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Ehrenrettung für die "Austrohumanisten"

Von Walter Hämmerle

Politik
© wz/Urban

Verfassungsrechtler Manfried Welan erinnert im dritten Teil seiner Biografie an Stärken und Schwächen der jungen Republik.


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Wien. "Wir sind die alt gewordene Zweite Republik", resümiert Manfried Welan gegen Ende des dritten und letzten Teils seiner Autobiografie "Student in Rot-Weiss-Rot, Wien 1955-1960" (Böhlau Verlag, Wien 2014). Der renommierte Verfassungsrechtler, langjährige Boku-Rektor und einstige Stadtpolitiker zu Erhard Buseks "bunte Vögel"-Zeiten meint dies allenfalls mit einem Hauch von Selbstironie.

Welan, Wiener Jahrgang 1937, versteht es, seine höchstpersönliche Lebensgeschichte mit der politischen Zeitgeschichte zu verweben. Er zeichnet ein graues Bild der Nachkriegsmetropole, im konkreten wie im übertragenen Sinn: "Die Gesellschaft empfing uns mit einem weniger oder mehr ausgesprochenen Antisemitismus, öffentlich gezeigten Antinazismus, der manchmal als ,Antipiefke‘-Haltung laut wurde. Es gab auch einen Antiamerikanismus", beschreibt er den damals vorherrschenden Zeitgeist nüchtern. Für seine eigene Generation nimmt Welan in Anspruch, die erste gewesen zu sein, "die ohne Wenn und Aber" nicht nur für ein selbständiges und unabhängiges Österreich, sondern auch für ein geeintes Europa eingetreten sei: "Uns war schon früh klar: Der Nationalismus war und ist ein Feind Österreichs. Im alten Österreich, im neuen Österreich. Und er ist ein Feind Europas."

Wehmut empfindet Welan nur, wenn er an die heute weitgehend vergessenen Genies und Querdenker erinnert. "Austrohumanisten" nennt er diese und nennt neben historischen Vorläufern wie Franz Grillparzer, Adalbert Stifter und Bertha von Suttner vor allem Günther Anders, Eugen Ehrlich, Hans Kelsen, Adolf Merkl, Walter Antoniolli, Leopold Kohr, Karl Popper, Otto Tausig, August Maria Knoll, Erika Weinzierl und Friedrich Heer.

Von seinem Lehrer, dem Sozialphilosophen Knoll, übernimmt Welan das Motto "Rechts stehen und links denken" und von Heer die "Freude am Anderssein des Andern". Fast logisch, dass einer wie Heer im damaligen Österreich keine Chance auf eine Berufung zum Universitätsprofessor hatte.

Trotz teils hervorragender Lehrer sah es die Universität der 1950er nicht als ihre Aufgabe an, die Studenten zu kritischen Geistern zu erziehen. Dass auch Recht zu Unrecht werden kann, darüber fand sich nichts in den Vorlesungen; auch die Folgen der Nazi-Ära an den Hochschulen wurden totgeschwiegen. Entsprechend bitter resümiert der emeritierte Professor und Rektor: "Für mich waren und wären die Universitäten die ‚fünfte Gewalt‘. Bis heute sind sie es nicht geworden."

Und völlig unverständlich ist für den heute 77-Jährigen, warum das Land nie das liberale Erbe aufgegriffen hat, das durchaus in seinen Paragrafen schlummert. Etwa §16 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch von 1811: "Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte (. . .)." Das sei, so Welan, ein Satz, auf den man stolz sein könnte. Nur sind wir es nicht.