunken. Wir wollten nicht unhöflich sein, und wir wussten nicht, wie er reagiert." Irgendwann sind sie durch die Toilette geflohen.

In Ungarn stieg Mohammad dann in einen Bus Richtung Wien. "Wir haben die ganze Zeit gehofft, dass uns niemand aufhält, wir hatten ja keine Papiere." Seine Geschichte und seine Freundschaften zu Fritz Hummel schafften es sogar auf den Blog "Humans of New York".

Am 11. August hatte Mohammad Hamza sein Interview bei der Fremdenpolizei in Graz. Zu dieser Zeit war er schon fast acht Monate in Österreich, hatte viele Stunden Deutsch gelernt und unzählige Kinderbücher gelesen. "Die waren einfacher." Er wollte sein Interview auf Deutsch führen. Der Beamte sei so begeistert gewesen, dass er ihm kurze Zeit später den begehrten grauen Pass in die Hand gedrückt und "herzlich willkommen" gesagt habe.

"Ihr seid so nett. Es ist das Mindeste, das Land zu respektieren und Deutsch zu lernen", sagt er. Freilich sei es für einen Englisch-Absolventen einfacher, Deutsch zu lernen, als für einen Schutzsuchenden, der noch nie eine Schule besucht hat. Aber einen Job habe er auch schon gefunden. In zwei Monaten wird Mohammad als Flüchtlingsbetreuer in Schloss Kornberg arbeiten. Ein Teil wird gerade zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut. Herr Hummel hat ihm die Stelle über einen Bekannten aus dem Rotary Club vermittelt.

Und manchmal klingt Mohammad wie ein echter Österreicher: "Ich finde, wer nach zwei Jahren noch immer kein Deutsch kann und nicht arbeiten will, muss gehen. Man kann ja nicht nur vom Staat leben." Herr Hummel schüttelt grinsend den Kopf.