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Edward Bernays’ Erben

Von Bernhard Löhri

Gastkommentare

Der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 hat auch die Kommunikationskultur in Politik und Wirtschaft nachhaltig verändert. Eine wichtige Rolle spielte dabei Sigmund Freuds Neffe, der Propaganda durch Public Relations ersetzte.


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Dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg am 6. April 1917 ging ein umfassender Meinungsumschwung in der eigenen Bevölkerung voraus. US-Präsident Woodrow Wilson, ein Demokrat, hatte im November 1916 mit dem zentralen Slogan "He kept us out of war" ("Er hielt uns vom Krieg fern") seine Wiederwahl geschafft - am 2. April 1917 schwor er die US-Abgeordneten auf die Notwendigkeit eines Kriegseintrittes ein.

Das "Committee on Public Information" hatte die Aufgabe, jene, die am Sinn einer Einmischung in einen europäischen Krieg zweifelten, aber auch die gesamte US-Öffentlichkeit auf das mitunter auch blutige Engagement einzustellen. In dieser halbstaatlichen Institution wirkte der 1891 in Wien geborene Edward Louis Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds. Bereits 1892 war seine Familie von Wien in die USA ausgewandert, wo er sich der Öffentlichkeitsarbeit verschrieb. Der Politsprech des 25-jährige Bernays verstand es vorzüglich, der Öffentlichkeit in den USA, aber auch den Alliierten in Europa die Idee einer sicheren und friedvollen Weltordnung zu verkaufen, die mit US-Waffen erkämpft werden müsse. "Make the world safe for democracy" ("Die Welt sicher für Demokratie machen") lautete sein Slogan, der den Kriegseintritt der USA als alternativlos darstellte. Der Meinungsumschwung war radikal, war die US-Politik doch seit fast einem Jahrhundert gekennzeichnet von der Doktrin des US-Präsidenten James Monroe. Mit "Amerika den Amerikanern" hatte dieser das Format einer zweigeteilten Welt (Alte Welt in Europa, Neue Welt in Amerika) mit dem Prinzip der Nichteinmischung der USA in Europa vorgegeben.

Die Motive für Bernays, sich für seine neue Heimat so exponiert zu engagieren, mögen eine Überidentifikation mit dieser gewesen sein oder auch eine wissenschaftliche Faszination am menschlich Verborgenen, ein Interesse, das durch eifrige Briefkontakte mit seinem Onkel Sigmund Freud in Wien befeuert worden sein mag. Bernays erforschte entschlossen die Welt der verborgenen und irrationalen Kräfte, die menschliches Handeln beeinflussen. Er war es, der Freuds Erkenntnisse der Psychoanalyse in den USA in die angewandten Sozialwissenschaften überführte. In der Politik war es der politische Spin, den er bei besagtem Meinungsumschwung von Isolationismus auf Interventionismus der USA bewerkstelligte. Auch schaffte er es wenige Jahre später, den eher spröden US-Präsidenten Calvin Coolidge als bunten Society-Löwen zu positionieren, indem er 20 Broadwaygrößen zum Frühstück mit Coolidge lud und in den Medien für entsprechende Headlines sorgte.

Revolution der politischen Kommunikation

Es mag viele Gründe für den Kriegseintritt der USA 1917 gegeben haben. Auch die US-Finanzlobby wird die Entwicklung besorgt verfolgt haben. Ein Sieg der Mittelmächte Deutschland und Österreich mit Bulgarien und dem Osmanischen Reich lag damals laut Militärs durchaus im Bereich des Möglichen. Ein Blick in die Kriegsfinanzierung sah allerdings die USA als Hauptgläubiger der Alliierten Kriegsschuld. 26,5 Milliarden US-Dollar offener Kredite gegenüber den Alliierten - und davon besonders gegenüber Großbritannien - lassen ein sehr vitales Interesse an einer Niederlage der Mittelmächte vermuten. Ist der US-Kriegseintritt also als Nukleus des politischen Spins auch ein wichtiges Beispiel für gekonnten Lobbyismus?

Bernays war jedenfalls ab 1917 in Washington eine sehr geachtete Persönlichkeit und begleitete die Delegation des US-Präsidenten auch zu den Friedensverhandlungen nach Frankreich. Dies war ein weiteres Schlüsselerlebnis für ihn: Er erkannte ein weites Arbeitsfeld der meinungsmäßigen Gestaltung von Gesellschaften nicht nur im Krieg, sondern auch in Friedenszeiten. Bernays betonte die Notwendigkeit eines "Engineering of consent" als einer auf Wissenschaft basierenden Technik der Meinungsformung. Er popularisierte über sein Büro für Public Relations die Forschungsergebnisse seines in Wien wirkenden Onkels im Bereich der angewandten Politikwissenschaft, des Marketings und initiierte auch Veränderungsstrategien der die Gesellschaft prägenden Verhaltensweisen.

Bernays betreute zeit seines 103-jährigen Lebens zahlreiche Politiker in aller Welt und insgesamt 435 Unternehmen PR-technisch. Indem er den belasteten Begriff Propaganda zugunsten des Begriffes Public Relations eintauschte, veränderte er mit seinen Beratungsinterventionen nicht nur politische Meinungsbilder, sondern auch Einstellungs- und Verhaltensmuster. Menschen und Gesellschaften nicht als Bedarfssysteme, sondern als Wunschsysteme zu sehen, bestimmte seinen Ansatz, Veränderungen in Politik und Wirtschaft zu initiieren.

Amerikanisches Frühstück, rauchende Frauen und MS

Nachdem Suffragetten das Frauenwahlrecht in den USA durchgesetzt hatten, setzte er auch auf solche Damen, die Fackel der Freiheit schwingend, indem sie rauchten. Im Interesse der Gleichberechtigung der Geschlechter, und um ein weiteres Geschlechtertabu zu bekämpfen, orchestrierte er diesen provokanten Auftritt rauchender Damen am Ostersonntag 1929 auf der Fifth Avenue. Absatzproblemen der Fleischindustrie begegnete er mit einer Studie, der zufolge Schinken zum Frühstück gesund sei: Bacon and eggs als amerikanisches Frühstück war als Produktidee geboren und wurde entsprechend erfolgreich beworben.

Das komplizierte Wort Multiple Sklerose ersetzte er durch das knappe Akronym MS und sensibilisierte damit viele Menschen für dieses Krankheitsbild. Absatzprobleme von Verlegern löste der gleichzeitig für die Möbelindustrie tätige Bernays mit dem Plan, dass in jedem US-Wohnzimmer ein großes Bücherregal stehen sollte. Dies getan, beruhigte er die Verleger mit der Aussicht, die Bücherregale seien geschaffen, sie würden sich mit Büchern füllen.

Die Werke Bernays wurden zu Standardwerken zum Thema Public Relations in Wirtschaft und Politik, sie sollen übrigens auch in den Buchregalen der NS-Größen gestanden sein. Darauf angesprochen, meinte er resignativ, offenbar sei auch der Holocaust ein systematisch geplanter Vorgang gewesen, und jede soziale Erfindung könne auch missbraucht werden.

1990 wählte das Magazin "Life" den 99-jährigen Bernays unter die 100 einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts. Mit seiner Arbeit hatte er den Grundstein für eine neue Kommunikations- und Konsumkultur gelegt, in der Menschen kaufen, was sie nicht wollen, und Bedürfnisse befriedigen, die sich nicht haben. Die Politik bediente sich fortan des Spins, um Sachverhalte zu kommunizieren und einsichtig und alternativlos zu machen. Bernays hatte die Büchse der Pandora geöffnet und im Rahmen seiner Strategien primär auf die Gefühle und nicht auf den Verstand gesetzt.

Seine Erkenntnisse fanden in der US-Managementliteratur und Beratungspraxis einen geachteten Widerhall. Auf Modeschauen ließ er Schauspielerinnen auftreten, die immer wieder betonten, dass Kleidung nicht wegen ihrer Nützlichkeit gekauft werden sollte, sondern um damit das eigene Ich auszudrücken: "Express yourself better in your dress." Bernays forcierte die Änderung von Konventionen und Verhaltensweisen und konditionierte damit den besseren Verkauf von Produkten und Leistungen.

Bei der New Yorker Weltausstellung entwickelte er 1939 die perfekte Vision eines futuristischen Amerika, dessen politische Stabilität und soziale Fortschritte einer freien und florierenden Wirtschaft zu verdanken waren - die "Democracity". Diese Vision konnten die Besucher hautnah erleben. Sie schwebten in bequemen Sitzen während eines simulierten Fluges über ein riesiges Modell aus automatisierten Autobahnen, auf denen funkgesteuerte Autos und windschnittig rundliche Laster fuhren, sie flogen über Städte aus blitzenden Mega-Wolkenkratzern, über Vorstädte mit schmucken Einfamilienhäusern und über eine grüne Idylle mit blauen Flüssen. Dieses "Futurama", von General Motors gesponsert und in einer riesigen weißen Kuppel untergebracht, diente dem Disney-Konzern später als Vorbild für seine Themenparks.

Aufstieg der Verhaltenswissenschaften

Die Verhaltenswissenschaften nahmen in der Folge in den Sozialwissenschaften eine wachsende Bedeutung ein. Organisationstheorien wurden um psychologische und soziologische Komponente erweitert, Nutzenauslobung von Produkten und Dienstleistungen bedeutete vermehrt die Exploration verborgener Wünsche und Vorstellungen im Rahmen multidimensionaler Ursachenforschungen. Die Managementstandards in den USA wurden in der Folge nachhaltig verbessert, Unternehmen wurden fortan nicht nur als technologische Systeme von Produktion und Vertrieb gesehen, sondern als sozio-technische Systeme mit Menschen inner- und außerhalb des Unternehmens und der damit verbundenen Bedeutung emotionaler Kategorien.

Im deutschsprachigen Europa hingegen prolongierte die Kriegs- und Nachkriegswirtschaft die eindimensionale Betrachtung von Institutionen in Politik und Wirtschaft bis in die 1960er Jahre. Aus- und Weiterbildung des Managements wurden oft von Führungseliten der kriegserfahrenen Militärs bereitgestellt. In Österreich änderten erst ab den 1960ern Institutionen im Bereich der Sozialpartner, wie das Hernstein-Institut der Wiener Handelskammer, ihren Fokus und setzten auf gruppendynamische Verfahren, Motivationsforschungen und moderne Organisationsentwicklung.

Während die Universitäten hierzulande noch mit der Aufarbeitung der jüngsten Geschichte beschäftigt waren, was an der Hochschule für Welthandel sogar noch zum Tod eines Demonstranten führte, erneuerten sich die Weiterbildungslandschaften für die aktiven Eliten in Wirtschaft und Gewerkschaften. Dies geschah noch oft in enger Anlehnung an US-Forschungsstätten zum Teil mit Wiener Forschern, die Ende der 1930er aus Österreich geflohen waren.

Seit den 1970ern durchdringen diese zeitgemäßen Ansätze die Managementkulturen den Werte schaffenden Sektoren der Gesellschaft. Aus Generaldirektoren wurden CEOs. Controllingkonzeptionen, Benchmarks und Ratios sind nicht nur Anglizismen im Management, sondern Ausdruck neuer Unternehmenskulturen, die dem Faktor Mensch einen zentralen Stellenwert zuordnen.

Im Bereich des öffentlichen Sektors fänden sich noch ausreichende Betätigungsfelder zur Weiterführung der Institutionen auf zeitgemäßen Standard.