Am Samstag stellt Ungarns Regierung die Plakatkampagne gegen George Soros ein. Feindbild Orbáns bleibt er dennoch.
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Budapest. "Civis Honoris Causa Budapestini" steht auf der Medaille aus 18-karätigem Gold, die der mittlerweile 86-jährige George Soros wohl noch irgendwo griffbereit hat. Sie wurde dem US-Mäzen und Holocaust-Überlebenden im Jahr 2002 von der Stadt Budapest verliehen, als er ihr Ehrenbürger wurde - auch mit Unterstützung einiger Politiker der heute regierenden Partei Fidesz. Damit sollte Soros wohl für die Gründung der Zentraleuropäischen Universität (CEU) belohnt werden, die die Regierung jetzt abschaffen will. 2005 folgte das Großkreuz des ungarischen Verdienstordens für Soros, verliehen von Ferenc Madl, damals Staatspräsident, mit Unterstützung von Fidesz.
Es waren andere Zeiten. Seit sechs Wochen ist Ungarn schier zugepflastert mit hetzerischen Anti-Soros-Plakaten. Sie klebten sogar auf dem Fußboden eines Waggons der Budapester Straßenbahn, damit die Fahrgäste dem Mann, den die Fidesz-Regierung von Viktor Orbán zum Staatsfeind erklärt hat, symbolisch ins Gesicht treten können. Zwar haben die Regierung und die Budapester Verkehrsbetriebe bestritten, dass diese Nötigung zu Fußtritten beabsichtigt gewesen sei. Der Täter sei irgendein Fahrgast gewesen. "Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht!", steht auf den Plakaten.
Auf allen Kommunikationskanälen der Regierung heißt es gebetsmühlenartig, Soros wolle pro Jahr eine Million "Migranten" nach Europa bringen und gefährde die Sicherheit des Landes.
"Soros hinter EU-Verfahren"
Orbáns Kanzleichef János Lázár milderte zwischendurch den Ton. Er sprach sich überraschend dagegen aus, dass Soros die Budapester Ehrenbürgerwürde aberkannt wird - schließlich habe man die Entscheidung der "demokratisch gewählten" Budapester Stadtregierung von 2002 zu respektieren. Fast zeitgleich kam aber eine neue Soros-Beschimpfung aus Orbáns Justizministerium - als Reaktion auf das neue Verfahren, das die EU am Donnerstag wegen des ungarischen NGO-Gesetzes gegen Ungarn eingeleitet hat. Der Tenor aus dem Ministerium: Soros stecke hinter dem Verfahren der EU. Das NGO-Gesetz verletzt aus Brüsseler Sicht EU-Grundrechte. Diskriminierend ist es vor allem deswegen, weil es etliche regierungskritische Organisationen dazu verpflichtet, sich bei allen öffentlichen Auftritten selbst als "auslandsfinanziert" zu kennzeichnen. Es ist eine Brandmarkung, die potenzielle Sponsoren im Inland abschrecken kann, aus Angst vor Orbáns Rache. Sieben in Ungarn aktive NGOs, darunter Amnesty International, das Helsinki-Komitee und der ungarische Bürgerrechtsverein Tasz haben bereits zivilen Ungehorsam angekündigt: Sie wollen das neue Gesetz nicht einhalten - das heißt, sich nicht als "auslandsfinanziert" registrieren lassen.
Zwar kündigte die Regierung an, dass die Anti-Soros-Plakate abgebaut würden. Aber nicht, weil man sich die Kritik zu Herzen genommen hätte, sondern weil dies von vorneherein so geplant gewesen sei: Schluss der Plakataktion ist am Samstag, drei Tage vor dem in Budapest erwarteten Besuch des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu.
Verrenkungen auf der Kommunikationsebene kamen auch aus Israel. Netanjahu stand offensichtlich vor einem Dilemma. Jeder Repräsentant Israels ist nämlich dazu verpflichtet, antisemitische Äußerungen in aller Welt verurteilen. Soros gilt aber auch für Netanjahu als Staatsfeind, weil er Organisationen finanziert, die Palästinensern helfen und die israelische Siedlungspolitik kritisieren. Zunächst postete Israels Botschafter in Budapest, Yossi Amrani, auf Facebook einen Text, in dem beanstandet wurde, dass die Anti-Soros-Plakate "traurige Erinnerungen wecken" und "Hass und Angst schüren". Soros wurde namentlich ebensowenig erwähnt wie die Betreiber der Kampagne.
Rüffel für den Botschafter
Am Tag danach reichte das Außenministerium in Tel Aviv eine Klarstellung nach, in der Amranis Text nicht verurteilt, wohl aber relativiert wurde - mit dem Zusatz, dass damit keine Delegitimierung der Kritik an Soros beabsichtigt war. In Ungarns Medien wurde das als Rüffel Netanjahus für den eigenen Botschafter dargstellt.
Während dieser diplomatischen Turbulenzen kam ein kleiner Kreis jüdischer Aktivisten in Budapest zum Gedenken an die Massendeportationen ungarischer Juden von 1944 zusammen. Bescheidene Gedenktafeln aus Pappe mit Kerzen davor wurden am Freiheitsplatz aufgestellt - unweit jenes umstrittenen Erzengel-Denkmals, das Orbán 2014 zum Gedenken an den Beginn der deutschen Besatzung in Ungarn 1944 errichten ließ. Alle jüdischen Verbände beanstanden, dass dieses Monument die ungarische Beteiligung an der Shoah leugnet. Auf Kritik jüdischer Aktivisten - wenn auch verhaltene - stößt allerdings auch die Haltung des Dachverbands der meisten jüdischen Gemeinden Ungarns, MASZIHISZ. Man wirft dem Verband zu viel Kooperation mit der Orbán-Regierung vor. MAZSIHISZ hatte zu den Anti-Soros-Plakaten erklärt, diese seien "nicht antisemitisch an sich", könnten aber "antisemitische Gefühle wecken" - zumal viele dieser Poster von Unbekannten später mit rechtsradikalen Parolen und Symbolen beschmiert wurden.
Nachdem das Kaddisch des Kantors am Freiheitsplatz verklungen war, stand für einige Trauergäste die Frage im Raum, ob Netanjahu überhaupt kommen würde, zumal Orbán jüngst den ungarischen "Reichsverweser" und Hitler-Verbündeten Miklós Horthy als großen Staatsmann gepriesen hatte. Die Deportation von mehr als 437.000 ungarischen Juden von Mai bis Juli 1944 war unter Mitwirkung von Horthy geschehen. "Bibi" werde sicher kommen, sagten viele an diesem Abend. Schließlich mache Netanjahu dieselbe restriktive Politik gegen Medien und kritische Zivilorganisationen wie Orbán. So drückte es ein Gast aus Israel aus. Der ältere Herr, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, plant die Rückwanderung in die Heimat seiner Mutter, die zu den Überlebenden der Deportationen von 1944 gehört hat. Denn, anders als in seinem bisherigen Zuhause, werde in Ungarn heutzutage zumindest nicht geschossen.