Bischof Egon Kapellari über seine Erwartungen an den neuen Papst, die spezifische Botschaft des Osterfestes, das Verhältnis von Theologie, Glaube und Vernunft - und über die prinzipielle Unauflösbarkeit der Ehe für die Kirche.
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"Wiener Zeitung": Herr Bischof, Ostern ist die Zeit der Auferstehung. In die diesjährige Osterzeit geht die Kirche mit einem neuen Papst. Ein Zeichen für eine, wenn schon nicht Auferstehung, so doch Erneuerung?Egon Kapellari: Ich erhoffe mir einen Schub von neuer Vitalität, einen Schub von fröhlicher gelebter Bergpredigt in unserer großen Weltkirche, die ja im Ganzen viel lebendiger ist als man hierzulande oft sieht.
Sie haben oft sinngemäß gesagt, die Kirche wird vielleicht kleiner, aber dafür fester, weniger beliebig. Ist das die Entwicklung, die Sie vom Pontifikat von Papst Franziskus erwarten oder wird es doch eine Wendung in die Breite geben?
Wir brauchen vor allem in Europa eine starke Mitte und tiefe Wurzeln, damit es auch jene Breite geben kann, auf die wir nicht bequem verzichten dürfen. Die Kirche muss auch hier missionarisch bleiben. Sie muss versuchen, müde gewordenen Christen, aber auch außerhalb der Kirche Stehenden, Christus auf eine neue, faszinierende Weise zu zeigen. Der Papst hat damit schon - viel beachtet - begonnen.
Bei aller positiven Aufnahme für den neuen Papst: Seine Haltung in der Zeit der argentinischen Militärjunta könnte das Bild trüben. Wie bewerten Sie die Vorwürfe, er hätte als Provinzial der Jesuiten einige seiner linksgerichteten Mitbrüder nicht vor den Militärs geschützt?
Darüber haben viele Medien schon glaubhaft Klärendes berichtet, auf das ich hier verweisen kann. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Solidarität des argentinischen Friedensnobelpreisträgers Esquivel mit dem Papst.
Anlässlich des Rücktritts von Papst Benedikt XVI. hat der polnische Kardinal Stanislaw Dziwisz ein zur Osterzeit passendes Bild gewählt und die Entscheidung von Papst Benedikt mit den Worten kritisiert: Vom Kreuz steigt man nicht herab. Eine berechtigte Kritik?
Der verstorbene Papst Johannes Paul II. hat eine der möglichen Dimensionen des Petrusamtes radikal gelebt, indem er öffentlich gelitten hat und gestorben ist. So hat er einer Gesellschaft, die Leiden und Sterben gerne verdrängt, ein prophetisches Zeichen dagegen gegeben. Aber ein weiteres Beispiel in dieser Dimension wäre weder für die Kirche noch für die Weltöffentlichkeit ähnlich hilfreich gewesen. Der Papst muss vor allem leiten. Dass er im Verborgenen heute auch viel zu leiden hat, darf das Leiten nicht längerfristig beeinträchtigen. Der Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. hat aus ihm keinen ehrenwerten Pensionisten gemacht. Er bleibt im Herzen der Kirche ein ruhig strahlendes geistliches Symbol, eine Kraft des Gebetes für die Kirche und für die ganze Menschenwelt.
Wenn Sie jemandem, dem die christliche Tradition völlig fremd ist, das Wesentliche an Ostern erklären müssten: Was würden Sie sagen?
Ostern ist ein Fest gegen die Schwerkraft. Ein Fest der Hoffnung darauf, dass nicht das Böse und der Tod in dieser Welt das letzte Wort haben werden, weil Jesus, das Lamm Gottes, sich in seiner Auferstehung schließlich als stärker erwiesen hat als Kaiphas, Herodes und Pilatus. Das Osterereignis ist nach christlichem Glauben eine Vorwegnahme dessen, was für die ganze Menschheitsgeschichte erhofft werden kann. Dass also der Saldo der Weltgeschichte positiv sein wird. Wir hoffen, dass immer wieder ein Ostern kommen wird - und schließlich ein universales Ostern.
Naiv gefragt: Wann ist der Saldo der Weltgeschichte positiv? Wenn das Leid aus der Welt verschwunden ist?
Das Leid wird im Lauf der Weltgeschichte nie ganz verschwinden. Der Saldo wird erst dann offenkundig positiv sein, wenn jener Punkt Omega erreicht ist, an dem die Fragen aufgelöst werden, die von jeher viele Gläubige und Nichtgläubige bewegen: etwa die Frage, wie kann man angesichts von so viel Leid, auch vom Leid Unschuldiger an Gott glauben. Dieses universelle Ostern, dieser Punkt, den Teilhard de Chardin als "Punkt Omega" bezeichnet hat und über den er so Großartiges geschrieben hat, ist der Angelpunkt der mit Ostern verbundenen Hoffnung.
Gibt es für Sie ein besonders persönliches Erlebnis, das Ihren Osterglauben, den Glauben, dass der Mensch Erlösung findet, stärkt?
Der Osterglaube ist das stärkste Webmuster in meinem Leben. Dazu braucht man keine dramatisch-mystischen Erlebnisse, auch wenn ich so etwas zwei- oder dreimal in meinem Leben erfahren habe. Besonders berührt hat mich auch, dass der herausragende Künstler Walter Pichler vor Jahrzehnten in einer Installation ein hölzernes Kruzifix in Bandagen verhüllt und in einem kapellenartigen Schrein präsentiert hat. Auf meine Frage, warum, hat er ungefähr geantwortet: Für mich ist der Christus jetzt noch wie im Grab, aber vielleicht werde ich ihm einmal die Binden abnehmen können. Im vorigen Jahr habe ich die Begräbnisliturgie für diesen Künstler geleitet - und im Nachruf daran erinnert.
Weihnachten gilt als Fest der Freude über Christi Geburt. Ostern wird hingegen in der gängigen Wahrnehmung sehr stark vom Leid der Kreuzigung geprägt. Haben Menschen, die so empfinden, etwas missverstanden oder ist der Kern der Botschaft tatsächlich: Ohne Leid auf Erden, kein Glück im Himmel? Man könnte Ostern ja auch so verstehen.
Ostern ist für die Christenheit nicht weniger als Weihnachten ein Fest der Freude. Das Alleluja ist das kürzeste und intensivste Osterlied. Wenn das im kühlen, weithin säkularisierten Westen nicht deutlich wird, dann sollte man sich an die Osterliturgie der orthodoxen Kirchen erinnern. Nicht der Karfreitag ist unser größter Feiertag, sondern Ostern, der dritte Tag danach. Einige Päpste haben den Namen "Paschalis" getragen, das heißt "der österliche Mensch". Eigentlich ist das ein Wesensname, ein Zuname für jeden bewussten Christen.
Das müsste aber weitgehend erst wieder entdeckt werden. Insofern hatte Nietzsche schon Recht, als er sagte: "Erlöster müssten sie aussehen, die Christen!"
Ostern ist ja deshalb das wichtigste Kirchenfest, weil es den Kern des christlichen Glaubens berührt, die Wiederauferstehung. Es ist relativ einfach, die Geschichte vom leeren Grab und die Wiederauferstehung symbolisch zu deuten. Wenn wir es aber gerade nicht als Symbol deuten, sondern daran glauben sollen: Wie vereinbar ist das damit, was gemeinhin als Vernunft verstanden wird?
Das Wort Symbol kann Unterschiedliches bedeuten. Manche meinen damit ein Zeichen ohne tiefe Verankerung in der Wirklichkeit, also "nur ein Symbol". Die Symbole der Osterbotschaft sind aber nach unserer Überzeugung nicht auf Mythos oder Märchen reduzierbar. Die Rede von den Begegnungen des auferstandenen Christus mit den Frauen, den Jüngern und die Rede vom leeren Grab sind nicht ein Produkt frommer Phantasie. Sie sind Berichte von etwas wirklich Geschehenem, das freilich verschiedenen Interpretationen ausgesetzt ist. Das Wort "Wiederauferstehung" trifft für Jesus Christus jedenfalls nicht zu. Er ist ein anderer als vorher, er kommt nicht wieder, so wie er war, aber er zeigt sich den Jüngern für kurze Zeit nochmals so: berührbar und mit verklärten Todeswunden, damit sie nicht zweifeln, dass er derselbe ist wie vorher. Zugleich ist er aber ganz anders. Er ist im Himmel, aber das ist kein überirdischer geophysikalischer Raum, sondern eine ewige dreifaltige Beziehung zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist außerhalb von Zeit und Raum. Das ist freilich etwas, was nicht rational auslotbar ist. Man muss sich entscheiden, daran zu glauben.
Wenn die Entscheidung, ob ich glaube oder nicht, letztlich mit Vernunft nicht begründbar ist: Welchen Sinn haben dann Versuche, Glauben und Vernunft in Einklang zu bringen? Und welche Berechtigung hat dann Theologie als Wissenschaft?
Der christliche Glaube ist nicht in Vernunft hinein auflösbar. Andererseits verweisen beide aufeinander, ergänzen einander. Glaube ist nach unserer Überzeugung nicht widervernünftig, sondern weist über die Vernunft hinaus. Eine klassische Formel für das Verhältnis von Theologie, Glaube und Vernunft lautet "fides quaerens intellectum" - "Glaube, der sich um die Unterstützung durch Vernunft bemüht". Theologie kann Glauben nicht in Wissen auflösen und darf es auch nicht versuchen. Aber sie erbringt unter anderem auch Plausibilitäten für den Glauben und ist insofern nicht nur vergleichende Religionswissenschaft. Im Blick auf dieses Ganze kann der Platz der Theologie im Gefüge heutiger säkularer Universitäten durchaus gerechtfertigt werden, wie ja auch zum Beispiel die Kunst aller Gattungen dort ihren Platz hat.
Selbst gläubige Menschen tun sich allerdings schwer damit, zu akzeptieren, dass die Kirche zu den Wundern, die etwa Pater Pio zugeschrieben werden, auch das Wunder der Bilokation zählt: Gleichzeitig körperlich an zwei Orten anwesend zu sein, das widerspricht doch sehr stark einem halbwegs vernunftorientierten Weltbild.
Ob mit einem Glauben, der sich um Unterstützung durch Vernunft bemüht, ein Glaube an die Fähigkeit des von der Kirche selig gesprochenen Pater Pio zur Bilokation vereinbar ist oder nicht, bleibt jedem Glaubenden selbst überlassen. Ebenso wie vieles andere, das von manchen Menschen geglaubt wird, aber nicht zu den Essentials der Glaubenslehre gehört.
Zu sagen: Du kannst es glauben, musst aber nicht, ist aber eine gefährliche Haltung. Von da ist es nur noch ein Schritt zu einem Supermarkt-Glauben, aus dem sich der Einzelne nur das holt, was er mag, und den Rest negiert. Nach dem Motto: Ostern und Erlösung ja, kirchliche Sexualmoral nein.
So einfach ist das nicht. Der Glaubensinhalt ist nicht ein gewebter Teppich, der sich zwangsläufig auflösen muss, wenn man lange genug an einem weit außen befindlichen Faden zieht. In Wirklichkeit sollen wir aber unterscheiden zwischen dem Zentralen des Glaubens - den Evangelien, der Jesusüberlieferung, die den Kern des Glaubens ausmachen - und jenen Inhalten, die kein Dogma, sondern von ihm abgeleitet sind.
Dazu gehören auch manche Fragen der Moral, die im Blick auf die jeweilige geschichtliche Situation so beantwortet werden können, dass weder ein unnötiger Rigorismus noch ein billiges, pflegeleichtes Christentum herauskommt. Das heißt aber nicht, etwas billiger geben und sagen, dass abgesehen von den tatsächlich nicht zahlreichen Dogmen ein ernsthafter Katholik sich mit einer konkreten Vorgabe durch das Lehramt nicht profund auseinandersetzen müsste.
Das klingt sehr nachsichtig. Trotzdem ahndet die Kirche auch verhältnismäßig banale Vergehen sehr hart. Stichwort: Verweigerung der Kommunion für geschiedene Wiederverheiratete.
Eine Ehescheidung ist kein banales Problem, wenn die Partner ihre Ehe wirklich als christliches Sakrament verstanden und einigermaßen gelebt haben. Eine solche Ehe ist für die Kirche entsprechend einem Gebot Jesu prinzipiell nicht auflösbar, sondern kann aus bestimmten Gründen nur als nichtig erklärt werden.
Bekanntlich wird aber in der Kirche weiterhin um die Frage gerungen, ob es für eine zweite und daher nur zivile Ehe von Katholiken einen Segen geben kann, der nicht vortäuscht, dass es sich um eine sakramentale Verbindung handelt, und ob der Weg zum Empfang auch der Kommunion für solche Katholiken wirklich für immer versperrt bleiben muss, wenn ernsthaft versucht worden ist, alte Schuld anzuerkennen und Versöhnung mit dem verlassenen Partner zu erreichen.
Als Bischof stehen Sie kurz vor dem Ende Ihrer Amtszeit. Papst Franziskus wird vermutlich in absehbarer Zeit Ihren Nachfolger ernennen. Im Rückblick betrachtet: Woran haben Sie als Seelsorger und Bischof eigentlich am schwersten getragen, an welchen Entbehrungen haben Sie die größte Freude gehabt?
Nicht das Kreuz als Galgenholz ist das Zentralsymbol der Christenheit, sondern das verklärte goldene Kreuz, auch als kosmisches Symbol. Wie fast jeder Mensch, der schon lange leben darf, hatte und habe auch ich besondere Lasten zu tragen, aber das Jammern habe ich mir nie gestattet. Seufzen in kleiner Dosis genügt.
Lasten trage ich in Solidarität mit allen leidenden Christen und darüber hinaus mit allen heute leidenden Menschen und Völkern. Christus hat all das zusammenfassend und überbietend getragen und zu Ostern auferstehend überwunden, stellvertretend für uns alle.
Piotr Dobrowolski, geboren 1965, war u.a. Außenpolitik-Chef bei "Format" und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Frontal" und ist nun als freier Journalist tätig.
Egon Kapellari (77) ist Bischof der Diözese Graz-Seckau und stellvertretender Leiter der österreichischen Bischofskonferenz, zuständig für die Bereiche Medien, Kultur und Europafragen. Vor seiner Bestellung zum Bischof der Diözese Graz-Seckau hat Kapellari von 1981 bis 2001 als Bischof die Diözese Gurk-Klagenfurt geleitet. Vor zwei Jahren hat er den innerkirchlichen Usancen entsprechend - anlässlich seines 75-jährigen Geburtstages - ein Rücktrittsgesuch nach Rom geschickt, wurde aber für weitere zwei Jahre bestellt. Der Wechsel von Kapellari zu einem neuen Bischof wird für den Herbst erwartet.
Kapellari, der vor seiner Bischofsweihe viele Jahre als Studentenseelsorger tätig war, gilt als intellektuell und diskussionsfreudig, zugleich wird ihm in wesentlichen kirchenpolitischen Fragen aber eine weitgehend konservative Grundhaltung zugesprochen. Was Kapellari von manchen anderen seiner Kollegen in der Bischofskonferenz unterscheidet, ist der Versuch, die moderne Welt außerhalb der Kirche nicht zu negieren, sondern mit ihr in einen Dialog zu treten. Eine Konstante in seinen öffentlichen Äußerungen ist die Sorge, die Kirche könnte durch voreilige Anpassung an den Zeitgeist ihre Grundsätze aufgeben und einer "Verflachung" anheimfallen.
Aufsehen hat Kapellari 2011 erregt als er für nicht-zölibatär lebende Priester Geldbußen, die "fast schon wehtun" verlangte. Zum 75-Jahrestag des "Anschlusses" von Österreich an Hitler-Deutschland hat Kapellari die Haltung der Katholischen Kirche, die den "Anschluss" unterstützte, als einen "Fehler" bezeichnet, dessen Folgen für die Kirche noch lange spürbar blieben und der auch für ganz Österreich ein Schaden gewesen sei.
Kapellari, der neben einem Theologiestudium auch ein Jusstudium abschloss, hat sich vor allem mit der Theologie der Symbole und des Kirchenjahres beschäftigt. Zu seinem Wahlspruch hat der gebürtige Leobner eine Stelle aus dem Ersten Korintherbrief gewählt. Sie lautet: "Omnia vestra, vos autem Christi" (Alles ist euer, ihr aber gehört Christus). Als der für Medien zuständige Bischof ist Kapellari auch Präsident der Katholischen Medienakademie.