Zum Hauptinhalt springen

Ehe-Graben zwischen West und Ost

Von Alexander Dworzak

Politik

Deutschland ermöglicht die "Ehe für alle". Die seit 2004 beigetretenen EU-Länder hinken hinterher.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien/Berlin. Bis zum Jahr 1994 war Homosexualität Teil des deutschen Strafgesetzbuches. 2001 wurde unter Rot-Grün die eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare geschaffen. Doch die völlige Gleichstellung von Lesben und Schwulen ließ bis Freitag auf sich warten: 393 Abgeordnete des Bundestages stimmten für die "Ehe für alle", vier enthielten sich und 226 votierten dagegen - darunter auch Angela Merkel. "Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau", erklärte die Kanzlerin ihre Wahl.

Aus Partnerschaften werden nicht automatisch Ehen

Dabei war es Merkel, die zu Wochenbeginn eine Ehe-Abstimmung zur Gewissensfrage erklärt und den Fraktionszwang aufgehoben hatte. Flugs schmiedeten SPD, Grüne und Linke eine Allianz und brachten einen Gesetzesantrag ein. Damit fiel SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz seinem Regierungspartner in den Rücken. Die Genossen nahmen den Bruch der Koalitions-Usancen jedoch billigend in Kauf. Bei der Abstimmung am Freitag votierten aber auch 75 der 309 Parlamentarier von CDU/CSU für den Gesetzesantrag.

"Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen", lautet damit künftig Paragraf 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Bisher hieß es: "Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen." Eingetragene Partnerschaften werden nicht automatisch zu Ehen, sondern müssen auf dem Standesamt geschlossen werden. Insbesondere Politiker der bayerischen CSU ließen bereits anklingen, dass sie das Gesetz vor den deutschen Verfassungsgerichtshof bringen wollen. Für die Kritiker ist eine so weitreichende Änderung nur gemeinsam mit einer Adaptierung des Grundgesetzes vereinbar. Die "Ehe für alle" wird die Politik somit auch künftig beschäftigen.

Derzeit überwiegt bei den Gesetzes-Befürwortern jedoch die Freude, dass Deutschland als 13. Land in Europa die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner zulässt. Vorreiter - auch im weltweiten Vergleich - waren die Niederlande: 2000 brachte die Koalition aus Sozialdemokraten, Rechts- und Linksliberalen einen entsprechenden Gesetzesantrag ein, der am 1. April 2001 in Kraft trat. Nachbar Belgien zog 2003 nach; dort können homosexuelle Paare sogar zwischen einer Ehe und einer rechtlich abgespeckten eingetragenen Partnerschaft wählen. Als dritter Staat folgte 2005 für viele überraschend Spanien unter dem sozialistischen Premier José Luis Zapatero. Die konservative Opposition reagierte mit einer Verfassungsklage, erst nach sieben Jahren wurde der Fall zugunsten der "Ehe für alle" entschieden.

Schritt für Schritt zogen die west- und nordeuropäischen Länder seit 2009 nach. Im Gegensatz dazu hinken die Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas in Sachen Gleichstellung deutlich nach. In keinem der seit 2004 beigetretenen Ländern des ehemaligen Ostblocks ist die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner möglich. Eingetragene Partnerschaften gibt es in lediglich vier der 13 Staaten, nämlich Slowenien, Tschechien, Ungarn und Estland. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erwähnt in ihrem aktuellen Jahresbericht als Negativbeispiel Rumänien. Dort hatten drei Millionen Bürger in einer Petition verlangt, dass die Begriffe Ehe und Familie in der Verfassung Homosexuelle explizit ausschließen müssten. Das Verfassungsgericht in Bukarest erklärte die Initiative für zulässig und wies sie dem Parlament zu. Ein ähnlicher Gesetzesantrag in Litauen erreichte im Parlament eine von zwei benötigten Mehrheiten - just einige Tage nach dem "Marsch für Gleichheit" 2016 in Vilnius.

Regenbogenparaden innerhalb der EU zogen insbesondere in Polen immer wieder Gegendemonstrationen und Ausschreitungen nach sich. Zuletzt passiert im Sommer vergangenen Jahres in der Hafenstadt Danzig; mehrere Angreifer wurden dabei festgenommen. Doch findet in der Hauptstadt Warschau jährlich die größte "Gleichheitsparade" Osteuropas mit zehntausenden Teilnehmern statt. Seitdem die nationalkonservative PiS wieder regiert, herrsche eine schwulenfeindliche Stimmung, kritisiert der polnische Verleger und Politiker Robert Biedron in der "Zeit": "Die Regierung spielt absichtlich mit Stereotypen und gesellschaftlichen Feindbildern."

SPÖ, Grüne und Neos weiter in der Minderheit beim Ehethema

In Österreich hat das Berliner Votum die Debatte um die "Ehe für alle" neu entfacht. "Das ist ein starkes Zeichen aus Deutschland und freut mich sehr", sagte Bundeskanzler Christian Kern. Neben der SPÖ sind auch Grüne und Neos dafür. Die drei Parteien benötigen für eine Mehrheit im Nationalrat Überläufer von ÖVP, FPÖ oder Team Stronach. Aus der Volkspartei gab es am Freitag keinen Kommentar, FPÖ und Team Stronach zeigten sich skeptisch zur "Ehe für alle".

Ein heikler Aspekt des Themas ist die Frage der Adoptionsrechte für Homosexuelle. In Deutschland dürfen die Paare gemeinsam Kinder adoptieren. Verwehrt wird dies in Portugal, Irland, Norwegen und Finnland, wo ebenfalls die "Ehe für alle" gilt.

Somit bleibt es noch ein langer Weg, bis Artikel 21 der EU-Grundrechtecharta in der Union tatsächlich Praxis wird. Diese verbietet Diskriminierung aufgrund "der sexuellen Ausrichtung".