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Ehe für alle? Klare Begriffe helfen allen

Von Rotraud A. Perner

Gastkommentare

Bei der Neugestaltung privilegierter Lebensgemeinschaften sollte die Übernahme von Verantwortung das Kriterium sein.


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In Österreich herrscht die Trennung von Kirche und Staat - und das ist gut so, auch wenn eine Anleitung zu einem christlichen Leben nicht schadet (es kommt allerdings auf den Kommunikationsstil an). Dem Staat kann es egal sein, wer mit wem wie aus welchen Motiven zusammenlebt, solange das Strafgesetz nicht verletzt wird - außer er betreibt etwa gezielt eine auf die Zukunft ausgerichtete Bevölkerungspolitik. Oder er will beispielsweise vorsorglich Scheinehen zur Erlangung der Staatsbürgerschaft verhindern (was schwer nachzuweisen ist).

Es gibt immer Umwege und Rösselsprünge wie beim Schachspiel. Man kann polizeiliche Telefonprotokolle aus der Amtsverschwiegenheit herauslösen, indem man ihren Inhalt in eine parlamentarische Anfrage kleidet. Oder man behauptet eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, um den Verfassungsgerichtshof anrufen zu können. Man braucht nur geniale Anwälte, die solche Schlupflöcher ausfindig machen - oder auch beharrlich lästige Lobbyisten. Etwa jene, die ihre sexuelle Orientierung als gleich anerkannt haben wollen - aber das liegt im Alltag, allen Gesetzen zum Trotz, außerhalb ihrer Macht. Und außerdem kann sich das im Laufe des Lebens ändern, wie ich selbst an zahlreichen Klientinnen und Klienten erlebt habe, und das hat vielfältige aber meist unbewusste Auslöser. Daher plädiere ich dafür, bei der Neugestaltung privilegierter Lebensgemeinschaften nicht das Kriterium der sexuellen Orientierung (nicht Praktiken) zu Grunde zu legen, sondern die explizite Bereitschaft zur dauerhaften Übernahme von Verantwortung und Beistand.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich befürworte die juristische Gleichstellung aller ernsthaft praktizierten Lebensgemeinschaften, aber ich plädiere für gedankliche und sprachliche Klarheit: Was nicht gleich ist - eine sexuelle Verbindung von Mann und Frau, von Mann und Mann oder von Frau und Frau - sollte nicht als gleich hingebogen werden. Auch können biologische und soziale Elternschaft juristisch nicht gleichgesetzt werden, wie das Thema Leihmutterschaft tragisch zeigt.

Auflösung des Ehebegriffs

Zur gedanklichen Vertiefung: Wenn etwa der Überbegriff "Milch" heißt, lauten die Unterbegriffe "Kuhmilch", "Schafsmilch", "Sojamilch" etc. Aus meinem Verständnis ist der Überbegriff von institutionalisierten Lebensgemeinschaften die "eingetragene Partnerschaft", und die "Ehe" ist der Unterbegriff für die bisher allein anerkannte von Mann und Frau (diese können Religionsgemeinschaften an ihre besonderen Rituale binden). Die Integration von Menschen anderer Kulturen wird durch eine Auflösung des Ehebegriffs wohl nicht gefördert.

Sexuelle Orientierung oder Praktiken haben den Staat nicht zu interessieren (außer bei der Pönalisierung). Das ist Intimbereich. Wer welche Treuegelöbniszeremonien inszeniert, ist für den Staat auch nicht interessant, solange es nicht unter öffentliches Ärgernis fällt. Der US-Historiker Christopher Lasch nennt die Gegenwart das "Zeitalter des Narzissmus": Das weist auf verbreitete Bedürfnisse nach öffentlicher Anerkennung des So-Seins und Rehabilitation des eigenen Lebensstils hin. Aber das gehört in die Psychotherapie. Vielleicht ist da die Gesellschaft der Patient.