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Ehemaliger Möbelhaus-Manager möbelt die Krankenkassen auf

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Das neue Konzept könnte ein Schuldenchaos verhindern. | Auch Apotheken und Krankenhäuser müssen helfen, Sparziele zu erfüllen. | Hans Jörg Schelling ist "erschöpft, aber glücklich": Es bedurfte Marathonsitzungen im Gesamtausmaß von 100 Stunden in 27 Verhandlungsrunden - nun konnte der neue Vorsitzende des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger jedoch ein längst fälliges Kostendämpfungspaket für die maroden Krankenkassen vorlegen.


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Das mit der Ärztekammer in neun Wochen klammheimlich ausgehandelte Konzept, das am vergangenen Freitag der Regierung überreicht wurde, sieht für den Zeitraum bis 2013 Einsparungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vor - detaillierte Angaben darüber sind aber noch nicht einmal ansatzweise an die Öffentlichkeit gedrungen.

Schelling, der erst Ende Jänner 2009 die "äußerst spannende Herausforderung" übernommen hat, "das Sozialsystem in die richtige Richtung zu lenken", könnte etwas geschafft haben, an dem sein Vorgänger Erich Laminger bei ähnlich gelagerten Gesprächsrunden im Vorjahr gescheitert war: Er stellte "die früher total zertrümmerte Vertrauensbasis mit den Ärzten" wieder her, indem man zunächst gemeinsam "im Rückwärtsgang aus der Sackgasse" fuhr.

Dann ging es für die vier eingesetzten Arbeitskreise darum, möglichst viele Dinge außer Streit zu stellen und möglichst viele Reformideen zu sammeln. Schelling: "Wir haben nicht über Geld geredet, sondern über Maßnahmen."

Dem 55-jährigen Marketingspezialisten, der sowohl bei der Kika/Leiner-Gruppe als auch bei XXXLutz Geschäftsführer war, ist jedoch klar, dass es sich bei dem Papier um keine umfassende Gesundheitsreform handelt, sondern bloß um ein dringend nötiges Rettungsprogramm für die kranken Kassen. Er wartet nunmehr auf das grüne Licht seitens der Regierung, das kommen soll, sobald die Minister Alois Stöger (SPÖ) und Josef Pröll (ÖVP) die Lektüre beendet haben.

Die Politiker stehen jedenfalls unter Zugzwang: Ohne intensive Reformmaßnahmen würde sich nämlich der derzeitige Schuldenstand der Gebietskrankenkassen bis 2013 auf 2,4 Milliarden Euro verdoppeln.

Als eine der Schlüsselpersonen im heimischen Gesundheitswesen spielt Schelling, der auch Vizepräsident der Wirtschaftskammer ist, eine zentrale Rolle bei der Rettungsaktion.

Die Regierung hat bereits im Februar für die nächsten drei Jahre jeweils 150 Millionen, insgesamt also 450 Millionen Euro, zwecks Entschuldung in Aussicht gestellt und will obendrein über einen Strukturfonds mit 100 Millionen zu Hilfe eilen - für den Fall, dass sich Hauptverband und Ärzte auf einen Sparkurs einigen. Schelling hat den politischen Auftrag zu erfüllen, die Sanierung ausgabenseitig zu bewältigen: "Die Ausgaben werden zwar weiter steigen, aber eben nicht mehr so wie bisher."

Seine jetzige Funktion ist der Höhepunkt in seiner beruflichen Karriere - auch wenn der aktuelle Job ziemlich bescheiden honoriert wird. Für täglich zehn Stunden Einsatz in der Sozialversicherung erhält er eine jährliche "Funktionärsentschädigung" von zwölf Mal 3808 Euro. Er ist nicht angestellt, hat weder Pensions- noch Abfertigungsansprüche und obendrein relativ wenig Macht.

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, der 280 Mitarbeiter beschäftigt, fungiert als organisatorisches Dach über den heimischen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherern. Und wie jedes Dach muss der Verband damit zurechtkommen, bisweilen heftigen Regengüssen und starken Windböen ausgesetzt zu sein.

"Geht nicht um Macht, sondern um Effizienz"

Für Schelling, der zumindest jeden Vertrag einer Gebietskrankenkasse unterschreiben - oder auch ablehnen - darf, spielt das keine Rolle: "Es geht in dieser Funktion nicht um Macht, sondern um Leadership und Effizienz."

Als Galionsfigur eines höchst kompliziert aufgebauten, vielschichtigen Systems, das allein im vergangenen Jahr mehr als 45 Milliarden Euro verschlungen hat - das sind 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 65 Prozent des Bundesbudgets -, muss Schelling letzten Endes nicht nur die medizinische Qualitätssicherung garantieren, sondern auch viele unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen: 35.000 Ärzte, 1217 Apotheken, die Pharmaindustrie, 270 Krankenanstalten mit 65.000 Betten, 20.300 Spitalsärzten und 80.000 Mitarbeitern beim Pflegepersonal machen das angesichts hurtig steigender Kosten, etwa bei Medikamenten, und einer immer bedrohlicher werdenden Schuldenlast zu einem Sisyphusjob erster Ordnung.

"Konflikte nur dort, wo es sich auszahlt"

Nach der Einigung mit den Ärzten, die von der Opposition als nicht ausreichend kritisiert wird, zeigten sich daher etwa die Pharmaindustrie in Gestalt von Pharmig-Chef Hubert Dreßler ebenso frustriert wie die Apotheker unter Führung ihres Präsidenten Heinrich Burggasser. Beide Gruppierungen waren in die Verhandlungen der letzten Wochen nicht eingebunden, weil Schelling es für sinnvoller hält, mit ihnen eigene Verhandlungen zu führen - der bestehende Rahmenvertrag bis 2011 wird eingehalten.

Bereits im Juli wird er Gespräche mit den für die Krankenanstalten zuständigen Bundesländern starten, denen der Hauptverband immerhin satte 4,2 Milliarden Euro zukommen lässt. "Wir brauchen künftig an Stelle des verwirrenden Status quo eine Finanzierung aus einem Topf - und das werden wir Schritt für Schritt angehen", betont Schelling.

Der schnauzbärtige Verbandschef, der sich selbst nicht als Konfliktmensch bezeichnen würde, wird jedenfalls weiterhin starke Nerven und eine gute Kondition benötigen: "Konflikte mache ich nur dort, wo es sich auszahlt, um eine Sache zu bewegen."

Kammerstrukturen durchforstet

Schon als Gemeindepolitiker von St. Pölten hat er von dieser Einstellung reichlich Gebrauch gemacht, was etwa der damalige SPÖ-Bürgermeister Willi Gruber mehrmals zu spüren bekam.

Als Christoph Leitls Vizepräsident in der Wirtschaftskammer war Schelling in den vergangenen Jahren für die kämmerliche Strukturreform zuständig - eine Rolle, in der er sich ebenfalls nicht gescheut hat, anzuecken.

Als ÖVP-Abgeordneter, für die Bereiche Verfassung, Unterricht, Bauten, Forschung und Innovation eingeteilt, agierte er zuletzt schon etwas unauffälliger und meldete sich nur zwölf Mal zu Wort.

Trotz Wahlschlappe der Volkspartei ging es mit seiner Karriere bergauf: "Ich habe mich nie um irgendetwas beworben, sondern wurde immer gefragt."

Die Frage, ob er sich um die Sozialversicherung kümmern möchte, kam von WKO-Präsident Leitl, und der Job als Sparmeister wird ihn bis Ende des Jahres 2012 fordern.

Schelling, dem derzeit für die gleichnamige Unternehmensberatung sowie die 1999 gemeinsam mit dem Werbefachmann Jan Mariusz Demner gegründete Big Deal Marken und Marketingberatungs-GmbH keine Zeit mehr verbleibt, ist trotz seiner zahlreichen Funktionen (siehe auch Kasten links) immer noch für Repräsentationspflichten verfügbar. So diskutiert er etwa als Wirtschaftsbund-Funktionär an zahlreichen Stammtischen, beispielsweise über Kurzarbeit.

Seit kurzem leistet er sich obendrein ein neues Hobby: Mit Jahresbeginn hat er das Weingut von Stift Herzogenburg auf 25 Jahre gepachtet. Auf elf Hektar wird der passionierte Koch dort vor allem seinen Lieblingswein anbauen, den Grünen Veltliner.

Zur Person

Hans Jörg Schelling wurde am 27. Dezember 1953 in Hohenems geboren und studierte nach der Matura am Bundesgymnasium Feldkirch Betriebswirtschaftslehre an der Uni Linz. Mit einer Diplomarbeit über Silhouette-Brillen schloss er 1978 das Studium als Mag. rer.soc.oec. ab und wurde Universitätsassistent am Institut für Handel, Absatz und Marketing.

Möbel-Management

1981 folgte dank seiner Dissertation über Exportförderung von Klein- und Mittelbetrieben das Doktorat. Im selben Jahr startete er als Assistent der Geschäftsleitung von Kika/Leiner seine berufliche Karriere. 1988 wurde er Geschäftsführer der Möbelgruppe, schied allerdings zwei Jahre später wegen Differenzen mit Kika/Leiner-Chef Herbert Koch aus und wechselte im Jahr 1992 in gleicher Funktion zum Konkurrenten XXXLutz.

Gemeinsam mit den Lutz-Inhabern Richard und Andreas Seifert setzte er auf einen aggressiven Expansionskurs, der das Unternehmen zu einem europäischen Big Player machte. Ab 2005 zog er sich in Etappen aus dem Tagesgeschäft zurück und betätigte sich unter anderem als Unternehmensberater.

Der gebürtige Vorarlberger, der in St. Pölten wohnt, engagierte sich ab 2001 auch in der Gemeindepolitik, für den Wirtschaftsbund NÖ und etwas später für den Fußball-Zweitligisten SKN St. Pölten.

Seit 1. April 2004 fungiert Schelling als Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich, wo er für die Strukturreform zuständig war - eine Aufgabe, die nunmehr beendet ist.

Ab Februar 2007 saß er 15 Monate lang im Parlament, am 1. Mai 2008 wurde er Obmann der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt. Seine jetzige Funktion als Vorsitzender des Vorstands im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger bekleidet er seit Ende Jänner 2009. Schelling ist verheiratet und Vater zweier Töchter (21 und 19). Seine Hobbys: Kochen, Segeln am Attersee und Golf spielen.

Zahlreiche Funktionen

Schelling ist nicht nur Vorstandsvorsitzender des Hauptverbands und WKO-Vize, sondern auch Präsidiumsmitglied des Wirtschaftsbundes Niederösterreich, Mitglied des Fachausschusses der Unternehmensberater, Vorsitzender des Managementclubs NÖ Mitte, Stifter der JGS Privatstiftung, Gesellschafter und Geschäftsführer der Schelling GmbH und der Big Deal Marken & Marketingberatung GmbH sowie Aufsichtsrat der XXXLutz GmbH und der XXXLutz Marken GmbH.